Hersteller- versus Eigenmarken Warum in der Wirtschaftslage eine Chance für Marken steckt

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Die Inflation hat Marken zugesetzt – aber die Lage dreht sich. Wie es den großen Namen ­wirklich geht. Warum in der Wirtschaftslage 
eine Chance für Marken steckt.

Montag, 25. November 2024, 07:00 Uhr
Tobias Dünnebacke, Susanne Klopsch, Elena Kuss, Matthias Mahr, Heidrun Mittler, Hendrik Varnholt
Kollage von Markenlogos aus der Ernährungbranche
Bildquelle: Logo-Kollage zusammengestellt von LP

Die Laune ist ausgelassen, als Monika Prechtl 2023 die Auszeichnung zum „Supermarkt des Jahres“ entgegennimmt, gerade richtig für eine Anekdote zum Schmunzeln: Sie, die Edeka-Händlerin, kaufe in jüngster Zeit häufiger bei der Konkurrenz, sagt Prechtl auf der Bühne. Für ihre Katzen nämlich müsse es das Futter mit dem Sheba-Logo sein: „Willi und Lilli fressen nichts anderes.“ Und Sheba vom Mars-Konzern ist damals ausgelistet bei Edeka.

Die Macht der Marken ist zuweilen erstaunlich. Namen wie Donnerhall versprechen Verlässlichkeit: Das Markenprodukt fressen ganz sicher die Katzen, gefällt den Kindern oder beeindruckt die Nachbarn – so jedenfalls fühlt es sich an. Und trotzdem steht das Konzept Herstellermarke so sehr unter Druck wie noch nie: Selbst Vollsortimenter erwirtschaften mittlerweile rund ein Viertel ihres Umsatzes mit Produkten unter ihren eigenen Namen. Die heftige Inflation der vergangenen Jahre hat Labeln wie „ja!“ und „Gut & Günstig“ zu neuer Bedeutung verholfen.

Ist der Donnerhall von einst also verklungen, droht Marken der Niedergang gar? Dafür spricht nichts – bei genauem Hinsehen auch nicht die Statistik: Der Abstieg der Marken hat gestoppt. Am Umsatz im gesamten deutschen Lebensmittelhandel, also auch bei Discountern, hatten Handelsmarken im Herbst des vergangenen Jahres einen Anteil von 42,2 Prozent. Seit dem Höchststand aber stagniert die Bedeutung der sogenannten Private Labels – sie geht laut NielsenIQ sogar leicht zurück: Den Marktforschern zufolge haben Handelsmarken mittlerweile einen halben Prozentpunkt ihres einstigen Umsatzanteils eingebüßt.

Marken locken – oft zu Kaufland

Die Lust der Verbraucher auf Eigenmarken scheint mehr aus der Not als aus Überzeugung geboren. Die Menschen hätten das Gefühl, sparen zu müssen, sagt Sven Reuter, Vorstand des Unternehmens Great Value Group, das die App Smhaggle betreibt. Mit der Anwendung scannen Verbraucher ihre Kassenbons und erfahren im Gegenzug, in welchen Märkten sie ihre gewünschten Produkte zum günstigsten Preis erhalten. Reuter erfährt so als einer der Ersten von Markttrends und Preisveränderungen. Seine Daten zeigen: Von Marken geht noch immer ein Sog aus. „Viele Marken in Aktionen zu haben, ist sehr wichtig, um Kunden überhaupt in den Markt zu ziehen“, sagt Reuter. Ein Hinweis darauf ist die Entwicklung von Kaufland. Der Vollsortimenter der Schwarz-Gruppe setzt offensiv auf reduzierte Markenartikel: Er vermarktet den Smhaggle-­Daten zufolge wöchentlich 300 Angebote – im Vergleich zu 220 bei Rewe und 130 bei Aldi Süd.

Was offensichtlich ein Rezept zum Erfolg ist: Die durchschnittliche Bonsumme bei Kaufland ist in den vergangenen Jahren laut Smhaggle erheblich gestiegen, während sie sich bei Rewe und Edeka – die vergleichsweise auffällig auf Eigenmarken setzen – seitwärts entwickelt hat (siehe Grafik). Die Daten sind mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten, zumal unter den Smhaggle-Nutzern besonders viele Schnäppchenjäger sein dürften. Auch andere Zahlen zeigen aber, dass Unternehmen, die eher als Experten für Markenaktionen gelten, zu den Gewinnern gehören: Lidl etwa steigerte den Umsatz in Deutschland 2023 stärker als Aldi Nord und Süd, wie aus dem jährlich von der LP veröffentlichten NIQ-Tradedimensions-Ranking hervorgeht.

Wo Verbraucher ihr Geld lassen

Mit rabattierten Markenartikeln selbst allerdings erzielen die Händler kaum Marge – auch das zeigen die Daten von Smhaggle. Die Reduzierungen nämlich fallen im Moment enorm aus. Die Normalpreise haben mit den Aktionspreisen kaum noch etwas zu tun. „In Aktionen können Verbraucher im Durchschnitt 30 Prozent sparen“, sagt Reuter. Gelegentlich seien es jüngst sogar 50 Prozent gewesen, etwa in der diesjährigen Osterwoche. Besonders betroffen von der Aktionssucht sind Joghurt, Butter, Tiefkühlpizza, Bier und Schokolade. Selbst bei Süßwaren von absoluten A-Marken blieben Händlern „oft nur 4 bis 5 Prozent“ vom Umsatz als Marge, wenn die Artikel im Angebot seien, sagt ein selbstständiger Kaufmann, der nicht namentlich genannt werden möchte. Viel zu wenig sei das, um Kosten für Personal, Energie und anderes zu tragen. Bei Eigenmarkenprodukten liege die prozentuale Marge weit höher. Vollsortimenter hätten unter anderem „unter Gesichtspunkten hoher Margen“ in den vergangenen Jahren verstärkt auf Eigenmarken gesetzt, sagt denn auch Oliver Schmitz, Marktforscher bei der GfK. Andere halten dagegen: In absoluten Zahlen sei mit vielen Markenprodukten auch in der Aktion ein höherer Stücknutzen zu erzielen.

Vorsicht, die Laune könnte steigen

Das Kalkül von Kaufland und anderen Markenfans ist ohnehin ein anderes: Sie rechnen damit, dass Schnäppchenjäger längst nicht nur zu den Kampfpreis-Knallern aus dem Handzettel greifen, selbst wenn diese der Grund ihres Einkaufs sind. Die Smhaggle-Daten liefern Hinweise darauf, dass die Rechnung aufgeht: Bei Lidl und Kaufland ist die Zahl der Produkte auf einem durchschnittlichen Bon in den vergangenen zwei Jahren tendenziell gestiegen, während sie bei anderen Händlern eher stagnierte oder zurückging.

Markenartikel sind offensichtlich Käufermagneten – jedenfalls, wenn ihre Preise aus Sicht der Verbraucher nicht allzu weit von denen alternativer Produkte entfernt sind. Und der Preisabstand sinkt bei vielen Produkten zumindest prozentual (siehe Grafik). Steigerungen von Rohstoffpreisen, Energie- und Beschaffungskosten schlagen bei den eng kalkulierten Eigenmarkenprodukten voll durch, während bei Markenprodukten auch der vergleichsweise variable Block von Ausgaben etwa für Konsumentenwerbung eine große Rolle spielt. Das zeigt sich besonders heftig zum Beispiel an Orangensaft: Laut Smhaggle kostete die Ein-Liter-Flasche eines Eigenmarken-Orangensafts im Januar 2022 noch 89 Cent – und rund zweieinhalb Jahre später 2,39 Euro. Das Marken-Pendant verteuerte sich sowohl absolut als auch prozentual deutlich weniger stark.

Preisantieg Eigenmarken

Solche Verschiebungen dürften dazu beigetragen haben, dass Marken ihre Position gegenüber Eigenmarken gefestigt haben. Noch bedeutsamer ist aber: Markenhersteller können sich Hoffnung auf größere Marktanteilsveränderungen machen. Sie hängen von der Wirtschaftslage der Verbraucher ab – und die ist im Durchschnitt besser, als es vielen scheint. Die um die Inflation bereinigte Kaufkraft hat sich durch Lohnsteigerungen weitgehend erholt: Der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Reallohnindex lag in den ersten beiden Quartalen dieses Jahres ungefähr auf dem Niveau des Jahres 2021. Entsprechend hoch ist die Sparquote: Viele Verbraucher legen aus Zukunftsangst lieber Geld beiseite, als es auszugeben. Stimmen die bisherigen Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft, hält keine depressive Stimmung für immer. Irgendwann steigt die Laune – worin für Markenprodukte Chancen liegen, für Eigenmarkenartikel eher Risiken.

Alle brauchen Marken – selbst die Eigenmarken

Umso mehr dürfte es sich für Markenhersteller jetzt lohnen, das Profil wieder zu schärfen – die großen Namen zu polieren, die in der Schwächephase gelitten haben. René Dolata, Partner beim internationalen Beratungsunternehmen IPLC, beschreibt die Wahrnehmungsverschiebung so: „Stellen Sie sich vor, Sie wären vor 30 Jahren mit Aldi-Pralinen bei der Schwiegermutter in spe aufgetaucht. Da wären Sie nicht weit gekommen. Heute ist Moser Roth von Aldi State of the Art.“ Auch der Eigenmarkenberater aber erkennt die Bedeutung der Hersteller-Labels an. „Herstellermarken werden immer der Anker bleiben“, sagt er. Der „Lila-Block“ aus Milka-Tafeln, der stehe eben für Schokolade. „Die Koexistenz wird es immer geben.“

Denn der Sog der Marken ist intakt – und für Filialleiter und selbstständige Kaufleute zuweilen gar unangenehm. „Anfangs konnten wir das noch locker nehmen“, sagt ein Supermarktinhaber aus Südwestdeutschland über die Auslistung eines Markenprodukts. Seine Mitarbeiter erklärten den Käufern den Hintergrund: einen Preisstreit zwischen der Handelszentrale und dem Hersteller. „Aber wenn die Kunden dann zum fünften oder sechsten Mal nachfragen und einem vorwerfen, man sei unfähig, Ware zu bestellen, wird es irgendwann unangenehm.“

Selbstständige Händler: Wie Kaufleute sich selbst zur Marke machen.