Interview zu Handelsallianzen So sieht Kartellexperte Rainer Lademann die Handelsbündnisse - und den Wechsel von Kaufland zu Agecore

Prof. Rainer Lademann erklärt die Veränderungen bei den Handelsallianzen – und die kartellrechtlichen Fallstricke.

Freitag, 09. August 2024 - Strategie
Elena Kuss
Artikelbild So sieht Kartellexperte Rainer Lademann die Handelsbündnisse - und den Wechsel von Kaufland zu Agecore
Bildquelle: Lademann (privat)

Kaufland hat sich aus der Einkaufsallianz EMD verabschiedet und wechselt zur Einkaufsallianz Agecore. Warum?
Rainer Lademann: Ich habe den Wechsel bisher in zwei Richtungen interpretiert. Zum einen ist die Retail Trade Group (RTG), betrachtet man ihre Geschichte, stark auf das Inland ausgerichtet. Das liegt an den Mitgliedern wie Bartels-Langness, Klaas & Klock, Globus, Bünting sowie Tegut – das sind ja alles Unternehmen, die hier in Deutschland mit eher geringen Marktanteilen tätig sind. Zum anderen hat Kaufland da mit seinen internationalen Aktivitäten nicht mehr richtig reingepasst. Der zweite Punkt ist, dass Kaufland durch den Wechsel weitere Konditionen vergleichen kann. Sie werden eine ganz neue Markttransparenz als Unternehmen gewinnen.

Die RTG schließt sich der EMD auf internationaler Ebene an. Was bedeutet dieser Zusammengang für die deutsche Lebensmittelindustrie?
Europäische Verbundgruppen sind in erster Linie auf internationale Marken ausgerichtet. Internationale Marken haben bis heute von Land zu Land unterschiedliche Preise am Regal: Die Zahnpasta ist in Spanien billiger als in Deutschland. In Frankreich sind Rotweine meist teurer als in Deutschland. Grund dafür sind meiner Meinung nach die unterschiedlichen Konsumgewohnheiten und Zahlungsbereitschaften. Diese unterschiedliche Zahlungsbereitschaft am Regal abzubilden, ist im Interesse der Industrie. Der Handel versucht, den Spieß nun umzudrehen und niedrige Preise möglichst in ganz Europa zu bekommen.

Der Zusammenschluss ist also ein schlechtes Zeichen für die Industrie?
Die inländische Industrie ist nicht so im Fokus. Es sind die großen Markenhersteller wie Nestlé, Mars und Coca-Cola, die hier vorgeführt werden sollen.

Was bedeutet das für den selbstständigen Lebensmittelhändler?
Das ist eine gute Frage, weil offen ist, was tatsächlich Gegenstand dieser Verhandlung ist und ob diese Vereinbarungen die Konditionen überhaupt verbessern. Die klassische europäische Einkaufsallianz betreibt kein eigenes Warengeschäft. Das heißt, an den Güterströmen, an den Lager- und Logistikbedingungen ändert sich überhaupt nichts.

Welche Vereinbarungen wären denkbar?
Da die Allianzen darüber nichts erzählen, kann ich nur vermuten, dass die Konditionsverbesserung darauf beruht, dass die Allianz internationale Vergleiche ziehen kann. Also, die Nusscreme kostet bei Albert Heijn in den Niederlanden den Wert X. Edeka hat einen vergleichbaren Marktanteil in Deutschland. Warum sollte sie mehr bezahlen?

Gibt es kartellrechtliche Bedenken?
Schaut man sich die Entscheidungen im Zusammenhang mit Werbeblockern an, müsste es diese Bedenken eigentlich geben. Werbeblocker haben eine marktbeherrschende Stellung, weil sie den Zugang zu den Verbrauchern blockieren. Die Unternehmen müssen für diesen Zugang bezahlen. Werbeblocker sind in der EU unzulässig. Auf die Einkaufsallianzen übertragen bedeutet das aus meiner Sicht: Internationale Ein­kaufs­allianzen sind marktbeherrschend, da man an ihnen vorbeimuss, um an die Mitglieder heranzukommen.

Kaufland etwa ist allein aber nicht marktbeherrschend?
Nein, aber Kaufland ist nun Mitglied eines engen Oligopols.

Das würde bedeuten, dass auch eine geringfügige Verschlechterung des Wettbewerbs als Missbrauch von Marktmacht interpretiert werden kann?
Das wurde bisher nicht so gesehen. Aber wenn Kaufland eine bessere Kondition bekommt, ist die entscheidende Frage, ob dieser Vorteil an die Kunden weitergegeben wird.

Sonst gibt es kartellrechtliche Probleme?
Richtig. Werden die Vorteile nicht weitergegeben, ist das ein Indiz für Marktmacht. Das müsste dann kartellrechtlich geklärt werden.

Sie haben dazu geforscht. Mit welchem Ergebnis?
Es gibt Preise im Lebensmittelhandel, die nicht kostengetrieben sind, sondern die durch Marktmacht bedingt sind.

Könnten die neuen Entwicklungen dafür sorgen, dass es zu einer Prüfung kommt?
Ich weiß, dass seitens der Monopolkommission und auch seitens des Kartellamts zumindest Überlegungen laufen, ob man sich mit diesem gesamten Thema Konzentration noch mal neu beschäftigen muss.

Die Vorteile einer internationalen Einkaufs­allianz für den Handel sind deutlich geworden, aber warum macht Rossmann, Mitglied der deutschen RTG, auf internationaler Ebene nicht in der EMD mit?
Der Schwerpunkt der Verbundaktivitäten der RTG, aber auch der EMD, liegt in erster Linie im Bereich Lebensmittel, nicht bei Drogeriewaren, also Wasch-, Putz-, Reinigungs-, Körperpflegemitteln, und schon gar nicht bei Parfümerieprodukten. Insofern dürften die Vorteile aus einer Anbindung an die RTG/EMD für Rossmann sehr begrenzt gewesen sein. Ein Ziel von Rossmann könnte es jedoch sein, sich bei den Konditionen stärker vom Wettbewerber dm abzuheben, indem man eigene Wege geht.

Der EU geht es um die Verbraucherpreise

Vor fast genau einem Jahr stellte die Europäische Kommission ihre vorläufigen Untersuchungen zu den Praktiken der beiden internationalen Ein­kaufsallianzen Agecore und Coopernic sowie ihrer Mitglieder ein. Zunächst hatte die Kommission die Sorge, dass Agecore und Coopernic Handels­bedingungen mit Herstellern ausgehandelt haben könnten, die gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen, die Kartelle und wettbewerbsbeschränkende Praktiken verbieten.

Die Prüfungen ergaben laut Kommission aber keine Hinweise auf wettbewerbswidrige Auswirkungen. Die Fähigkeit der Einzelhändler, die Preise für Verbraucher zu senken, sowie die Sicherstellung des Wettbewerbs zwischen Einzelhändlern seien wichtige Ziele der Wettbewerbspolitik, lautet das Fazit aus Brüssel. Insbesondere im Kontext der hohen Inflation sei das von großer Bedeutung. Deshalb entschied die Kommission letztlich, dass es keine ausreichenden Gründe für weitere Untersuchungen gab.

Das Bundeskartellamt sieht die RTG als Chance

Das Bundeskartellamt hatte 2017 keine Einwände gegen die Zusammenarbeit der Lebensmitteleinzelhändler Bartels-Langness, Bünting, Georg Jos. Kaes, Klaas & Kock, Netto ApS und Real im Rahmen der neu gegründeten RTG Retail Trade Group. Das Joint Venture erbringt seither für die Händler Leistungen in den Bereichen Einkauf, E-Commerce, Logistik und Verwaltung. Die unterschiedlichen Vertriebslinien auf den Absatzmärkten blieben trotz Einkaufsbündelung in der RTG unabhängig voneinander erhalten. Dennoch seien Auswirkungen auf der Absatzseite nicht auszuschließen, zeigten sich die Wettbewerbshüter aus Bonn hellhörig. Positiv hob Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, damals bei der Entscheidungsfindung hervor: „Die Kooperation bietet die Chance, die Wettbewerbsfähigkeit und damit längerfristig die Eigenständigkeit der kleineren Handelsunternehmen – auch als Absatzalternative für die Lieferanten – zu sichern.“