Retail Innovation Days 2024 Warum der deutsche Handel noch Nachholbedarf hat

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Retail Media und künstliche Intelligenz sind zwei Seiten einer Medaille. Sie versprechen Kundenzentrierung und mehr Umsatz. Die Retail Innovation Days in Heilbronn hatten aber noch mehr zu bieten.

Donnerstag, 25. Juli 2024, 06:02 Uhr
Matthias Mahr
Artikelbild Warum der deutsche Handel noch Nachholbedarf hat
Bildquelle: DHBW Heilbronn/Karla Schraudolf

Es war ein Hochamt des Handels: Annähernd 500 Branchenexperten aus dem Lebensmitteleinzelhandel bis hin zur Baumarktbranche waren dem Aufruf zu den Retail Innovation Days der Dualen Hochschule in Heilbronn gefolgt und erlebten an zwei Tagen interessante Persönlichkeiten, starke Einblicke sowie eine Themenauswahl, die aktueller nicht sein konnte.

Retail Media − kein Hype und keine Illusion

Löst Retail Media die klassischen Werbekanäle ab? Für den Hochschullehrer Carsten Kortum ist diese Frage mit einem Blick über den Großen Teich geklärt, da Walmart damit inzwischen über 4 Milliarden US-Dollar umsetze und dadurch einen signifikanten Einfluss aufs Ergebnis nehme. Amazon macht bereits 70 Prozent seiner Erlöse mit kundenzentrierter Werbung. In Deutschland mangelt es noch am umfassenden Verständnis für Retail Media und an den Chancen, die mit innovativen Anwendungen digitaler Möglichkeiten einhergehen. Edeka Ueltzhöfer, so bekannte Juniorchef Florian im Gespräch mit Kortum, setzt noch und weiterhin auf den legendären Handzettel – trotz hoher Streuverluste. „Wir wollen keine Kunden, die online abdriften. Wir müssen für unsere Kunden ein Einkaufserlebnis erzeugen“ lautete sein Credo. Aus dem Publikum schaltete sich Ex-Metro-Mann und Trendscout Frank Rehme ein. Er brachte es auf den Punkt: „Retail Media ist mehr. Es bedeutet, den Kunden auf den Spuren zu bleiben!“

Bei Retail Media geht es um das Tracken der Retail Customer Journey, darum, Licht in die Blackbox stationärer Handel zu bringen, um den Brückenschlag vom Kunden zum Screen, der mittels Händler-App eine kontaktbasierte Ausspielung personalisierter Werbung möglich macht. Jan Riße von der Edgar Ambient Media Group unterstrich: „ Letztlich geht es darum, Werbegelder vom TV zum Händler zu bringen.“

25

Prozent der 
Warenkörbe im Handel beinhalten altersbeschränkte Artikel.

90

Prozent der ­Kassenfachkräfte 
wurden in den ­vergangenen 12 Monaten verbal angegriffen, als sie nach dem Alter fragten. KI könnte das verhindern.

Quelle: Diebold Nixdorf

Das Mindset des Händlers sei für die Umsetzung künstlicher Intelligenz (KI) wichtig, betonte Armin Müller von der Kaufland Stiftung. KI sei kein Hype, der vorübergehen werde, denn sie sorge für bessere Entscheidungen und bessere Prozesse im Handel. „KI liefert einen messbaren Mehrwert. Sie kann uns zum Beispiel vorhersagen, ob ein Loyalty-Kunde absprunggefährdet ist“, gab Müller bei seinem Heimspiel ein Anwendungsszenario zu Protokoll.

„Der Zweck heiligt nicht die Mittel!“

Zum „Lieferkettengesetz“ sagte dm-CEO Christoph Werner: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Das Anliegen dahinter ist das Einhalten sozialer Standards in Wertschöpfungsketten. Da geht es ja schon los. Welche Standards wollen wir denn nehmen? Unsere oder die aus den anderen Ländern?“ Idealerweise schaffe die Politik Rahmenbedingungen und schließe Handelsabkommen ab. Dann könne sich die freie Marktwirtschaft in diesem Rahmen entfalten. „Doch die politisch Beauftragten sind nicht in der Lage, solche Handelsabkommen abzu­schlie­ßen. Sie können sich einfach nicht einigen“, betonte er. Statt dieses Problem zu beseitigen, werde jetzt gesagt, die Wirtschaft solle das lösen, indem sie soziale Standards in den Ländern durchsetzt, in denen sie produziert. „Das ist übergriffig, weil sich Unternehmen ja nicht in diesen Ländern durchsetzen können. Sie können sich nur entscheiden, dort nicht mehr zu produzieren“, betonte der Lenker der größten deutschen Drogeriemarktkette.

Gerne würde Werner künftig Apothekenleis­tungen im dm-Markt übernehmen. „Gesundheit in Deutschland wird immer teurer, und wir werden immer älter. Dennoch sagen die Apotheker, das rentiert sich nicht mehr. Sie wollen höhere Vergütungen haben“, beschrieb er die aktuelle Situation. Seine Vorausschau: „Wofür es heute den ausgebildeten Apotheker braucht, kann künftig automatisiert werden.“ Natürlich bestenfalls und gerne bei dm.

Das Recht auf Reparatur ändert alles

Deutschlands führender Produkthaftungsanwalt Thomas Klindt brachte beim ernsten Thema „Recht auf Reparatur“ die Lacher auf seine Seite. „Stellen Sie sich mal jede Woche eine neue Welt vor. Was Ihr Chinese dann für eine Warenbevorratung machen muss, die er natürlich nicht machen wird“, erläuterte er. Bei Einladungen auf Vorstandsebene im Handel gehe es deshalb um die Nonfood-Frage, ob das Eigenmarkengeschäft abzuschaffen sei. Das Gesetz sei gut gemeint, aber nicht gut gemacht und habe für Eigen­mar­ken gravierende Konsequenzen.

 Zum Podcast: Retail Media: Ein Milliardengeschäft auch für den Supermarkt?