In Russland herrschte nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches Goldgräberstimmung für den Lebensmittelhandel. Der Nachholbedarf war immens. Ein Großflächen-Manager erinnert sich an seine Zeit in Europas Osten, die Anfang der 2000er-Jahre begann: „Wir haben nicht mehr über Flächenproduktivität nachgedacht. Wir haben Kunden pro Quadratmeter ermittelt, damit wir unsere Gänge für den Ansturm im ehemaligen Ostblock optimieren konnten.“
Zwar sei der Durchschnittsbon immer niedriger als im Westen gewesen, aber es waren die geringeren Kosten und die gigantischen Mengen an kaufwilligen Menschen, die das Geschäft in Moskau, Warschau oder Prag so lukrativ und margenstark gemacht haben.
2001 wagte die Metro als erster deutscher Händler den Schritt in den augenscheinlich vielversprechendsten Markt Osteuropas, nach Russland. Andere deutsche LEH-Konzerne blieben den Moskauer Lockrufen fern. Das politische Risiko schien zu groß. Sie fühlen sich heute bestätigt.
Globus steigt 2006 in Moskau ein. Wie bei Metro beginnt eine Erfolgsstory, die in die Abhängigkeit von Putins Gnaden führte. Die Händler vom Rhein und von der Saar entwickeln an der Moskwa ihr ertragreichstes Geschäft. Bei Beginn von Putins-Angriffskrieg liegen die Kronjuwelen beider in Russland und nicht im Heimatmarkt.
Russland brachte Metro und Globus Ertrag
Rückblick: Die Metro AG ist nur noch ein Abklatsch früherer Tage. Beim Einstieg in Russland 2001 beträgt der Konzernumsatz 49,5 Milliarden Euro bei einem EBIT von 1,13 Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss beziffert sich auf 449 Millionen Euro und der Auslandsanteil am Gesamtumsatz beträgt 44,4 Prozent. Metro Cash & Carry, Real, Media Markt und Saturn sowie Kaufhof erwirtschaften positive Erträge im diversifizierten Handelskonzern.
Die heutige Metro AG entsteht 2017 durch eine Aufspaltung, bei der das Großhandelsgeschäft von den Elektroniksparten Media Markt und Saturn getrennt wird. Real geht 2020 von Bord.
Seither ist die Metro bloß Großhändler mit anhaltenden strukturellen Problemen im deutschen Markt, wie es in Analystenkreisen heißt. Trotz Krimkrise werden die Weichen nicht neu gestellt. Russland bleibt für die Metro ein Aushängeschild, weil hier Erträge jenseits der Möglichkeiten in Deutschland winken. Es entsteht die Abhängigkeit, die den Konzern nun leiden lässt.
Im Geschäftsjahr 2023/24 erreichte die Metro AG einen Gesamtumsatz von 31,0 Milliarden Euro, ein Plus von 1,6 Prozent im Vorjahresvergleich. Unter dem Strich steht ein Verlust von 125 Millionen. 15,8 Prozent des Gesamtumsatzes erwirtschaftet die Metro in Deutschland, 7,7 Prozent in Russland. Jedoch liegt der EBITDA dort mit 143 Millionen Euro deutlich über dem deutschen (111 Millionen Euro).
„Die Metro kann auf das Geschäft in Putins Reich nicht verzichten. Deutschland läuft einfach nicht, Russland hingegen ist immer profitabel“, sagt ein ehemaliger Flächenmanager der Düsseldorfer zur Lebensmittel Praxis. Er glaubt nicht an eine positive Entwicklung im Heimatmarkt und hat nach seinen Aussagen den Absprung geschafft. Die Zahlen aus dem 4. Quartal scheinen das zu belegen. Russland wächst beim Umsatz um 10,1 Prozent, während Deutschland auf Vorjahresniveau stagniert.
Metro-Chef Steffen Greubel betonte im September 2024 während der Bilanzpressekonferenz, dass die Gefahr einer Enteignung durch den Kreml groß sei, würde die Metro über Rückzugspläne auch nur nachdenken. Das Unternehmen besitzt in Russland 93 Märkte, davon 89 in Eigentum. Bei Metro stehen nach Angaben des Portals „Supermarkt-Insider“ 2023 Werte von rund 2,4 Milliarden Euro in der russischen Bilanz, das 1,7-Fache des EBITDA. Bei Globus liegen die Vermögenswerte bei rund 1,7 Milliarden Euro, betont der Blog, der dem ehemaligen Kaufland-Vorstand Frank Lehmann gehört.
Wladimir Putin könnte per Dekret zuschlagen und nicht nur der Metro einen bedeutenden Arm abschlagen. Das drückt auch auf das Gemüt der Analysten.
Einer, der nicht genannt werden möchte, gibt zu Protokoll: „Der Quasi-Verlust des werthaltigen Immobilienportfolios, das aktuell nicht fungibel ist, wiegt schwer. Ein Exit aus Russland würde eine Abgabe des Immobilienbesitzes weit unter Wert zur Folge haben. Ein unwiederbringlicher Verlust.“ Das sei ein unvorstellbares Loch, das so ins Eigenkapital gerissen werde. Also durchhalten. Die Metro hat keine andere Wahl. Die unternehmerischen Kosten wären zu hoch. Übrigens auch für Globus, die ihre Hypermärkte Anfang 2025 in eine eigenständige Gesellschaft überführte. Die Globus-Gesellschafter um Matthias Bruch bleiben zwar an der neuen russischen Gesellschaft beteiligt, aber die Globus Holding habe ihre direkte Beteiligung vollständig abgegeben (siehe LP 01/2025, Seite 20).
Auch die Mitarbeiter der Metro in der Ukraine haben inzwischen verstanden, dass ihr Vorstand in diesem Konflikt eigentlich nur verlieren kann – und damit auch sie selbst. Der Metro-Chef hat sich aus den sozialen Medien etwas zurückgezogen.
Sogar der aktuelle Bericht der Nichtregierungsorganisation B4Ukraine, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, löst keinen „Shitstorm“ mehr aus. Darin klagen die ukrainischen Lobbyisten wiederholt westliche Unternehmen für ihr Verharren in Russland an. Im Gleichklang werden sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „westliche Geldgeber Putins“ gebrandmarkt, da sie mit ihren Steuern zum Kriegshaushalt der Russen beitrügen.
Es geht um Risikominimierung
Metro und Globus bewegen sich unauffällig zwischen den Linien. Strategische Investitionen? Längst gestrichen. Nur Erhaltungsinvestitionen werden getätigt. Das geht zulasten des Gewinns und sollte die pro-ukrainische Seite milder stimmen. Rheinländer und Saarländer haben ihr russisches Geschäft isoliert. Für beide geht es um ihre Zukunftsfähigkeit.
Der Verlust des jeweiligen Russlandgeschäfts kann laut Expertenmeinungen Metro im schlechtesten Fall in einen Überlebenskampf stürzen. Auf bessere Zeiten hoffen – bessere Optionen gibt es für den AG-Vorstand Greubel und den Familienunternehmer Bruch nicht. Ein Verkauf der russischen Gesellschaften ist weder bei Metro noch bei Globus beabsichtigt, darin sind sich alle Marktbeobachter einig. Aufgrund politischer und wirtschaftlicher Umstände sei dies zu riskant. „Dann greift Putin zu und der Scherbenhaufen ist da“, sagt der ehemalige Metro-Flächenmanager. Die tschechischen Mehrheitsaktionäre der Metro dürften das nach seinem Kenntnisstand natürlich keinesfalls unterstützen.
Derweil versucht nicht bloß Globus, Risiken durch die Auslagerung des Russlandgeschäfts zu minimieren. Im Falle einer Pleite wäre „nur“ das eingesetzte Eigenkapital verloren. Die Metro leidet zudem unter der schwachen Positionierung im deutschen Markt, wo seit Jahren Gewinne fehlen. Der Rückgang der Bonität und damit verbunden steigende Finanzierungskosten verstärken diese Probleme. „Greubel hat mit seinem Team ein gutes Momentum in die Metro gebracht“, betont der bereits zitierte Analyst. Aber: Die Fokussierung auf die Gastro-Szene greife noch nicht, da diese unter Personalmangel, steigenden Kosten und Konsumzurückhaltung leide. Diese schwierigen Rahmenbedingungen und fehlende Dividenden machten es ihm schwer, die Aktie besser zu bewerten. Außerdem sei die Greubel-Strategie mit hohen Anfangsinvestitionen in Vertrieb sowie Logistik verbunden. Das belaste die Marge sehr.
Bessere Zahlen in Deutschland sind für die Metro essenziell. Auch Globus muss außerhalb Russlands wachsen. Wenn die Übernahme der Real-Flächen stärker zündet und sich in Erträgen ausdrückt, verliert der Kessel Druck, erklären Branchen-Experten. Der Umsatz der SB-Großflächen in Deutschland sowie Hypermärkten in Tschechien und Russland lag zuletzt bei 7,59 Milliarden Euro, was um Währungseffekte und Tankstellenumsätze bereinigt ein operatives Plus von 6 Prozent bedeute, erklärte Matthias Bruch vor Weihnachten.
Positive Ergebnisse im Heimatmarkt minimieren das Risiko in Russland, weiß ein ehemaliger Edeka-Manager, der zu Jahresbeginn an einem Händler-Treffen in Österreich teilgenommen hat. Thema waren Russland und Donald Trump. Der ist für viele Manager ein Hoffnungsträger. Dem neuen US-Präsidenten trauen sie zu, dass er Putin zum Einlenken bringt und in Russland Geschäfte wieder möglich macht.
Jetzt schon weiter denken
Ein Kommentar von Matthias Mahr
Die Nichtregierungsorganisation B4Ukraine prangert in ihrem aktuellen Bericht von vor wenigen Tagen wiederholt jene westlichen Unternehmen als Putin-Unterstützer an, die noch in Russland Geschäfte machen. Darunter die Metro und der Großflächenbetreiber Globus.
Dem Abgrund entgehen
Unter „Putins westlichen Geldgebern“, so titelte vor wenigen Tagen die Frankfurter Allgemeine, findet sich weiterhin eine illustre westliche Unternehmensschar, die vom französischen Händler Auchan bis hin zu Philip Morris reicht. Für die Metro und Globus möchte ich an dieser Stelle offen eintreten. Beide Unternehmen sind im guten Glauben vor annähernd 20 Jahren in Russland (auch mit politischer Unterstützung) tätig geworden und haben massiv investiert. Unisono haben sie dort werthaltige Immobilien geschaffen, die jetzt infolge des russischen Krieges in der Ukraine quasi nicht mehr verwertbar sind und bei drohendem Totalverlust gar die einst große Metro laut Insider-Meinungen in den Abgrund reißen könnten.
Das Spielen auf Zeit
Es ist richtig, dass der deutsche Großhändler und der deutsche Großflächenbetreiber bleiben. Sie können auch nicht anders. Beide verstoßen ausdrücklich nicht gegen das Sanktionsrecht. Beide halten sich in Russland zurück: Die Geschäfte laufen schlechter, es fließt immer weniger in Putins Kassen. Ein wirtschaftlicher Totalverlust beider in Russland hätte auch negative Auswirkungen auf Metro und Globus in Deutschland. Beide spielen auf Zeit. Das ist gut so. Wenn wir den Blick nach vorne richten, können Düsseldorfer und St. Wendeler die Brückenbauer für die Zeit nach dem Krieg werden, eben weil sie in Moskau geblieben sind. Wenn auch nur notgedrungen.