Studie zu Preisverhandlungen Einkäufer setzen auf Daten, Verkäufer auf Erfahrung

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In den Verhandlungen der Lebensmittelbranche geht es um viel. Trotzdem hat bislang kaum jemand untersucht, wie Einkäufer und Vertriebler entscheiden. Nun liegt eine Studie vor.

Freitag, 21. Februar 2025, 06:40 Uhr
Matthias Mahr
Bildquelle: Adobe Stock

Preisverhandlungen in der Konsumgüterbranche sind ein hartes Business. Eine neue Studie der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn zeigt, dass Referenzpreise – also Vergleichswerte wie beispielsweise Börsen- und Rohstoffpreise oder Preise aus vergleichbaren Angeboten – am Verhandlungstisch eine zentrale Rolle spielen. Die Untersuchung der Hochschullehrer Carsten Kortum und Michel Mann bietet nach Angaben der beiden erstmals eine umfassende Analyse zur Nutzung von Referenzpreisen in Verhandlungen und liefert praxisnahe Empfehlungen.

Die wissenschaftliche Auswertung basiert auf einer Umfrage unter 234 Fachleuten aus Einkauf und Vertrieb in den Bereichen Food, Nearfood und Nonfood. Die zentrale Fragestellung lautete: Wie werden Referenzpreise in Preisverhandlungen eingesetzt? Die Studie arbeitete grundlegende Herangehensweisen heraus: Verhandler auf Einkaufs- und Verkaufsseite stützen sich auf Erfahrungswerte, nutzen Daten oder vertrauen auf ihre Intuition. Während sowohl Einkäufer als auch Verkäufer Erfahrungswissen ähnlich häufig nutzen, sind Einkäufer deutlich datengetriebener, um ihre Verhandlungsstrategie zu untermauern. Verkäufer hingegen verlassen sich stärker auf ihr Bauchgefühl und nutzen Referenzpreise eher punktuell.

Woher kommen Referenzpreise?

Einkäufer setzen Referenzpreise breit ein. Sie vergleichen Angebote anderer Lieferanten (83 % der Befragten), berücksichtigen Rohstoff- sowie Börsenpreise (74 %) und greifen auf frühere Abschlüsse zurück (66 %). Verkäufer stützen sich primär auf frühere Verhandlungspreise (77 %) und Börsen- oder Rohstoffpreise (55 %), während Angebote von Wettbewerbern eine geringere Rolle spielen.

Die Zahlen belegen: Während Einkäufer intensiv mit externen Benchmarks arbeiten, orientieren sich Verkäufer eher an der eigenen Preisgestaltung. Dies führt dazu, dass Einkäufer ihre Forderungen mit einer Vielzahl an Vergleichswerten untermauern können, während Verkäufer oft weniger stichhaltige Argumente haben. Ein weiteres zentrales Ergebnis: Die Nutzung von Referenzpreisen nimmt im Verlauf der Verhandlung ab. Während nahezu alle Befragten (rund 90 %) sie zur Vorbereitung nutzen, setzen nur noch rund 20 % Referenzpreise in der Nachbereitung ein. Einkäufer bleiben dabei länger datenorientiert als Verkäufer – insbesondere in der eigentlichen Verhandlungsphase und beim Abschluss.

Besonders auffällig ist, dass Einkäufer Referenzpreise nutzen, um Preisobergrenzen festzulegen (81 %), Forderungen zu begründen (82 %) und Argumente zu stärken (77 %). Verkäufer hingegen tun dies deutlich seltener.

Wann nutzen Sie Referenzpreise im Verhandlungsprozess

Zwei Typen dominieren die Verhandlungswelt

Basierend auf den Daten haben die DHBW-Professoren zwei Verhandlungstypen identifiziert. Heavy User sind datengetrieben und setzen Vergleichswerte systematisch in allen Verhandlungsphasen ein. Sie finden sich häufiger unter Einkäufern. Hingegen greifen Light User selektiv auf Referenzpreise zurück, vor allem in der Vorbereitungsphase. Diese Gruppe ist meist bei Verkäufern vertreten. „Die Ergebnisse legen nahe, dass ein datengetriebener Ansatz für erfolgreiche Verhandlungen essenziell ist. Heavy User erzielen bessere Resultate, da sie sich umfassend vorbereiten und fundierte Argumente haben“, sagt Kortum, der sich als ehemaliger Lidl-Manager mit den Einkaufsstrategien des Handels auskennt.

Die Studie (Download unter: handel-dhbw.de/schriftenreihe/whitepaper) macht deutlich: Einkäufer nutzen Referenzpreise intensiver als Verkäufer – und haben dadurch oft die besseren Karten in Verhandlungen. „In vielen Warengruppen hat der Einkäufer mehr Macht und Alternativen, während die Verkaufsseite oft mit Überkapazitäten kämpft und jede profitable Listung oder Aktion gerne annimmt“, verweist Professor Mann im LP-Gespräch auch auf seine eigenen Erfahrungen auf der Industrie-Seite. Der Verhandlungsforscher hat vor seiner Hochschultätigkeit unter anderem bei Vileda und Reckitt-Benckiser in Sales-Positionen Verkaufsgespräche geführt.

Funktionen von Referenzpreisen

Während sich Verkäufer stärker auf Erfahrungswissen und Intuition verlassen, setzen Einkäufer gezielt auf Zahlen und externe Benchmarks. Das könnte auch dem Zeitgeist geschuldet sein. Immer öfter beklagen Sales Manager aus der Industrie ständig wechselnde Einkäufer auf Handelsseite. „Die Einkäufer werden immer jünger und haben oft keinerlei Erfahrung in der Warengruppe“, beklagt ein Verkäufer aus dem Haushaltswarenbereich. Unter dem Strich stehen seiner Meinung nach suboptimale Ergebnisse. „Jungen Einkäufern fehlt der Mumm, auch mal neue Wege zu gehen, ein neues Produkt zu testen“, berichtet der erfahrene Key Accounter, der nicht genannt werden möchte. Wer nur nach Referenzpreisen kaufe, liege nicht immer richtig. Besonders bei Nonfood-Warengruppen drücke sich inzwischen auch in Langeweile im Regal und fehlenden Impulskäufen aus.

Der Handel strukturiert wohl auch deshalb um. „Die beiden Abteilungen Einkauf und Vertrieb Nonfood vereinen sich neu in der Abteilung Ware & Vertrieb Nonfood“, schrieb die Edeka-Minden im Oktober 2024 ihren Lieferanten. Ferner heißt es in der Mitteilung, die der LP vorliegt: Die Warenmanager und deren Teams übernehmen in persona alle einkaufs- und vertriebspezifischen Themen. Ziel sei es, effektiver und zielgerichteter Potenziale zu heben. Dafür braucht es in der Konsequenz noch mehr Vergleichspunkte, um die Messbarkeit des Erfolges vom Einkauf bis zum Vertrieb nachvollziehen zu können.

Was bedeutet das für die Praxis?

Referenzpreise sind ein mächtiges Werkzeug in Verhandlungen. Was Carsten Kortum im Befragungsergebnis überraschte: „Interessanterweise sind es die erfahrenen Einkäufer, die intensiv Referenzpreise nutzen. Das liegt wohl daran, dass sie mehr Warengruppen betreuen und größere Verantwortung haben. Ich hätte gedacht, dass die jungen Einkäufer aus Unsicherheit stärker auf Vergleichspreise setzen.“

Für die beiden Wissenschaftler Mann und Kortum sind Referenzpreise strategische Werkzeuge. Einkäufer sollten aktiv verschiedene Quellen nutzen, um eine starke Argumentationsbasis zu schaffen, bilanzieren sie. Verkäufer sollten hingegen ihre Strategie anpassen und datenbasierte Argumente entwickeln. „Wer sich nur auf Intuition verlässt, hat in datengetriebenen Verhandlungen oft das Nachsehen“, hebt Verhandlungsexperte Mann hervor. Seiner Meinung nach sollten Unternehmen ihre Verhandlungsteams schulen, um den effektiven Einsatz von Referenzpreisen zu fördern. Besonders Verkäufer können von einer strukturierteren Nutzung verstärkt profitieren.

Die Digitalisierung hat den Zugang zu Daten erleichtert – nun liegt es an den Unternehmen, diese auch gewinnbringend einzusetzen. Wer datengetrieben verhandelt, hat langfristig bessere Erfolgschancen.