Diskussion um Öffnungszeiten Länger offen war gestern – die Branche diskutiert über den Ladenschluss

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Einerseits fehlen Mitarbeiter, andererseits steigt der Umsatzdruck: Der Ladenschluss ist wieder zum Thema von Händlern und Politikern geraten. Was für, was gegen neue Regeln spricht.

Freitag, 31. Januar 2025, 06:40 Uhr
Tobias Dünnebacke
Diskussion um Öffnungszeiten
Bildquelle: Adobe Stock

Dienstagabend, kurz vor 
22 Uhr in einem Supermarkt in Rheinland-Pfalz. In den Regalen klaffen Lücken. Die Frischetheken, obwohl noch geöffnet, sind weitgehend abgeräumt. Auf die Frage, ob es noch gemischtes Hack gebe, antwortet die sichtlich übermüdete Verkäuferin: „in der Kühltruhe“. Man spürt: Sie will nach Hause. Kunden gibt es kaum noch. An der Kasse steht ein Mann im Anzug mit einem Fertigsalat für 2,99 Euro auf dem Band. Abende wie dieser bieten kein erfreuliches Erlebnis – nicht für die Kunden, nicht für die Mitarbeiter, nicht für den Händler.

Die Branche schien sich lange damit abgefunden zu haben – nun aber geraten die Öffnungszeiten wieder zum Thema: Vor allem die grassierende Personalnot hat die Lage geändert. Schon für die Kernöffnungs­zeiten finden viele Kaufleute nur mit Mühe Mitarbeiter. Schichten, die bis in die Nacht andauern, können manche gar nicht mehr besetzen – und schließen deshalb die Bedientheken oder gleich den ganzen Laden zu Zeiten fast wie in den 1990er Jahren. Weil das der Konkurrenz in die Karten spielt, blicken manche in der Branche gar auf die Politik: Warum nicht die Öffnungszeiten bundesweit vereinheitlichen – und damit vielerorts verkürzen?

„Mutti soll abends zu Hause sein“ plakatierte 1985 die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) im Kampf gegen eine Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes. Die Streitlinien in der jahrzehntealten Debatte sind bis heute gleich: Es steht die unternehmerische Freiheit dem Schutz der Mitarbeiter und der verfassungsrechtlich garantierten Sonntagsruhe gegenüber. Der Kampf der HBV, die längst in Verdi aufgegangen ist, ging mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 verloren: Es entstand in den Bundesländern ein Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen. Während in Baden-Württemberg ein Lebensmittelhändler seinen Laden 24 Stunden geöffnet lassen kann, ist im Nachbarland Bayern um 20 Uhr Schicht im Schacht. „Wir würden eine einheitliche Regelung begrüßen, um insbesondere Unterschiede an den Landesgrenzen zu beseitigen“, sagt Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverbands Bayern. Er wünscht sich, freilich, eine Regelung nach bayerischem Geschmack: Zu liberale Öffnungszeiten setzten besonders kleine Händler unter wirtschaftlichen Druck, verschärften den Fachkräftemangel und seien unrentabel.

Das alles sind Argumente, die Händler auch anderswo zuweilen anführen. Taugt die verordnete bayerische Kaufruhe also als Vorbild für ganz Deutschland?

Ein Flickenteppich aus Öffnungszeiten über die einzelnen Bundesländer

Bayern, das gallische Dorf

Ohlmann, gebürtiger Rheinländer, ist seit 25 Jahren für den bayerischen Handel aktiv und hat das Thema Öffnungszeiten „so gern wie Zahnschmerzen“, wie er gerne zugibt. Den Freistaat bezeichnet er als „gallisches Dorf“: Bis heute hat Bayern als einziges Bundesland kein eigenes Ladenschlussgesetz – sodass dort noch immer uralte Bundesregelungen gelten. Doch das wird sich bald ändern. Ein Entwurf der Koalition aus CSU und Freien Wählern befindet sich in der Verbändeanhörung. Die Verabschiedung wird noch für das erste Halbjahr 2025 erwartet. Das geplante bayerische Ladenschlussgesetz wird allerdings nicht gerade eine Revolution auslösen – sondern bedeutet bei genauerem Hinsehen eher eine minimale Anpassung: Der Schutz von Sonn- und Feiertagen sowie die werktäglichen Öffnungszeiten bleiben weitgehend unangetastet. Künftig können Kommunen aber im Jahr bis zu acht lange Einkaufsnächte organisieren. Händler dürfen zudem an vier Abenden pro Jahr bis 24 Uhr die Türen öffnen. „Kreative Impulse, die wir und unsere Mitglieder gut finden“, sagt Ohlmann. Dass die bayerische Staatskanzlei grundsätzlich an der 20-Uhr-Grenze festhält, sei bei allen großen Supermarktbetreibern auf Zustimmung gestoßen, behauptet der Handelsverband. Und überhaupt: Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern hätten gezeigt, dass länger geöffnete Läden nicht immer wirtschaftlich seien.

Geschlossene Bedientheken? Sehen nicht gut aus

Zweifel am wirtschaftlichen Nutzen längerer Öffnungszeiten werden von Gegnern der Rund-um-die Uhr-Verfügbarkeit immer wieder angebracht. Die Datenlage zu dem Thema ist dünn, die Beurteilung stark abhängig vom Standort. Eine Studie über die Wiener Innenstadt kam vor mehr als 20 Jahren zu dem Ergebnis, vor allem große, filialisierte Handelsketten profitierten von langen Öffnungszeiten, während sich für kleine Einzelhändler der zusätzliche Kostenaufwand nicht lohne. Durch spätere Öffnungszeiten ergebe sich für sie ein Wettbewerbsnachteil. Gewerkschafter – noch immer Verfechter restriktiver Regelungen – argumentieren ähnlich: „Die Ausweitung der Öffnungszeiten hat in der Vergangenheit nie zu nachhaltiger Umsatzsteigerung geführt, lediglich zu Umsatzverschiebungen“, sagt Ralph Thomas, Gewerkschaftssekretär bei Verdi in Berlin.

Sonntagsöffnung: Umfrage-Chart, ob sich das lohnt

Die Supermarktbetreiber selbst sind sich uneinig – es gibt noch immer auch Kaufleute, die Öffnungszeiten verlängern: Alexander Kreuzberg, Edeka-Händler aus Koblenz, hat Mitte letzten Jahres den Verkaufsbeginn in seinen Märkten um eine Stunde auf 7 Uhr vorverlegt. „Direkt gegenüber dem Koblenzer E-Center befindet sich ein Penny-Markt, der schon immer zu dieser Zeit geöffnet hat. Jeden Morgen standen dort mindestens 20 Autos, während unser Markt noch geschlossen war“, begründet er seine Entscheidung. Der Händler ist überzeugt: Ein Zurück kann es für ihn aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr geben. Die zusätzlichen Energiekosten seien marginal, weil Kühlungen und IT-Systeme auch nachts laufen müssten und die Beleuchtung dank LED-Technik nur wenig Strom benötige.

Über positive Erfahrungen mit verlängerten Öffnungszeiten berichtet auch Frank Ebrecht. Der Geschäftsführer von Edeka Niemerszein in Hamburg sagt über zwei Standorte in der Osterstraße im Stadtteil Eimsbüttel: „Der eine war bis 20, der andere bis 21 Uhr geöffnet. Irgendwann haben wir die Öffnungszeiten auf den späteren Zeitraum angeglichen.“ Insgesamt hätten die Märkte, die nur rund 100 Meter auseinanderliegen, anschließend deutlich mehr umgesetzt. „Das hat uns überrascht“, sagt Ebrecht. Mit 21 Uhr allerdings schließen die Niemerszein-Märkte noch immer viel früher als Lebensmittelläden in manchen anderen Großstädten: In der Kölner Innenstadt etwa haben einige Märkte bis 24 Uhr geöffnet. Und auch Edekaner Ebrecht kennt die Schwierigkeiten vieler Kaufleute, lange Öffnungszeiten sicherzustellen: „Der größte Kostenfaktor sind die Mitarbeiter. Viele Kollegen schaffen es nicht mehr, die Märkte so zu besetzen, dass sie qualitativ und quantitativ gut aufgestellt sind.“ Die Bedientheken früher schließen – das sehe nicht gut aus, sagt Ebrecht. Klar also, dass der Fachkräftemangel eine Diskussion um die Öffnungszeiten auslöse.

Zeit für Diebe

Patrick Schlüter hat schon durchgegriffen: Der Geschäftsleiter eines Globus-Markts am Stadtrand von Koblenz hat die Öffnungszeiten vor zwei Jahren um eine Stunde auf 20 Uhr verkürzt. „Schichtsysteme von 7 bis 22 Uhr mit entsprechenden Vor- und Nacharbeiten sind sehr unattraktiv. Je kürzer die Öffnungszeiten, desto höher die Chancen, die richtigen Mitarbeitenden zu finden“, sagt er. Die Öffnungszeiten seien immer stärker Thema bei der Mitarbeiter-Rekrutierung. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Ralph Thomas von Verdi. Die Arbeitsplätze im Handel seien nicht beliebt und würden unattraktiver, je länger geöffnet sei. Frank Ebrecht aus Hamburg sagt: „Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter sicher nach Hause kommen.“ Unter anderem deshalb habe Niemerszein auf eine Ausweitung der Öffnungszeiten über 21 Uhr hinaus verzichtet.

Hinzu kommt: Je später der Abend und je leerer der Laden, desto höher die Diebstahlquote. In den letzten zwei Stunden des Tages beschäftigt Niemerszein denn auch eine externe Sicherheitskraft am Eingang. Auch Edeka-Kollege Kreuzberg aus dem Rheinland berichtet über vermehrte Diebstähle am Abend. Das Thema ist keine Bagatelle: Die Zahl der angezeigten Ladendiebstähle in Deutschland ist laut polizeilicher Kriminalstatistik im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 23,6 Prozent auf 426.096 Fälle gestiegen. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher: In der EHI-Studie „Inventurdifferenzen 2024“ schreiben die Autoren, für den Handel sei es in diesem Kontext die größte Herausforderung, Personal für die Aufsicht zu finden.

Ausweitung der Öffnungszeiten: 53% lehnen das ab

Heiliger Sonntag

Neben den werktäglichen Öffnungszeiten sorgt auch immer wieder der Sonntag für Diskussionsstoff. Vertreter von Kirchen und Gewerkschaften pochen auf die Einhaltung der verfassungsrechtlich verankerten Sonntagsruhe. Im Grundgesetz heißt es dazu: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Doch es gibt in den Ländern Ausnahmen: Zurückhaltend ist Baden-Württemberg mit nur drei möglichen verkaufsoffenen Sonntagen. Liberaler geht es in Berlin zu mit bis zu acht langen Wochenenden, an denen Geschäft gemacht werden darf. So die theoretische Gesetzeslage. Doch gerade in der Bundeshauptstadt klagen etwa Arbeitnehmervertreter immer wieder erfolgreich gegen genehmigte Öffnungen.

„So wie es im Moment läuft, kann es nicht bleiben“, moniert Steven Haarke, Geschäftsführer für Arbeit und Soziales beim Handelsverband Deutschland (HDE). Die Handelsunternehmen blieben nach erfolgreicher Klage auf Werbung und Personalkosten sitzen. Einkaufen sei ein Event geworden und sollte im Rahmen der Gesetze am Sonntag verlässlich möglich sein. Das halte die Innenstädte attraktiv und biete Chancen gegen die Konkurrenz aus dem Netz: „Rein rechnerisch erzielt der Online-Handel pro Kalendertag einen Umsatz von rund 250 Millionen Euro“, sagt Haarke. Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn folgt dieser Logik. „Im Wettbewerb mit dem E-Commerce sind kürzere Öffnungszeiten für den stationären Handel von Nachteil.“ Nach seiner Erfahrung könne ein Händler am Sonntag im Vergleich zu einem Werktag das Zwei- bis Dreifache umsetzen.

Bei den Gewerkschaften verfangen diese Argumente nicht. Ralph Thomas von Verdi kämpft in Berlin und Brandenburg immer wieder für mehr freie Sonntage. Sonntagsöffnungen verursachen aus seiner Sicht Verkehr sowie Lärm und geben dem Sonntag ein „werktägliches Gepräge“. „Das Ende dieser Spirale ist die Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft.“

3 Fragen an

Frank Ebrecht, Geschäftsführer Niemerszein & Co. KG, Hamburg

Herr Ebrecht, rechnen sich längere Öffnungszeiten überhaupt?
Frank Ebrecht: Die Kosten, die durch längere Öffnungszeiten entstehen, sind überschaubar. Die Miete bleibt gleich, die Kühltruhen laufen weiter. Der größte Faktor sind die Mitarbeiter. Viele Kollegen schaffen es nicht mehr, die Märkte so zu besetzen, dass sie qualitativ und quantitativ gut aufgestellt sind. Das betrifft sowohl den Kassenablauf als auch die Bedienung. Kunden, die um 22 Uhr kommen, kaufen eher Energydrinks, Alkohol, Kaugummis oder Tiefkühlpizza statt Rinderfilet. Wenn nicht genug los ist, muss man die Bedienung schließen, was nicht gut aussieht. Die Frage ist nur abhängig vom jeweiligen Standort zu beantworten: In strukturschwächeren Regionen ist es schwieriger als in Hamburg, wo es finanziell besser aussieht.

Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter für die Arbeit am späten Abend?
Wir bieten ihnen einen Zuschlag an, eine Zeitgutschrift. Wir sind zwar nicht tarifgebunden, aber machen das freiwillig, um einen kleinen Anreiz zu schaffen. Aber ehrlich gesagt: Wenn die Mitarbeiter die Wahl hätten, früher gehen zu können, würden sie das wahrscheinlich vorziehen. Ihnen ist es wichtiger, ihren Abend frei zu gestalten, als bis spätabends im Markt zu bleiben.

Sind verkaufsoffene Sonntage für den Lebensmittelhandel überhaupt relevant?
Wir beteiligen uns in Hamburg nur mit einem Markt daran, weil es sich an dem Standort wirklich lohnt. An den Sonntagen haben wir keine Probleme, Mitarbeiter zu finden, und die Kunden schätzen das sehr. Es ist eine andere Einkaufsatmosphäre, die Leute haben mehr Zeit. Natürlich würde niemand verhungern, wenn sonntags geschlossen wäre, aber es ist ein besonderes Erlebnis. Unsere Mitarbeiter, die an diesen Tagen arbeiten, erhalten Sonntagszuschläge. Der Bedarf an Bedienung ist an solchen Tagen aber deutlich geringer.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen „Je kürzer die Öffnungszeiten, 
desto höher die Chancen, die 
richtigen Mitarbeiter zu finden.“ Patrick Schlüter, Globus. Foto: Globus
Bild öffnen „Lange Öffnungszeiten sind ein großer Vorteil für Kunden mit Schichtdienst.“ Alexander Kreuzberg, Edeka-Händler.
Bild öffnen „Genehmigte Sonntagsöffnungen werden oft weggeklagt. Das kann so nicht bleiben.“ Steven Haarke, HDE. Foto: HDE/Hoffotografen
Bild öffnen Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern: „ Öffnungszeiten 
bis 20 Uhr reichen uns in Bayern völlig aus.“ Foto: Handelsverband Bayern
Bild öffnen Reicht das? Händlern fällt es immer schwerer, für den späten Abend Mitarbeiter zu finden. Foto: Adobe Stock

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