Discounter Kampf der Giganten

Deutschlands Discounter rüsten auf. Mit neuem Filialdesign, erweitertem Sortiment und einem Hauch von Luxus wollen sie ihre Marktanteile sichern. Eine Gratwanderung.

Donnerstag, 01. September 2016 - Management
Nicole Ritter
Artikelbild Kampf der Giganten
Ganz neu: Der Kaffeeautomat mit 16 verschiedenen Kaffeespezialitäten und Sitzgelegenheit in der Nachkassenzone.
Bildquelle: Lidl

„Das sieht hier ja alles ganz anders aus , seit wann ist der Laden denn so?“ Die ältere Dame neben der neu gestalteten Gemüse-Auslage der Filiale von Aldi Süd in Unterhaching sieht sich um. „Fast schon edel“, findet sie. Harun Akgül freut sich über solche Reaktionen. Er gehört zum Filialführungsnachwuchs bei Aldi Süd und beobachtet genau: „Vorhin sagte ein Kunde: Das ist ja hier ein richtiger Hightech-Aldi“, berichtet er, und dass die neu gestaltete Filiale auch viele neue Kunden anziehe. „Ich sehe immer noch jeden Tag unbekannte Gesichter hier im Laden.“ Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er Mitte Mai nach vier Wochen Umbauzeit die Filiale im Münchner Süden neu eingeräumt und so das neue Konzept des Discounters Karton für Karton mit Leben gefüllt. „In den ersten Wochen habe ich mich gefühlt wie im Urlaub“, sagt Akgüls Kollegin Birgitta Bittersohl. „Der neue Look ist toll, die Kunden suchen weniger und wir bekommen super Feedback.“ Beim Vorort-Termin in Unterhaching bestätigen Einkaufende spontan, was das Aldi-Management auch in diversen Befragungen herausgefunden hat: „Die Kunden sind begeistert“, sagt Projektleiterin Zehra Yildirim. Nur vereinzelt reagierten sie wie der ältere Herr, der, mit einem Karton unter dem Arm, anmerkt, er empfinde die Neugestaltung als etwas zu kühl.

Globaler Vormarsch

Aldi und Lidl dominieren nicht nur in Deutschland, sondern weltweit den Discountmarkt für Lebensmittel. Weltweit erwarten die Analysten von Planet Retail, dass die Discountformate in den kommenden zehn Jahren am schnellsten wachsen werden. Mehr als 5 Prozent Umsatzwachstum erwarten sie für dieses Format, für Supermärkte deutlich weniger. Als Testmärkte für den besonders umkämpften deutschen Markt gelten Länder mitähnlichen Konsumenten wie z. B. Australien. Dort gibt es bereits den „Luxus“-Aldi.

Schöne neue Aldi-Welt
Die neue Einfachheit beschreibt Projektleiterin Yildirim so: „Wir sind immer noch Aldi, nur ein bisschen schöner.“ Auf keinen Fall sollen die Kunden den Eindruck gewinnen, dass die neue Welt auf die Preise durchschlägt. Palettenweise möglichst viel Ware auf die Verkaufsfläche zu bringen war gestern, jetzt geht es darum, ein wenig Wohlgefühl zu erzeugen und sich ein moderneres Erscheinungsbild zu geben. Das beginnt im Pilotmarkt in Unterhaching schon vor der Eingangstüre: Hier hängt nicht mehr der alte Schaukasten, in dem die Handzettel angepinnt wurden, sondern ein digitaler Bildschirm. „Die Inhalte lassen sich leichter steuern“, erläutert Projektmanager Holger Philippin, „und sind farblich an das neue Konzept angepasst.“

Gemeint ist damit ein in der Architektur wie in den Ladenbau-Elementen wiederkehrendes dezentes Grau, während lichtes Grau an den Wänden die Warenpräsentation und die Orientierung auf der Fläche unterstützt. Paletten gibt es immer noch im Laden, doch sind sie nun hinter Verkleidungen nicht mehr sichtbar. Deutlich reduziert wurde die bisher übliche Schilderflut: „Unsere Kunden kennen unser gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Daher können wir gut auf Deckenhänger verzichten und bringen stattdessen mehr Ruhe in den Filialraum“, ist Zehra Yildirim überzeugt. Deshalb erfolgt die Preisauszeichnung künftig ausschließlich am Regal von unten nach oben. Sollen bestimmte Sortimente besonders betont werden, finden sie Platz in einer Kopfgondel. So ist etwa ein Teil des Bio-Sortiments prominent platziert. „Damit haben wir die Möglichkeit, Bereiche in Szene zu setzen, ohne ein Plakat aufzuhängen oder einen Aufkleber auf dem Boden zu platzieren“, sagt Yildirim.

Drei Fragen an Andreas Kaapke

Was treibt die Discounter zur Veränderung?
Die letzten 30 Jahre waren von Wachstum geprägt, jetzt gewinnen Supermärkte Marktanteile zurück. Also schaut man sich an: Was macht denn die Renaissance der Supermärkte aus? Frische im Discounter – das war z. B. vor zehn Jahren undenkbar. Heute heißt es: Wenn sich der Supermarkt über Frische definiert, dann müssen wir dagegenhalten.

Wo bleibt da die Abgrenzung zum Supermarkt?
Sie sind nach wir vor der Feind, aber die Reinrassigkeit, die es vor 25 oder 30 Jahren gab, wird sich auflösen. Discounter integrieren Elemente des Supermarkts und umgekehrt.

Ist somit Platz für einen neuen Hard Discount?
Dafür ist die Zeit noch nicht ganz reif – aber lassen Sie zwei, drei Jahre ins Land gehen. Wenn die Umrüstungsphasen abgeschlossen sind und es an bestimmten Standorten eine entsprechende Nachfrage für Geschäfte mit deutlich reduzier-ten Sortiment und wirklichen Schnelldrehern gibt – warum nicht. Es wird Kunden geben, die es so schnell und so einfach wie möglich haben wollen, ohne Marktplatz, Augmented Reality und Prosecco mit Frau Maisenkaiser.


Alte und neue Elemente
Wie bisher, trifft der Kunde als erstes auf das Frühstückssortiment. Neu ist hier die Gestaltung des Backautomaten und seine Integration in ein auffälliges Holzdekor, das auch in anderen, besonders hervorgehobenen Bereichen des Food-Sortiments aufgenommen wird; außerdem wurde hier die Coolbox angegliedert. „Hier präsentieren wir ein Sortiment für den schnellen Verzehr, für mittags oder auch saisonabhängig“, erklärt Zehra Yildirim, „es wird sicherlich auch noch einiges passieren, denn das Thema ist stark mit Trends verbunden.“ Auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges sind die Getränke angeordnet, und der erste Gang führt direkt auf ein neues Highlight der Filialen zu: das Weinregal. „Hier setzen wir mit einer indirekten Beleuchtung bewusst auf Inszenierung“, beschreibt Holger Philippin das Regal, das mit seinen LED-Leuchtspots schon beim Betreten des Geschäfts ins Auge sticht. „Auch war es eine bewusste Entscheidung, die Weinflaschen auf den drei oberen Ebenen auszupacken.“ Nur weiter unten bleiben die Weinflaschen wie sonst üblich im Karton. Die Platzierung der Weine umrahmt zusammen mit dem Nährmittel-Sortiment und den Frischetheken das, was die Projektmanager die „Kochzone“ nennen und bedeutet eine wesentliche Umgestaltung der Märkte: Obst und Gemüse, bisher direkt vor den Kassen platziert, wurden ganz nach hinten in den Markt gezogen. Hier stehen künftig nicht nur alle Zutaten für das Kochen zusammen, die Kunden sollen auch genügend Platz und Ruhe für die Auswahl der Frischware finden: „Zu besonderen Stoßzeiten kann es passieren, dass der Kunden an der Kasse denjenigen stört, der in Ruhe sein Obst und Gemüse auswählen möchte“, hat Zehra Yildirim beobachtet. Wenn dann noch Mitarbeiter mit dem Hubwagen kommen, um aufzufüllen oder die Ware zu pflegen, ist das Chaos perfekt. Am neuen Platz unterstreichen die Holzoptik der Aufbauten und eine hinterleuchtete, grüne Deckenabhängung die Bedeutung, die der Discounter dem Frischesortiment mittlerweile zuweist. Kühlprodukte an der langen Wandseite rahmen die Kochzone ein. Hier wurden die Möbel mit einem Baldachin versehen, sodass sie in der Wand verschwinden, und das Leitsystem – weiße Schriftzüge auf hellgrauem Grund – soll die Orientierung erleichtern.

Den Marktplatzcharakter in der Mitte der Filiale unterstreicht die neue Ordnung auf der Aktionsfläche: Auch hier gibt es keine von der Decke herabhängenden Preisplakate mehr, verschiedene Aktionsbereiche – Food, Nonfood, stark reduzierte Ware – sind deutlich voneinander abgegrenzt, und auch hier verschwinden die Regale hinter der optisch einheitlichen Verkleidung in Grau oder Holzoptik. Hochwertige Artikel werden in Vitrinen präsentiert. „In diesem Bereich ging es auch darum, wie wir die Mitarbeiter technisch bestmöglich unterstützen“, erläutert Zehra Yildirim. Die Regale haben Rollen, sodass sie ohne Hubwagen bewegt werden können, die Tische sind teilbar.

Hat der Kunde den Marktplatz durchschritten, trifft er auf eine neu gestaltete Kassenzone: Die Möbel für die Blumenpräsentation wurden in die Kassentische integriert, Einkaufstaschen liegen nicht mehr unter dem Kassenband, sondern hängen daneben. Auf einem digitalen Screen laufen Kundeninformationen, oder es wird Werbung platziert. Und auch die Nachkassenzone hat noch ein Highlight zu bieten: Hier gibt es Sitzgelegenheiten und den neu eingeführten Kaffeautomaten mit 16 verschiedenen Spezialitäten der Aldi-eigenen Kaffee-Rösterei.

Nachdem der Pilotmarkt im Münchner Süden sich etabliert hat, wollen die Projektmanager in den Regionalgesellschaften von Aldi Süd nicht lange fackeln. Alle Filialen sollen bis Ende 2019 umgebaut sein, neue folgen dem Typus der Zukunft bereits. So steht in Eglharting bei München schon eine neu gebaute Filiale: Wo es architektonisch möglich ist, sollen Decken künftig offen bleiben und durch bodentiefe Fenster auf der Fassaden-Seite viel Tageslicht in den Markt gelangen. Scheint das Umbauziel auch ehrgeizig – schließlich sind mehr als 1.800 Filialen dran – so geht es jetzt Schlag auf Schlag und jede Woche werden mehrere Neu- oder Wiedereröffnungen angekündigt.

Lidls neue Generation

Glasfronten, ein gemeinsamer Einund Ausgangsbereich, offene Decken mit freiliegenden Balken, ein großzügig gestalteter Innenraum mit breiteren Gängen und niedrigeren Filialen als bisher: Die neue Filialgeneration von Lidl zielt nicht nur darauf ab, dass sich die Kunden beim Einkaufen wohlfühlen, sondern ist auch gebäudetechnisch ein Novum. Die ökologische Bauweise und richtungsweisende technische Ausstattung wurden seit 2009 entwickelt und sind mittlerweile mit dem „Deutschen Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen“ ausgezeichnet. Dort, wo neue Filialen entstehen, folgen sie stringent dem neuen Konzept; andere Filialen werden im bestehenden Rahmen umgestaltet. Die Kunden erleben vor allem ein optisches Lift-up: Ein neues Farbkonzept löst das alte Lidl-Blau ab, dreidimensionale Logos der Eigenmarken an den Wänden sollen die Orientierung auf der Fläche erleichtern. Neu konzipiert wurden das Angebot der Back-waren und die Kassentische. Auf Frische und der Platzierung von Aktionsware liegt – ähnlich wie bei Aldi Süd – ein besonderer Fokus. Betont wird in Neckarsulm auch die Arbeits- und Aufenthaltsqualität für die Mitarbeiter der Filialen.


Warum das alles?
Was Aldi Süd seine „Filiale der Zukunft“ und Wettbewerber Lidl, der in ähnlicher Weise die Läden neu konfektioniert, „neue Filialgeneration“ nennt (siehe Text unten), beschreibt Andreas Kaapke, Professor für Handelsmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, als Antwort auf die „Schizophrenie des Verbrauchers“.

Wachsender betriebswirtschaftlicher Druck und schwindende Marktanteile ließen die verantwortlichen Discount-Manager dahin schauen, wo andere reüssieren: in die Supermärkte. „Ein dramatischer Anstieg der preisgünstigen Alternativprodukte in den Supermärkten hat dazu geführt, dass Verbraucher gelernt haben: Ich bekomme da, wo das Angebot etwas wertiger ist, auch preisgünstige Alternativen, also kann ich meinen gesamten Bedarf dort decken. Die Discounter machen mit ihrem Gourmet- und Luxus-Angebot genau dasselbe. Indem sie etwa neben den normalen Lachs den Gourmet-Lachs legen, suggerieren sie dem Kunden: Du bist schon in der richtige Verkaufsstelle, aber jetzt, wo Du Dir etwas gönnen möchtest, nimm doch die teurere Variante, auch die haben wir spitz kalkuliert.“

Hinzu kommt, dass sich Discount-Konzepte den gängigen Konsumtrends nicht verschließen können (oder wollen): Nachhaltigkeit, Wertigkeit, Tierwohl, Regionalität oder Fairtrade sind Aspekte, die zunehmend auch bei einem Aldi oder Lidl, Netto oder Penny ein entscheidendes Verkaufsargument liefern. „Also kommt die Frage auf, brauchen wir nicht eine generellere, sichtbarere Erneuerung“, meint Kaapke. „Und das macht man mit für den Kunden wahrnehmbaren Dingen wie Ladenlayout.“ Allerdings hätten Discounter da einen schwierigen Spagat zu erfüllen: Der Laden muss schöner sein als bisher, aber nicht so schön, dass der Verbraucher den Eindruck gewinnen könnte: Jetzt wird es teuer. „Es treten gelernte Mechanismen in Kraft: Der gleiche Kunde, der beim Aldi einen ganzen Karton unter den Arm klemmt, regt sich beim Rewe darüber auf, wenn ein Karton im Gang liegt.“ Dass die Neuorientierung weit über Ladengestaltung und Sortiments-Lift-up hinausgeht, erläutert Kaapke am Beispiel Lidl: „Das Signifikanteste nach außen waren die neuen Werbespots. Die waren so weit weg vom bisherigen Image, dass die meisten Verbraucher sie gar nicht zuordnen konnten.“ Die spitz kalkulierten Kernsortimente spielten darin kaum mehr eine Rolle, Frequenzbringer der Discounter sind vor allem Nonfood-Artikel zum speziellen Anlässen wie der Grillsaison oder dem Schulanfang: „Dagegen kommen die Supermärkte nur schwer an“, urteilt Kaapke. Eher müssten sie in Zukunft qualitativ mit Service-Elementen und Dienstleistungen aufrüsten.

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Bild öffnen Ganz neu: Der Kaffeeautomat mit 16 verschiedenen Kaffeespezialitäten und Sitzgelegenheit in der Nachkassenzone.
Bild öffnen Vor dem Markt steht ein digitales Display statt des alten Schaukastens für die Angebotsflyer.
Bild öffnen Kaum noch als Lidl zu erkennen: Die neu gestalteten Filialen der Neckarsulmer folgen in Architektur und Ladenbau einer klaren, modernen Linie, die den alten Look schnell vergessen macht.
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