Außenhandel Wie der Konflikt mit China europäische Lebensmittel-Exporte gefährdet

Europa und China stehen am Beginn eines Handelskrieges. 
Die Auseinandersetzung trifft schon heute Lebensmittelhersteller. Was eine weitere Eskalation bedeuten würde.

Donnerstag, 07. November 2024, 07:00 Uhr
Santiago Engelhardt
Handelskrieg: Chinesische Flagge vor Börsentafel
„China ist ein wichtiger, aber kein einfacher Handelspartner.“ Stefanie Sabet, Geschäftsführerin bei der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie
Der Handel zwischen China und Europa hat jahrelang zugenommen. Bildquelle: Adobe Stock, BVE

Die Welt schaut derzeit zu, wie die Spannungen zwischen der Europäischen Union und China wachsen: Seit Ende September ist klar, dass die beiden Blöcke am Beginn eines Handelskrieges stehen. Die Eskalationsspirale setzte sich im Sommer in Gang, als die Europäische Kommission vorschlug, Strafzölle auf die stark subventionierten Elektroautos aus China zu erheben. Die Mitgliedsstaaten hätten dies verhindern können. Die Gegner der Maßnahme, allen voran Deutschland und Ungarn, haben sich aber nicht gegenüber Frankreich, Italien, Polen und anderen Ländern durchsetzen können. Die Zölle, die bis zu 35 Prozent betragen, werden nun Ende Oktober in Kraft treten. Chinas Gegenreaktion bekommt auch die Lebensmittelwirtschaft zu spüren.

Eine Antwort Chinas auf die EU-Ent­schei­dung nämlich ließ nicht lange auf sich warten: Das Land präsentierte Anfang September Ergebnisse einer Untersuchung, die es im Januar dieses Jahres gegen europäische Brennereien eingeleitet hatte. China behauptet, die Untersuchung beweise, dass europäische Unternehmen ihre Spirituosen in dem asiatischen Land zu allzu niedrigen Preisen anbieten würden.

Wie das Handelsministerium Anfang Oktober mitteilte, müssen Importeure berühmter Brandy-Sorten vom 10. Oktober an eine Kaution beim chinesischen Zoll hinterlegen. Die Maßnahmen betreffen vor allem französische, aber auch spanische Unternehmen. Für Cognac der Marke Martell wird ein Aufschlag von 30,6 Prozent fällig, für Rémy Martin 38,1 Prozent und für Hennessy-Cognac sogar 39 Prozent. Die Marken gehören zu den großen französischen Unternehmensgruppen Pernod-Ricard, Rémy Cointreau und LVMH (Moët Hennessy, Louis Vuitton). Erwartungsgemäß fordern die französischen Cognac-Hersteller, die französische Regierung solle der Eskalation ein Ende setzen. Der Herstellerverband verlangt, die Zölle müssten ausgesetzt werden, bevor die Situation weiter eskaliere.

Sollten Verhandlungen zwischen der EU und China nicht zu einem Ausweg führen, der beide Seiten das Gesicht wahren lässt, könnte es schon bald weitere Teile der Ernährungsindustrie treffen: China hat bereits eine Untersuchung zu europäischen Milchprodukten und Schweinefleisch in der Schublade. Würde das Land diese als Begründung für weitere Zölle heranziehen, drohten erhebliche Verwerfungen.

Denn China ist ein riesiger Markt für Schweinefleischnebenprodukte wie Ohren, Schnauzen, Schwänze und Füße, sodass europäische Exporteure den Wert ihrer Schweine maximieren können. EU-Schweinefleischprodukte machen 
50 Prozent aller Schweinefleischimporte Chinas aus und machen das Land zu einem äußerst wichtigen Markt für europäische Produzenten. Eine Reduktion der Schweinefleischimporte aus der Europäischen Union würde sich nicht nur auf den europäischen Markt auswirken, es hätte auch einen starken Einfluss auf den Weltmarkt. China könnte die Importe aus Europa eventuell mit brasilianischem Schweinefleisch ersetzen. Nicht verkaufte Mengen von europäischem Schweinefleisch könnten dann zu einem weltweiten Rückgang der Schweinefleischpreise führen.

Eng verzahnt – trotz allem

Welche Bedeutung der chinesische Fleischmarkt hat, zeigen die Marktveränderungen durch das Verbot von Importen deutschen Schweinefleischs, welches China 2020 nach dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland verhängte. Im vergangenen Jahr exportierte Deutschland nur noch Lebensmittel im Wert von 1,35 Milliarden Euro nach China. Die Importe lagen mit 1,76 Milliarden Euro wesentlich höher. Und das deutliche Handelsdefizit geht vor allem auf das chinesische Importverbot zurück. Schweinefleisch und Schweinefleischprodukte hatten einst allein gut eine Milliarde Euro Exportwert ausgemacht. Für die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) ist es unverständlich, dass die Verhandlungen über eine erneute Zulassung für deutsche Schweinefleischprodukte nicht vorankommen. Den Ausfall dieses Marktes könne die Branche langfristig nur schwer kompensieren, ohne dass dies zu erheblichem Preisdruck auf dem EU-Binnenmarkt führe. Stefanie Sabet, Geschäftsführerin des BVE, fordert zu dem Thema ein klares Statement der Politik.

39

Prozent des 
Warenwerts müssen chinesische Importeure von Hennessy-Cognac seit Kurzem als „Kaution“ hinter­legen.

1,35

Milliarden Euro waren die Lebensmittel wert, die Deutschland 2023 nach China exportierte.

1,76

Milliarden Euro 
beträgt der Gesamtwert der von China nach Deutschland 2023 gelieferten Lebensmittel.

Der stockenden Geschäfte mit Schweinefleisch zum Trotz ist keine der europäischen Volkswirtschaften Europas so eng verzahnt mit der chinesischen wie die deutsche. Und das betrifft auch die Lebensmittelindustrie. Exporteure vieler Produkte verzeichneten in den vergangenen Jahren erhebliche Zuwächse im Geschäft mit chinesischen Abnehmern. So exportierte Deutschland jüngst Milch und Milcherzeugnisse (ohne Speiseeis) im Wert von 364,7 Millionen Euro, Fertiggerichte für 213 Millionen Euro, homogenisierte Nahrungsmittelzubereitungen für 313,6 Millionen Euro sowie Süßwaren für 39,7 Millionen Euro nach China.

Die deutsche Bundesregierung hatte gute Gründe, sich gegen die Strafzölle auf chinesische Elektroautos zu stellen. Das zeigen mehrere Untersuchungen: Bereits 2023 hat die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie gemeinsam mit der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers (PwC) eine Studie erstellt, die die Abhängigkeit der deutschen Lebensmittelproduktion von China und die Vulnerabilität der Lieferbeziehungen genauer unter die Lupe nahm. Die Studie zeigte insbesondere, wo die größten Abhängigkeiten der deutschen Ernährungsindustrie von Importen aus China bestehen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung lagen diese etwa bei einzelnen Zutaten für Tiefkühlprodukte – oder bei Material für Konservendosen.
Käme der Handel zwischen Europa und China zum Erliegen, wären mehr als 50 Prozent des Umsatzes mit Konserven gefährdet, geht aus der Studie unter anderem hervor. Hintergrund ist, dass China als der größte Produzent von Aluminium, Zinn, Stahl und Magnesium eine wichtige Zulieferrolle für die Herstellung von Dosen einnimmt. Käme es zu Handelseinschränkungen beispielsweise aufgrund von Sanktionen oder Barrieren, hätte dies der Untersuchung zufolge starke Auswirkungen auf die Preise, Verfügbarkeit oder sogar die Qualität der Produkte.

Auch die USA spielen eine Rolle

BVE-Geschäftsführerin Stefanie Sabet erklärt, mit der Analyse wolle der Ernährungsindustrie-Verband auf die vielen Ebenen hinweisen, auf denen Störungen im Handel mit China die Lieferketten von Lebensmittelprodukten beeinflussen könnten. Die Entwicklungen der vergangenen Monate habe die Befürchtung, Handelsstreitigkeiten in anderen Sektoren könnten auch zu Vergeltungsmaßnahmen im Agrar­sektor führen, bestätigt. Die Befürchtung der Lebensmittelbranche ist, die Lage könnte weiter eskalieren und auch deutsche Hersteller treffen. Das sei für ihre Branche inakzeptabel, sagt Sabet.
An einer weiteren Eskalation dürfte allerdings auch China eigentlich kein Interesse haben: Der wachsende Markt des Landes ist stark von Waren aus der Europäischen Union abhängig. Verlässliche Prognosen über den Fortgang der Auseinandersetzung sind gleichwohl schwierig – zumal auch Entscheidungen in den USA auf die Handelsbeziehungen Einfluss haben. Und wie Stefanie Sabet zu bedenken gibt, ist China ein wichtiger, aber kein einfacher Handelspartner.

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 europäische Lebensmittelindustrie eine Rolle – zum Beispiel Aluminium.