Interview mit Dieter Overath Arbeit mit Siegel - Interview mit Dieter Overath: Teil 3

Immer mehr Bundesbürger greifen zu Kaffee, Rosen oder Schokolade aus fairem Handel. Wir sprachen mit Dieter Overath, Vorstandsvorsitzender von Trans-Fair, über die Weiterentwicklung der Kennzeichnung, deutsche Milchbauern und die Kommunikation im Handel.

Donnerstag, 26. Januar 2017 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Arbeit mit Siegel - Interview mit Dieter Overath: Teil 3
Bildquelle: Carsten Hoppen

Verbraucherschützer fordern ein gesetzliches Siegel für den Fairen Handel. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Eigentlich sollte der Staat nur da einschreiten, wo etwas ohne ihn nicht zu organisieren ist. Wenn darüber Druck entsteht, z.B. durch steuerliche Instrumente, dass alle Waren, die global gehandelt werden, unter guten, menschwürdigen Bedingungen gefertigt, dass Mindeststandards durchgesetzt und  Mindestlöhne gezahlt werden müssen, wäre dies ein smarter Gedanke. Aber haben wir dann eine 100.000 Mann starke Behörde, die auch über die Felder der Fairtrade-Bauern an der Elfenbeinküste stapft und alles vollumfänglich überprüft? Solange es die nicht gibt, haben wir hier noch einen Job.

85 Prozent der Bundesbürger halten es nach einer Studie von Forum Fairer Handel für wichtig bis sehr wichtig, dass es den fairen Handel auch für europäische Bauern gibt. Sie klammern den Norden, z. B. das Thema Milchbauern, das den Deutschen nah ist, bisher aus – im Gegensatz zum Siegel Naturland Fair. Wird sich Ihr System gegenüber den Produzenten aus dem Norden öffnen?
Gute Frage. Es gibt viele Bereiche, die auch im Norden verbessert werden können. Aber das ist nicht die Aufgabe von Fairtrade. Wir stehen für die Zusammenarbeit und verbesserte Handelsbedingungen mit Partnern im globalen Süden. Ich finde nach wie vor, dass sich die Lebenssituation eines Kakaobauern in der Elfenbeinküste diametral von der eines Milchbauern im Allgäu unterscheidet. Die Kinder im Allgäu gehen zur Schule, haben ärztliche Versorgung, ein Dach überm Kopf. Zudem gibt es genügend Lobby im Norden, Agrarförderungen etc. Diese Instrumentarien stehen dem Kakaobauern nicht zur Verfügung. Wir könnten auch darüber diskutieren, welche Faktoren die Milchkrise herbeigeführt haben, aber ein anderer Punkt ist sehr wichtig: Wir leben in einem Land, in dem die Hardware, z. B. der BMW in der Garage, eine ungleich höhere Priorität hat als etwas Vernünftiges im Kühlschrank. Und je weiter weg produziert wird, desto billiger darf es sein. Ich fände es super, wenn z. B. die Debatte um den Mindestlohn nicht an der Landesgrenze aufhören würde, und wir das, was wir an Eigenstandards haben, auch denen gönnen, die weiter weg sind.

Wäre dennoch eine Kombination mit dem Regionalitätstrend nicht erfolgversprechend für Fairtrade?
Die Renaissance der Regionalität hat etwas mit Transparenz zu tun, mit gefühlter Nähe. Wir versuchen, eine globale Nähe aufzubauen, haben zuvor völlig anonyme Produkte und Produzenten über das Fairtrade-Siegel, Informationen über die Herkunft der Produkte, Kampagnen, Bildungsarbeit und Mechanismen wie den Fairtrade-Code transparent gemacht.

Wie haben sich die Umsätze mit Fairtrade-gesiegelten Produkten 2016 entwickelt?
Wir haben gerade Zahlen für die ersten drei Quartale vorliegen, und die sind sehr erfreulich. Unterm Strich rechne ich für 2016 zum elften Mal in Folge mit einem deutlich zweistelligen Wachstum für das Gesamtjahr, und damit wird die Umsatzmarke von 1 Mrd. Euro geknackt.

Was sind Wachstumstreiber, was Hemmnisse?
Die Wachstumstreiber sind derzeit noch immer die Handelsmarken. Das starke Plus bei Kaffee z.B. kommt aber auch aus dem Markenbereich. Tchibo hat seinen Barista stark beworben und Darboven ist mit dem intencion gut unterwegs. Vor allem bei Tee, Reis und O-Saft fehlen Fairtrade-Produkte von starken Marken. Das ist ein Hemmnis, denn ohne starke Marken verharrt man in einer Produktkategorie irgendwo im Nirwana.

Wie wichtig ist die Kombination Bio und Fairtrade?
Im Moment sind rund 70 Prozent der Fairtrade-Produkte zusätzlich Bio-gelabelt. Damit sind wir weltweit das Faitrade-Land mit dem höchsten Bio-Anteil. Da die meisten Bauern, die anfangen, mit uns zusammenzuarbeiten, zunächst konventionell anbauen, wünschte ich mir, dass es mehr konventionelle Fairtrade-Produkte gebe. Es gibt z.B. auf dem deutschen Markt keine konventionelle Fairtrade-Banane. Für 1,39 Euro könnte eine gut angebaute Fairtrade-Banane angeboten werden. Aber keiner will sich bei diesem Eckpreisprodukt und Mengendreher auf ein anderes Preisniveau begeben - Bananen sind 1 Prozent des gesamten Lebensmittelhandels, 10 Prozent im Obst- und Gemüsemarkt.

Wo steht Fairtrade Deutschland in den nächsten fünf bis zehn Jahren, wenn alles nach Plan läuft?
Zunächst bleibt die Sozialkomponente die Kernaufgabe von Fairtrade. Wir haben vor allem bei Textilien noch viel zu tun. Bei Lebensmitteln wäre es toll, wenn wir in fünf Produktkategorien zweistellige Marktanteile hätten, schwache Produktkategorien wie Reis durch Markenartikler aufgewertet worden sind und es flächendeckend Fairtrade-Textilien gäbe. Darüber hinaus hätten wir schon viel erreicht, wenn mehr Fairness zur Normalität geworden ist. Fairtrade Deutschland feiert 2017 25-jähriges Bestehen. Am 23. Mai veranstalten wir im Zuge des Jubiläums unsere Zukunftswerkstatt, einen ganzen Tag lang diskutieren wir mit internationalen Teilnehmern über die Zukunft von Fairtrade und den Konsum 2025. Ich persönlich habe schon gedroht, ich werde erst in Rente gehen, wenn Sie in der Deutschen Bahn Fairtrade-Kaffee bekommen und es eine konventionelle Fairtrade-Banane gibt.