Die Diskussion um die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels und mögliche Einschränkungen bekommt wieder mehr Tempo. Auf das Gaspedal drückt die Ampel-Koalition: Im Juli setzte sie im Bundestag eine Reform des Agrarorganisationen- und Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG) durch. Das Gesetz soll nach dem Wunsch der Bundesregierung noch in diesem Jahr in Kraft treten.
Auf die Monopolkommission des Bundes (siehe Infokasten) hörten die Regierenden anscheinend nicht. Denn deren Mitglieder rieten von einem Beschluss zum jetzigen Zeitpunkt ab. Lob kommt im Nachhinein hingegen von der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Deren stellvertretender Hauptgeschäftsführer Peter Feller äußert: „Zahlreiche Lieferanten stehen mit dem Rücken zur Wand; abzuwarten ist keine Option.“ Der Lieferantenschutz müsse besser werden.
Das ursprüngliche AgrarOLkG von 2021 setzt die Richtlinie der Europäischen Union zu unfairen Handelspraktiken entlang der Lieferkette um, die UTP-Richtlinie (Unfair Trading Practices). Die UTP-Richtlinie soll für einen einheitlichen Mindeststandard zum Schutz von Erzeugern landwirtschaftlicher Produkte sorgen. Die Lieferanten von Milch- und Fleischprodukten sowie von Obst-, Gemüse- und Gartenbauprodukten werden ebenfalls einbezogen.
Nach dem Bundestagsbeschluss werden Lieferanten bestimmter Produkte wie Milch, Obst und Gemüse nun unbefristet geschützt. Erfasst sind Lieferanten mit einem Jahresumsatz von höchstens 350 Millionen Euro. Für die Lieferanten bestimmter Produktgruppen gilt ein Maximum von vier Milliarden Euro, wenn der gesamte Jahresumsatz des Lieferanten nicht mehr als 20 Prozent des gesamten Jahresumsatzes des Käufers beträgt.
Bisherige UTP-Verbote werden durch die neue AgrarOLkG-Fassung nachgebessert und um ein Umgehungsverbot ergänzt. Und: Während die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) als zuständige Überwachungsbehörde bisher eng mit dem Bundeskartellamt zusammenarbeiten musste, reicht künftig ein Informationsaustausch. Die Rolle der BLE wird also gestärkt.
Keine Notwendigkeit zum jetzigen Zeitpunkt
Vor dem Nachschärfen hatte das Bundesagrarministerium 2023 die bisherigen Erfahrungen mit dem AgrarOLkG auf den Prüfstand gestellt.
Zweifel an dieser Vorgehensweise äußert die Monopolkommission des Bundes. Die Evaluation der Vorschriften sei „nur von begrenzter Aussagekraft“, heißt es in einem „Policy Brief“ der Monopolkommission vom Februar 2024. Schließlich werde das Gesetz in vollem Umfang erst seit Juni 2022 angewandt. Die BLE habe erst fünf Verfahren auf der Basis des AgrarOLkG abgeschlossen und noch keine der Handelspraktiken untersagt.
Die Monopolkommission warnt vor neuen Eingriffen in die Lieferkette für Lebensmittel. Es fehle eine „belastbare Tatsachengrundlage“. Und weiter: „Auch die Notwendigkeit, weitere Sonderbestimmungen des kartellrechtlichen Missbrauchsverbotes mit dem Ziel der Eingrenzung der Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels beziehungsweise innerhalb der Lieferkette für Lebensmittel einzuführen, sieht die Monopolkommission gegenwärtig nicht.“
Sondergutachten im ersten Halbjahr 2025
Sowohl im Policy Brief als auch in ihrem Anfang Juli veröffentlichten Hauptgutachten „Wettbewerb 2024“ erkennt die Monopolkommission Hinweise darauf, dass „marktmachtbezogene Wettbewerbsprobleme in der Lieferkette für Lebensmittel existieren“ könnten. Doch Schnellschüsse lehnt sie ab. Stattdessen soll die Lebensmittellieferkette bis zu einem Sondergutachten im ersten Halbjahr 2025 noch gründlicher untersucht und damit erst die „Grundlage für Empfehlungen möglicher Eingriffe“ geschaffen werden. In diesem langwierigen Prozess werde die Monopolkommission „die Möglichkeit abwägen, (…) eine Sektoruntersuchung durch das Bundeskartellamt zu empfehlen“.
Diese differenzierte Argumentation liest sich jedoch zum Beispiel in einer Stellungnahme von Oxfam anders, einer Trägerin der Initiative „Konzernmacht beschränken“. Oxfam behauptet: Die Monopolkommission bestätige, „was wir bereits seit Jahren als Schieflage in unserem Ernährungssystem anprangern“. Und: „Die Macht der Supermärkte ist ein Fall für das Bundeskartellamt.“ Das aber war von der Monopolkommission des Bundes (noch) nicht zu hören.
Monopolkommission: Wer sind die Mitglieder?
Die Monopolkommission ist ein unabhängiges Expertengremium, das die Bundesregierung und die gesetzgebenden Körperschaften zu wettbewerbspolitischen und wettbewerbsrechtlichen Fragen berät. Auf Vorschlag der Bundesregierung werden die fünf Mitglieder durch den Bundespräsidenten für die Dauer von vier Jahren berufen. Im Juli gab es personelle Änderungen. Mitglieder des Gremiums sind zurzeit: Constanze Buchheim, unter anderem Aufsichtsrätin des Softwareunternehmens Valsight und Präsidentin der Entrepreneurs Organisation; Pamela Knapp, unter anderem Aufsichtsrätin der Lanxess AG; Dagmar Kollmann, Aufsichtsratsvorsitzende der Citigroup Global Markets Europe; Professor Dr. Tomaso Duso, Leiter der Abteilung Unternehmen und Märkte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sowie Professor für empirische Industrieökonomie an der Technischen Universität Berlin; Professor Dr. Rupprecht Podszun, Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie Vorsitzender der Academic Society for Competition Law, der globalen Fachgesellschaft für Kartellrecht.