Interview mit Jürgen Creutzmann „Produkte aus China nicht unter Generalverdacht“

Bei den Handelsbeziehungen zu China stößt die EU an Grenzen, sagt EU-Politiker Jürgen Creutzman. Ein Beispiel ist die Durchsetzung von Sicherheitsstandards.

Donnerstag, 09. Mai 2013 - Management
Artikelbild „Produkte aus China nicht unter Generalverdacht“
Bildquelle: Creutzmann

Seit 2009 ist Jürgen Creutzmann (FDP) Abgeordneter im EU-Parlament. Er ist Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz und im Ausschuss für Beschäftigung und Soziales.

Herr Creutzmann, wie wichtig ist der Handel Deutschlands und der EU mit China?
Jürgen Creutzmann: China ist einer der wichtigsten Zukunftsmärkte. Das Land entwickelt sich zu einem Produktionsstandort für den ganzen asiatischen Markt. Mit seinen mehr als 1,5 Mrd. Menschen, die stetig an Wohlstand und Kaufkraft gewinnen, kann uns China auf Jahre hinaus hohe Wachstumsraten bescheren, nicht nur im Export nach China, sondern auch beim Export aus China, weil wir die Skaleneffekte hoher und effizienter Produktion nutzen.

Wo sehen Sie Probleme?
Die größten Probleme bereitet uns China mit der Fälschung von Waren und der Nichtbekämpfung der Produktpiraterie.

Und wie könnte man diese überwinden?
Durch ein Handelsabkommen zwischen der EU und China, oder zumindest dadurch, dass man von China die Einhaltung der WTO-Vorschriften verlangt.

Im Lebensmittel-Bereich zählt China für Deutschland zu den Top-Ten-Lieferanten-Ländern. Wenn Sie sich die Zahlen für Äpfel oder Knoblauch ansehen, ist China für Deutschland eine Macht. Wie stellt die Politik sicher, dass chinesische Lebensmittel bzw. Lebensmittel-Zutaten den EU-Standards entsprechen, oder nimmt man eine geringere Qualität bewusst in Kauf? 
Lebensmittelimporte müssen den Vorschriften der EU entsprechen, ganz gleich aus welchem Land sie kommen. Verantwortlich im Falle von Drittländern wie China ist der Importeur. Er wird rechtlich wie der Hersteller behandelt, muss die Qualität sicherstellen und ist für diese haftbar.

In Deutschland hat Rückverfolgbarkeit eine zentrale Bedeutung. Werden chinesische Kontrollen und Siegel durch die EU oder die Nationalstaaten überprüft, oder vertraut man ihnen automatisch? 
In der EU gilt, dass jeder Teilnehmer in der Lebensmittelkette die vor- und nachgelagerten Stufen angeben können muss. Bei Importen aus Nicht-EU-Ländern stößt das Verfahren an Grenzen: Der europäische Importeur muss nur angeben, von welchem Exporteur, z. B. in China, das Produkt kommt. Die Stufe vor dem Exporteur liegt außerhalb des Kompetenzbereichs der EU. Mit Blick auf den Verbraucherschutz lassen sich mittlerweile viele Unternehmen von ihren Exporteuren die Rückverfolgbarkeit vertraglich zusichern. Kontrollsysteme, die die Einhaltung von EU-Standards garantieren, können vom Europäischen Lebensmittel- und Veterinäramt vor Ort, auch in China, überprüft werden. Eine Häufung von Problemen mit Produkten aus Drittstaaten bei Lebensmitteln ist mir nicht bekannt.

Bio ist schon in Deutschland nicht gleich Bio. Wo ist Bio aus China einzuordnen?
Die Importeure müssen sich vorab bei einer Behörde zertifizieren lassen. Die EU hat eine Liste aufgestellt mit Ländern, wie der Schweiz, deren Bio-Vorschriften mit unseren vergleichbar sind. Hier ist der Import verhältnismäßig leicht. Bei Ländern, die nicht auf dieser Liste stehen, wie z. B. China, muss erst eine Vermarktungsgenehmigung erteilt werden. Dazu müssen entsprechende Kontrollen nachgewiesen werden, bevor das EU-Bio-Siegel aufgedruckt werden darf. Für China steht hier viel auf dem Spiel, da der Bio-Markt weiterhin stark wächst. In Europa muss der jeweilige Erzeuger die Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Vorschriften tragen.

Inhaltsstoffe oder Lebensmittel aus China sind in der Regel nicht als solche gekennzeichnet. Finden Sie es ausreichend, dass auf Verpackungen steht „hergestellt für Handelsunternehmen xy", aber Hinweise auf das Absender-Land China fehlen?
Wir sollten die chinesischen Produkte nicht unter Generalverdacht stellen. Inhaltsstoffe müssen, egal woher, auf der Verpackung entsprechend der geltenden EU-Regeln aufgeführt werden. Ob die Maisstärke nun aus Deutschland, Rumänien oder China kommt, ist zweitrangig – solange die Sicherheit und Qualität gewährleistet ist. In der Praxis könnte man oftmals alle Herkunftsländer gar nicht aufführen. In Fertiggerichten sind Zutaten aus der ganzen Welt verarbeitet. Zudem, was tun, wenn jahreszeitbedingt die Lieferungen aus einem anderen Land kommen? Dann müsste der Hersteller seine Verpackungen oft überarbeiten. Und letztlich: Wo liegt hier der Mehrwert für den Verbraucher? Die mit Informationen überfrachteten Verpackungen überfordern viele schon heute.

Kennen Sie Fälle von chinesischer Wettbewerbsspionage bei Lebensmitteln?
Nein. Allgemein gilt, Wettbewerbsspionage kann nicht geduldet werden, und wir sollten alle Mittel ergreifen, um gegen sie vorzugehen. Dabei bedarf es auch der Unterstützung des Landes, in dem die Spionage stattfindet. Leider müssen wir immer wieder feststellen, dass die Unterstützung aus China verbesserungswürdig ist.

Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards, Menschenrechte: Was tut die EU, um die Bedingungen in China zu verbessern?
Die EU versucht Einfluss zu nehmen. Das wird aber immer schwieriger. Während man in der Vergangenheit Forderungen stellen konnte, kann China heutzutage immer selbstbewusster auftreten. Allerdings denke ich, dass sich ein Bewusstsein für diese Fragen in China entwickelt. International tätige Firmen, die in China produzieren, sollten in der Öffentlichkeit getadelt werden, wenn sie Arbeits- und Sozialdumping dulden.
Generell muss die Marktüberwachung wesentlich verbessert werden, um die aufgeworfenen Probleme lösen zu können. In Europa sind die Mitgliedsstaaten für die Marktüberwachung zuständig, in Deutschland die 16 Bundesländer. Zuerst müssen wir die Zollbehörden in die Lage versetzen, ihre Kontrollfunktionen auch wahrnehmen zu können. In Deutschland fehlen beispielsweise tausende von Zollbeamten, und die EU-Kommission hat keine Möglichkeit, Deutschland zu zwingen, seine Anzahl zu erhöhen. Des Weiteren müssen wir Bürokratie abbauen, um die Effizienz der Zollbehörden zu erhöhen. Darüber hinaus brauchen wir verbesserte Standards beim Bekämpfen der Produktfälschungen und eine verstärkte weltweite Zusammenarbeit der Zollbehörden. Eine bessere Koordination der Bundesländer untereinander könnte auch zu mehr Effizienz bei der Lebensmittelüberwachung führen.

Bild: Jürgen Creutzmann, MdEP, arbeitete mehr als 30 Jahre bei BASF.