Hülsenfrüchte, Pilzmyzel, Laborfleisch: Hersteller alternativer Proteine stellen ihr Portfolio der Basisrohstoffe breiter auf. Trotz teils neuer technologisierter Herstellungsverfahren basieren die Lebensmittel jedoch auf bereits bekannten tierischen oder pflanzlichen Proteinen. Nun kommt eine Unbekannte hinzu, hergestellt mit recyceltem Kohlendioxid aus der Luft und Hydrogenfermentation. Das finnische Biotech-Start-up Solar Foods hat für sein so gewonnenes Proteinpulver „Solein“ in zwei Ländern die Zulassung erhalten und erste Verkaufstests gestartet. Auch für Europa steht das Unternehmen in den Startlöchern. Das große Ziel: die Lebensmittelproduktion unabhängig zu machen von Tierhaltung, landwirtschaftlichen Flächen sowie Klimaauswirkungen – und zugleich Treibhausgase in der Atmosphäre zu reduzieren.
„Wir haben bewiesen, dass Solein in der Lebensmittelproduktion eingesetzt werden und Fleisch, Molkereiprodukte und Eier in Lebensmitteln ersetzen kann. Zudem haben wir bewiesen, dass unsere Technologie skalierbar ist – Voraussetzung für Profitabilität“, erklärt Dr. Pasi Vainikka, Gründer und CEO von Solar Foods, im Exklusivinterview mit der Lebensmittel Praxis. Das Unternehmen entstand 2017 aus einem wissenschaftlichen Programm des Technischen Forschungszentrums Finnland VTT sowie der Technischen Universität Lappeenranta und bedient sich einer Technologie der US-Raumfahrtbehörde NASA. Diese hatte in den 1960er-Jahren entdeckt, dass sich CO₂ aus der Luft mithilfe spezieller Mikroben einfangen und nutzen lässt.
Für die Herstellung von Solein wird eine einzelne der Milliarden verschiedenen Mikroben, die in der Natur vorkommen, durch Fermentation im Bioreaktor gezüchtet. Vainikka vergleicht den Prozess mit der Produktion von Wein oder Bier. „Wir verwenden das gleiche Verfahren, aber statt Zucker und Hefe spalten wir Wasser aus der Luft ab, in dem die Mikroorganismen leben können.“ Dann würden diese mit winzigen CO₂-Blasen und Nährstoffen wie Stickstoff, Kalzium, Phosphor und Kalium gefüttert – denselben Nährstoffen, die Pflanzen über ihre Wurzeln aus dem Boden aufnehmen.
Am Ende des Produktionsprozesses ist das geschmacksneutrale Pulver Solein entstanden. 100 Gramm davon enthalten 385 kcal Energie, einen Proteinanteil von 65 bis 70 Prozent, 5 bis 8 Prozent Fett, 10 bis 15 Prozent Ballaststoffe sowie Eisen, B-Vitamine und alle neun für die menschliche Gesundheit essenziellen Aminosäuren.
Millionen Euro investierte Solar Foods in den Bau der ersten Fabrik in Finnland.
Millionen Euro: So viel Eigenkapital, Darlehen, Finanzierung und Förderungen weist Solar Foods bis Juni 2024 aus.
Quelle: Solar Foods
Millionen US-Dollar (97 Millionen Euro) hat Konkurrent Air Protein aus Kalifornien bis Mai 2023 eingesammelt, unter anderem von der Archer-Daniels-Midland-Gruppe (ADM). Mit dem Konzern wurde eine Kooperation zur Förderung der Entwicklung und Produktion des „Luft“-Proteins vereinbart.
Quelle: ADM
Erste Verkaufstests in Singapur
Im April 2024 nahmen die Finnen die „Fabrik 01“ in Betrieb. 40 Millionen Euro wurden in den Standort mit einem 20.000-Liter-Fermenter investiert. Die Kapazität liegt bei 160 Tonnen pro Jahr. Laut Vainikka entspricht dies 5 Millionen Portionen Protein pro Jahr, „bezogen auf die empfohlene Einheit von 20 Gramm Protein pro Mahlzeit“. Damit könne im Fermenter aktuell pro Tag so viel Protein hergestellt werden, wie eine Legehennen-Gruppe von 50.000 Tieren produziere.
In Sachen Nachhaltigkeit soll Solein sogar besser abschneiden als pflanzliche Proteine, da deutlich weniger Wasser und nur ein Bruchteil der Flächen benötigt werden. Aktuell falle der ökologische Fußabdruck eines Kilogramms Solein 100 Mal besser aus als der eines Kilogramms tierischen Proteins und zehn Mal besser im Vergleich zu pflanzlichem Protein. Rund 90 Prozent des CO₂- Fußabdrucks falle auf den Energiebedarf. Dabei setzt das Unternehmen jedoch auf regenerative Energien aus Wind und Solarkraft.
In Singapur ist Solein für den Verkauf seit 2022 zugelassen. Hier bot der finnische Süßwaren-produzent Fazer in diesem Jahr erstmals einen Snackriegel mit einem geringen Anteil Solein an, das als Lieferant für B12 und Eisen diente. Der japanische Lebensmittelkonzern Ajinomoto testete im Spätsommer Eiscreme-Sandwiches als limitierte Edition in dem Stadtstaat. Der nächste große Etappensieg wird die Testvermarktung von Produkten mit Solein auf dem US-amerikanischen Markt sein. Im August 2024 erhielt das gelbe Proteinpulver grünes Licht und eine GRAS-Zulassung (Generally Recognized As Safe). „Die Behörden in den USA haben sich recht schnell gerührt und weitere Forderungen gestellt, die wir erfüllt haben“, berichtet der CEO. Dazu gehörten Tests an Tieren, da es sich um ein gänzlich neues, unbekanntes Produkt handelt. In Großbritannien und der EU stehen die Bewertungen der Behörden noch aus.
Aufklärung und zusätzliches Kapital benötigt
Die richtige Kommunikation hin zum Kunden wird entscheidend sein für den Erfolg der Produktinnovationen, weiß Vainikka. Eine Umfrage in Deutschland kam zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Menschen kaum etwas über die Technologie des Abscheidens und der Nutzung von CO₂ (Carbon Capture and Utilization, CCU) weiß. Viele bewerteten die Entwicklung von Produkten daraus nach der Erklärung positiv – solange sie nicht in direkten Kontakt damit kommen. Viele haben Sorge, ob solche Produkte gesund seien.
Für die ersten Vermarktungserfahrungen in Singapur wählte Solar Foods daher die Top-Gastronomie. In einem Sternerestaurant wurde eines von drei zur Wahl stehenden Desserts mit Solein hergestellt. „Die Kellner haben die Desserts erklärt, und neun von zehn Gästen entschieden sich für die Eiscreme mit Solein. Dies zeigt: Neugierde scheint ein größerer natürlicher Treiber zu sein als Angst“, sagt Vainikka. Ein neues Produkt müsse dann jedoch in Geschmack und Textur überzeugen. Gerade bei veganen Produkten sei dies eine extreme Herausforderung. Daher gehören Spitzenköche mit zum hauseigenen Entwicklerteam.
Vainikka will eine Kategorie nach der anderen für Solein erschließen. „Wir entwickeln unsere Versionen von veganen Alternativen, von Eiscreme, Joghurt, Sportlernahrung. Und wir werden neue Märkte schaffen“, erklärt er. Sein Entwicklerteam arbeitet jedoch nicht nur an Applikationsmöglichkeiten für Solein, sondern auch an weiteren Organismen. Wann für diese weitere Zulassungen beantragt werden können, verrät er noch nicht.
Ob Kooperationen mit anderen Produzenten denkbar sind, die CO₂ aus ihrer Produktion abscheiden und Solar Foods zur Verfügung stellen? Möglich, sagt der Wissenschaftler. „Wir können jegliches CO₂ verwenden, da es gereinigt und verflüssigt gelagert wird.“ Ob ein solches Geschäft für zusätzliche Einnahmen sorgen und den Herstellungspreis reduzieren könnte, sei unklar. Entscheidender sei der Faktor Energie, der aktuell rund 50 Prozent der Produktionskosten ausmacht. „Die Kosten für regenerative Energien sinken, ein wichtiger Faktor für unsere Profitabilität“, sagt der CEO.
Der Preisfaktor ist schon jetzt ein bedeutender für die Akzeptanz von alternativen Proteinen. „Unsere Fabrik 01 ist vor allem unser Forschungs- und Entwicklungsstandort. Wenn wir mit dem nächsten reinen Produktionsstandort unsere aktuelle Leistungsfähigkeit halten können, liegen wir zwischen 4 und 6 Euro pro Kilogramm Solein. Damit werden wir Preisparität erreicht haben“, so der Plan.
Nun will Solar Foods in die nächste Entwicklungsstufe gehen. „Wir planen, bis 2026 weitere Investoren zu gewinnen und 2028 die erste Fabrik im Industriemaßstab eröffnen zu können. Ab dann werden wir profitabel“, sagt Vainikka. Die Kapazitäten der „Fabrik 02“ sollen um das 50- bis 100-Fache höher ausfallen als die des Prototyps. Bis 2030 plant das Unternehmen mit Investitionen zwischen 150 und 420 Millionen Euro. Man könne Geld von strategischen Investoren einsammeln, „im Gegenzug wollen dich diese Unternehmen aber vielleicht zu eng umarmen“, meint Vainikka. Daher ist Solar Foods am 10. September 2024 an die Börse gegangen.
Die größte Herausforderung? „Zeit. In beide Richtungen“, antwortet Vainikka und erklärt: „Wir müssen vorwärts- und rückwärtsgewandt abschätzen, was möglich ist. Test-Vermarktungen können erst nach Erhalt der Zulassung erfolgen, und erst nach erfolgreichen Vermarktungstests können wir mit verbindlichen Zusagen von Kooperationspartnern rechnen und in die Skalierung gehen.“ Zum Zeitfaktor gehöre auch, dass der Klimawandel voranschreite, Investitionen in klimafreundliche Lebensmittelproduktionen die Zukunft seien. „Damit sollte unser Konzept umso interessanter werden für Investoren und Partner.“