Handelsallianzen Wer im Einkauf jetzt mit wem paktiert - und warum

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Praktisch jeder Lebensmittelhändler ist Mitglied einer Einkaufsallianz. Nun sortieren sich die Bündnisse abermals neu. Was das soll und wie die Allianzen funktionieren.

Freitag, 09. August 2024 - Strategie
Matthias Mahr, Heidrun Mittler
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Bildquelle: LP-Grafik

Die Meldung hat einige in der Branche aufhorchen lassen: Die sechs deutschen Händler Bartels-Langness, Bünting, Klaas & Kock, Kaes, Netto Stavenhagen und Tegut kaufen bei internationalen Markenherstellern künftig über die Einkaufsallianz EMD ein. Genau genommen schließt sich das Bündnis RTG International, in dem die mittelständischen deutschen Händler organisiert sind, der EMD an. Einmal mehr also verschieben sich die Machtverhältnisse in der Lebensmittelbranche, entscheiden andere Verantwortliche mit, wenn große Hersteller ihre Produkte deutschen Händlern feilbieten.

Dass sich Lebensmittelhändler verbünden, wieder trennen, in neuen Konstellationen zusammenschließen, geschieht mittlerweile regelmäßig: Erst wenige Tage vor der Ankündigung über den Pakt der deutschen Mittelständler mit der EMD war bekannt geworden, dass Kaufland die EMD verlässt – und bei der Warenbeschaffung künftig in dem Bündnis Agecore unter anderem mit Coop aus der Schweiz und der spanischen Eroski zusammenarbeitet. Agecore wiederum ist vor Jahren völlig anders besetzt gewesen: Edeka war einst das Schwergewicht der Allianz, kauft mittlerweile aber über den Zusammenschluss Epic ein. Die Zweckbündnisse der Händler sind also bestenfalls Kooperationen auf Zeit.

Die Welt der Einkaufsbündnisse ist unter anderem deshalb für Außenstehende weitgehend intransparent. Dabei spielen sie für die Lebensmittelbeschaffung eine riesige Rolle: Produkte im Wert von vielen Milliarden Euro, insbesondere solche internationaler Marken, kommen nur mit Zustimmung der Allianzen in die Regale von Lebensmittelhändlern.

Für viele Herstellerkonzerne sind die Einkaufsallianzen deshalb ein rotes Tuch. Sie sehen in den Zusammenschlüssen Kartelle – und haben damit im technischen Sinn recht. Bei deutschen und europäischen Kartellbehörden haben sie bislang trotzdem praktisch kein Gehör gefunden – weil die Wettbewerbshüter die positive Seite sehen, die auch die Händler betonen: Einkaufsallianzen haben das Potenzial, die Preise für Verbraucher zu drücken. Durch die Zusammenschlüsse sitzen nationale Händler auf Augenhöhe internationalen Herstellerkonzernen gegenüber: Wenn etwa Rewe gemeinsam mit E-Leclerc mit Auslistung droht, steht mehr für einen Produzenten auf dem Spiel, als wenn sich nur eine der Handelsgruppen in Verhandlungen querstellt.

RTG-EMD

Es geht letztlich ums Geld, wenn Händler kooperieren – auch wenn sie das schon mal blumig ausdrücken: Ziel sei es, „in Partnerschaft mit der internationalen Markenartikelindustrie die besten und kundenfreundlichsten Sortimentskonzepte in den angeschlossenen Ladennetzen zu fördern“, erklärte EMD, als die Allianz vor wenigen Tagen ihre Zusammenarbeit mit den deutschen mittelständischen Händlern bekannt gab.

Fragiles Puzzle

Im Detail ist der Zusammenschluss kompliziert – zumal Globus aus Deutschland bislang schon Mitglied der EMD war, aber auch in der erst kürzlich gebildeten RTG International mit den sechs nun neu in die EMD aufgenommenen mittelständischen Händlern kooperierte. Zur EMD werden nach wie vor auch die Euromadi Alfa Group in Spanien, ESD Italia und Superunie aus den Niederlanden sowie Markant gehören. Wie fragil das Puzzle aus den verschiedenen europäischen Einkaufsallianzen ist, zeigt ein Hinweis, den EMD der eigenen Mitteilung anfügte: Der Händler Tegut, der Teil der Züricher Migros-Genossenschaft ist, wird über die Allianz nur Waren einkaufen, die tatsächlich für den deutschen Markt und nicht etwa für Märkte des Schweizer Mutterkonzerns bestimmt sind. Hintergrund ist offensichtlich, dass Migros eigentlich in dem Bündnis Epic mit Edeka zusammenarbeitet – und ein, wenn auch indirekter, Zusammenschluss von Edeka mit den mittelständischen deutschen Händlern in der EMD wäre womöglich ein kartellrechtliches No-Go.

„Problematisch“ nämlich sei es, wenn sich große Player aus demselben Land miteinander verbündeten, sagt der Kartellrechtler Dr. Kim Manuel Künstner, Partner bei Schulte Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. In einem solchen Fall komme es zu einer Vereinheitlichung eines wichtigen Inputfaktors und damit unter Umständen zur Vereinheitlichung der Abgabepreise. Anders gesagt: Zu viel Zusammenarbeit im Einkauf droht auch den Wettbewerb gegenüber den Verbrauchern zu beeinträchtigen. „Daher sind in den meisten europäischen Einkaufsallianzen nur Vertreter aus jeweils einem Mitgliedsstaat vertreten“, sagt Künstner. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass Kartellbehörden künftig auch andere Konstellationen zulassen – wenn sie etwa nicht mehr die Marktmacht der Händler in einzelnen Ländern, sondern in der gesamten Europäischen Union zum Maßstab nehmen. Selbst große nationale Händler würden dann weniger marktbeherrschend wirken. Künstner sieht das kritisch: „Eine mögliche Einkaufsallianz zwischen Rewe und Edeka wäre äußerst problematisch.“

Ohne Gegenleistung?

Dass die bisherigen Bündnisse – die Zusammenschlüsse großer Händler aus verschiedenen Ländern – funktionieren, erstaunt auf den ersten Blick: Zu unterschiedlich sind die Lebensmittelpreise innerhalb Europas. Würden die Bündnisse tatsächlich gleiche Einkaufspreise für ihre Partner in verschiedenen Ländern durchsetzen, wäre dies nach Einschätzung von Künstner „für einige Mitglieder schlecht und für andere gut“. Er glaubt deshalb, dass die Einkaufsbündnisse statt gleicher Preise einheitliche Rabatte fordern.

Eine alte Idee

„Der Gewinn liegt im Einkauf.“ Die alte Kaufmannsregel ist noch immer gültig. Wenn mehrere Partner gemeinsam Ware beschaffen, haben sie eine bessere Verhandlungsbasis, als wenn einer das allein tut. Diese Überzeugung ist einer der Grundpfeiler der Edeka, steht die Abkürzung doch für „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“. Auch die heutige Rewe-Gruppe („Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften“) hat sich 1926 aus 17 Einkaufsgenossenschaften zusammengetan.

Solche Nachlässe haben schon in den vergangenen Jahren immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen ausgelöst. Industrievertreter behaupten zuweilen, die Handelsallianzen würden die Rabatte ohne jede Gegenleistung fordern. So sieht es auch Künstner, der zuweilen Hersteller berät: Häufig würden Gegenleistungen wie „Marketinggaben“ angeführt. „Aber das sind reine Feigenblätter, die nicht mit Konditionen wie Rabatten für konkrete Gegenleistungen bei Handzettelwerbung oder Zweitplatzierung zu vergleichen sind.“ Den Rabatt, den die Einkaufsallianzen fordern, nennt er eine „Pay-to-play“-Gebühr. Der Kartellexperte Prof. Rainer Lademann vermutet hingegen, dass die Bündnisse durchaus die Preise über Ländergrenzen hinweg vergleichen.

INTERVIEW MIT PROF. RAINER LADEMANN

Bleibt die Frage, wer davon profitiert: allein die Handelsgruppen oder auch die Verbraucher? Der Handelsallianzen-Kritiker Künstner verweist auf die Monopolkommission, die im Zwischenfazit einer Untersuchung kürzlich festgestellt habe, dass der Handel anders als Industrie und Agrarsektor Kostensenkungen nicht weitergebe. „Wenn der Handel aber die zusätzlichen Gebühren der Allianzen nicht an die Verbraucher weiterreicht, fehlt die Rechtfertigung für das Kartell.“ Er argumentiert, wie es auch Hersteller zuweilen tun, mit der Situation der Landwirte, die am Anfang der Lebensmittel-Lieferkette stehen: Die Marge der Landwirte fließe in die Taschen der Handelsallianzen. Und: „Diesen Kaskadeneffekt können die Wettbewerbshüter doch bestimmt nicht wollen.“

Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamtes, aber stärkt den Allianzen den Rücken: Es gebe keine Verpflichtung für ein Unternehmen, wie auch immer erzielte Kostenvorteile an die Kunden weiterzureichen. „Das gilt auch für Kostenvorteile, die aus Einkaufsallianzen generiert werden. Das nötige Korrektiv ist der Wettbewerb, in dem die Unternehmen mit anderen stehen.“

Über Grenzen hinweg

In den vergangenen Jahren haben sich alle großen Handelsunternehmen in Einkaufsallianzen organisiert. Sie verhandeln also gemeinsam mit anderen Händlern. Die RTG Retail Trade Group mit Sitz in Hamburg beispielsweise, erst 2017 gegründet, stärkt die Wettbewerbsfähigkeit ihrer unabhängigen, teilweise inhabergeführten Partner (siehe Grafik). Ziel des Bündnisses ist nach eigenen Angaben nicht nur der gemeinsame Einkauf von Food und Nonfood sowie Dienstleistungen, sondern auch etwa Verbesserungen in der Lieferkette.

Die EMD, European Marketing Distribution, gegründet 1989, hat ihren Sitz in Pfäffikon in der Schweiz. EMD vertritt nach eigener Aussage Unternehmen in 14 Ländern, die für einen Umsatz von über 175 Milliarden Euro stehen. Dazu zählen unter anderem Markant (Deutschland, Österreich, Tschechien, Slowakei), Superunie aus den Niederlanden und ESD in Italien.

Zum 1. Januar 2025 integriert EMD das internationale Geschäft der RTG-Mitglieder. Eine Ausnahme bildet Rossmann, die sich international weiterhin von AS Watson vertreten lassen, nach eigener Aussage weltweit größter Einkäufer für Gesundheits- und Beauty-Produkte.

Die modernen Einkaufsallianzen sind teils auf weiteren Feldern für ihre Partner aktiv: So entwickeln sie gemeinsam Handelsmarken und übernehmen Lager- und Logistikfunktionen sowie Datenpflege.

Einkaufsallianzen sind einigen Herstellern ein Dorn im Auge. Produzenten halten die Zusammenschlüsse teils für kartellrechtlich fragwürdig. Behörden haben den Allianzen aber immer wieder weitgehend grünes Licht gegeben.