Nonfood-Lieferkette Der perfekte Sturm

Strapazierte Lieferketten, unsichere Kalkulationen, Aktionsstress zu Weihnachten – die Nonfood-Krise trifft nun auch den deutschen Lebensmitteleinzelhandel mit voller Wucht. Händler und Industrie beklagen zunehmend coronabedingte Lieferschwierigkeiten, vor allem aus Asien, die für Bestandslücken auf den Nonfood-Flächen sorgen.

Sonntag, 14. November 2021 - Management
Rolf Schlipköter
Artikelbild Der perfekte Sturm
Bildquelle: Getty Images

Wenn selbst die Handelsexperten der „Bild“-Zeitung in Wallung geraten und ihre Leserschaft auf karge, freudlose Weihnachten mit deutlichen Bestandslücken auf dem Gabentisch einstimmen und lediglich die Versorgung mit Lebensmitteln zum Fest als hinreichend gesichert beschreiben, dann wird es offenbar eng bei den diesjährigen Weihnachtseinkäufen zwischen Cuxhaven und Konstanz. Befinden sich die Nonfood-Konsumwelten also am weihnachtlichen Abgrund oder ist so manches Rauschen im Blätterwald nur überzogene Panikmache und Schwarzmalerei?

Vieles spricht dafür, dass es vielleicht nicht ganz so schlimm wird, aber eben auch nicht wirklich gut. Weder zu Weihnachten noch in den Monaten danach. Denn in der Tat sind die Zeiten alles andere als rosig für Industrie, Importeure und Handel – insbesondere im Nonfood-Geschäft und dessen Warenbeschaffung aus Fernost. Konnte der Handel durch das Abflauen der Coronakrise und die zunehmende Kaufbereitschaft der Konsumenten auch im stationären Geschäft zunächst trotz einiger Lieferkettenprobleme und inflationär gestiegener Frachtkosten für Fernost-Importe noch auf positive Umsatzsignale für das Weihnachtsgeschäft hoffen, ist die gute Stimmung spätestens seit der Frachtschiffhavarie im Suezkanal und den sich danach dynamisch auftürmenden weiteren Unwägbarkeiten bei den Asienimporten verflogen.

Sichtbare Spuren im Regal
Zu viele Probleme kamen da in den vergangenen Monaten zusammen und wuchsen sich inzwischen zu einem veritablen Krisenpaket aus, dessen Spuren bereits jetzt auch in den Regalen und auf den Aktionstischen sowie in den Onlineshops des Lebensmitteleinzelhandels immer sichtbarer werden. Die überwiegend globalen Ursachen – in deren Zentrum vor allem China als wichtigster Nonfood-Beschaffungsmarkt und dominierende logistische Absenderadresse steht – sind vielfältig und werden von den Wirtschafts- und Forschungsinstituten sowie Analysten der Großbanken umfassend beschrieben und kommentiert: zumeist der Coronakrise geschuldete Rohstoff-Engpässe und damit verbundene massive Preissteigerungen, Nachfragekonkurrenz durch die USA, wechselseitige politische Wirtschaftssanktionen zwischen Ost und West, staatlich verordnete Produktionseinschränkungen in China, Containerknappheit im weltweiten Warenverkehr, durch restriktive Coronaregeln verursachte Abfertigungsprobleme in wichtigen Seehäfen in Fernost, weltweit unverarbeitete und sich somit dynamisch aufstauende Frachtvolumina an Land vor den Häfen, engste Verzahnung und Abhängigkeit von Zubehörlieferungen aus unterschiedlichen Beschaffungsländern in Just-in-time-Herstellungsprozessen, Mangel an qualifiziertem Personal, und, und, und …

Aktuelle Prognosen und Umfragen der Handelsverbände und Wirtschaftsinstitute geben ebenso Anlass zur Sorge – der „Spiegel“ zitierte kürzlich in einem Artikel die Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, nach denen die derzeitige Lieferkrise die deutsche Volkswirtschaft 40 Milliarden Euro kosten wird – wie die angespannte und immer nervösere Stimmung bei Lieferanten und Handel. Signifikante Preiserhöhungen kündigen sich nun ebenso an wie erste Nonfood-Regallücken bei Vollsortimentern und umgeschichtete oder komplett abgesagte Nonfood-Aktionen im Discount.

Erheblicher Beschaffungsdruck
Insbesondere stark nachgefragte Geschenkthemen wie etwa Spielwaren, Unterhaltungselektronik, Haushaltswaren und Textilien stehen unter erheblichem Beschaffungsdruck. Gerade Discounter, deren überwiegend aktionsgetriebene Nonfood-Angebote im Jahr 2020 laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) rund 4,6 Prozent der gesamten Nonfood-Umsätze im deutschen Einzelhandel ausmachten, geraten zunehmend in Zugzwang, lange geplante Aktionen zu verkleinern, zu verschieben oder gar ganz ausfallen zu lassen.

Aber auch Vollsortimenter und SB-Warenhäuser sowie Drogerien haben bei den margenstarken Nonfood-Sortimenten und Aktionen einiges zu verlieren. Gleiches gilt natürlich für die Angebotsseite von Nonfood-Industrie und -Importeuren. Schließlich lieferte der LEH im Jahr 2020 – ebenfalls laut GfK – mit einem Bruttoumsatz von knapp über 17,5 Milliarden Euro rund 10 Prozent der gesamten Nonfood-Umsätze in Deutschland. Ob diese Zahlen im laufenden und kommenden Jahr ebenfalls erzielt werden können, erscheint inzwischen mehr als fraglich.

Zusammenrücken und partnerschaftliches Miteinander zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Lieferanten und Handel ist nun das Gebot der Stunde, um vor allem das Verbrauchervertrauen und Verbraucherinteresse an den Nonfood-Angeboten auf den Flächen des LEH hochzuhalten.

Der Handel hat zumeist begriffen, dass gerade jetzt nicht bis hinter dem Prozentkomma ausgereizte Einkaufspreise zählen, sondern Verlässlichkeit und eine möglichst hohe Liefersicherheit bei der Warenbeschaffung. Viele große Importeure sowie namhafte Markenhersteller sehen sich aktuell nämlich sehr genau an, welche Händler ihnen partnerschaftlich und auf Augenhöhe das beste Einkaufspaket für ihre begrenzt verfügbaren Produkte bieten. Und sortieren dann auch schon mal allzu konditionsfokussierte Handelspartner mit dem diplomatischen Verweis auf mangelnde Warenverfügbarkeit aus ihrer priorisierten Lieferliste ab.

Die Krise gemeinsam bewältigen
Umgekehrt ist aus Industrie- und Importeurskreisen zu hören, dass sich gegenwärtig selbst marktmächtige Handelskonzerne bereitfinden, nachvollziehbare und transparent kommunizierte notwendige Preisaufschläge von wichtigen Stammlieferanten wegen deutlich gestiegener Herstellungs- und Transportkosten sogar auf bereits fest vereinbarte Aktionslieferkontingente zu akzeptieren. Und sie reagieren auch bei einer teilweise unvermeidbaren Spreizung der Lieferzeiten kooperativ. Branchenkenner berichten zudem von einer den Beschaffungsproblemen geschuldeten grundsätzlich steigenden Bereitschaft des Handels, zur sicheren Warenversorgung mit wichtigen Nonfood-Warengruppen im Regalgeschäft wieder eigene Lagerbestände aufzubauen.

Dies alles zeigt das ernsthafte Bemühen, gemeinsam die aktuelle Krise zu bewältigen und Nonfood als Umsatz- und Ertragsbringer für den Handel ebenso zu stabilisieren wie perspektivisch zu neuem Wachstum zu verhelfen. Nach der derzeitigen Krise werden erfahrungsgemäß eine ganze Reihe der Probleme, insbesondere die fragile Situation der globalen Lieferketten und auch die mangelnde Berechenbarkeit des riesigen chinesischen Beschaffungsmarktes erhalten bleiben. Auf Dauer stellt sich also die Frage nach Alternativszenarien für ein lieferstabiles Angebot wichtiger Nonfood-Warengruppen im LEH. Dazu und zu weiteren Fragen zum derzeitigen Stand der Dinge für das Nonfood-Geschäft im LEH nachfolgend drei kurze Statements aus der Industrie:

Stefan Krings, Geschäftsführer/CEO der Carrera Revell Group: „Unser Aktionsgeschäft entwickelt sich 2021 trotz der Liefer- und Kostenprobleme sehr gut, mit einer Steigerung zum Jahr 2020. Da der Handel im eigenen Import sowie bei einer Vielzahl von anderen Lieferanten mit denselben Problemen zu kämpfen hat, gibt es auf Handelsseite ein großes Verständnis für die aktuelle Situation. Zum Thema möglicher Beschaffungsalternativen: Im Bereich Modellbau und Zubehör produzieren wir größtenteils in Europa, in anderen Bereichen arbeiten wir an Alternativen. Im Bereich Elektronik ist dies allerdings kurzfristig nicht realisierbar. Ganz grundsätzlich rechnen leider auch wir erst zur Mitte des nächsten Jahres mit einer Entspannung der derzeitigen Liefersituation.“

Stephan W. Müller, Geschäftsführer der Scheppach GmbH: „Unser Aktionsgeschäft mit dem LEH entwickelt sich sehr erfreulich. Gerade in den zurückliegenden Monaten der Pandemie war der LEH ein stabiler und zuverlässiger Vertriebskanal für unsere Aktionsprodukte. In den wenigen Fällen von Verzögerung konnten wir einvernehmliche Lösungen finden. Dass aktuell notwendige Preiserhöhungen nicht immer auf das Wohlgefallen unserer Kunden trafen, ist nachvollziehbar. Aber wir erleben gerade außergewöhnliche Zeiten, die ein partnerschaftliches Miteinander absolut erfordern. Auch wir suchen zudem laufend nach Beschaffungsalternativen, unabhängig von der aktuellen Situation. Hier sind neben den Märkten in Fernost vor allem die Alternativen in Osteuropa interessant. Aber auch gerade in der aktuellen Zeit sehen wir, wie wichtig unsere hauseigene Produktion in unserem Werk in Ichenhausen ist, die seit Monaten auf Hochtouren läuft.“

Dirk Vroomen, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing der Prophete GmbH u. Co. KG: „Die Fahrradbranche ist stärker von der Supply-Chain-Krise betroffen als alle anderen Branchen, und davon bleiben natürlich auch wir nicht verschont. Trotz bulliger Nachfrage schrumpfen wir in diesem Jahr, wie auch die meisten großen Fahrradhersteller. Die Ausnahmesituation stellt die gesamte Branche auf eine neue Probe, die wir nur gemeinsam mit unseren Kunden bestehen können. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, mit Kostensteigerungen aus höherer Gewalt partnerschaftlich umzugehen.

Selbstverständlich suchen auch wir nach Beschaffungsalternativen zu asiatischen Fertigungsstätten, doch ist das letzte Teil am Fahrrad immer das Wichtigste. Auch mit exzellenter Verfügbarkeit von z. B. Rahmen würden wir kein einziges Fahrrad mehr ausliefern können. Es fehlen die hochvolumigen Präzisionsteile, die aus durchoptimierter japanischer Produktion für die ganze Welt hergestellt werden. Ein vergleichbares Werk in Europa aufzubauen wäre wünschenswert, doch ist unsere Branche für eine solche Investition in Europa zu wenig konzentriert. Die Kosten, die bei Pilotprojekten aufgerufen wurden, sind höchstens für Premiumprodukte marktfähig – nicht aber für unsere Premium-Economy-Bikes.“