Interview mit Dr. Katharina Reuter „Schlechtmöglichster Zeitpunkt, Klimaschutzmaßnahmen auf die lange Bank zu schieben“

Was lässt sich durch die Nachhaltigkeits-Gesetzgebungen auf nationaler und EU-Ebene für Klimaschutz und resiliente Lieferketten erreichen? Und welche Unterstützungsangebote helfen Unternehmen bei der Umsetzung der neuen Pflichten? Darüber sprach die Lebensmittel Praxis sprach mit Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW).

Mittwoch, 22. Mai 2024, 15:04 Uhr
Bettina Röttig
Artikelbild „Schlechtmöglichster Zeitpunkt, Klimaschutzmaßnahmen auf die lange Bank zu schieben“
Bildquelle: BNW

Nach Monaten der Verhandlungen zu diversen Nachhaltigkeitsregulierungen: Wie ist Ihr Blick auf den aktuellen Stand?
Dr. Katharina Reuter: Es ist auf jeden Fall ein krasses Wechselbad der Gefühle. Zuerst hatte man den Eindruck, aus dieser großen Überschrift Green Deal werden konkrete Projekte, die das nachhaltige Wirtschaften voranbringen. Diese Euphorie und Hoffnungen haben auf jeden Fall einen Dämpfer bekommen und es ist ein Zungenschlag in die Debatte reingekommen, man könne Klimaschutz oder andere Nachhaltigkeitsziele jetzt depriorisieren. Das macht mir Sorgen. Dabei ist angesichts der der immer näher rückenden Klimakrise jetzt der schlechtmöglichste Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, Maßnahmen auf die lange Bank zu schieben.

Über welche Abschwächungen machen Sie sich die größten Sorgen?
Die neue Gentechnikverordnung beispielsweise ist für mich insgesamt ein Irrsinn. Bisher war für mich bereits fraglich, warum Unternehmen aus der Lebensmittelwirtschaft Lizenzgebühren zahlen und einen hohen Aufwand betreiben müssen, um Verbrauchern zu zeigen, dass sie das machen, was gut für die Menschen und die Umwelt ist, nämlich ohne Gentechnik zu arbeiten? Wenn die Verordnung nun aufgeweicht wird und auch in der Kategorie der Pflanzen neue Sorten künftig mit bis zu 20 gentechnischen Veränderungen erlaubt sein sollen, ohne dass Verbraucher dies im Supermarkt erkennen können, dann denke ich, es geht in die falsche Richtung.  

Noch ist viel im Fluss. Welche Chancen und Fortschritte bringen die zuletzt verhandelten Regulierungen aus Ihrer Sicht für die Ernährungssicherheit, Klimaschutz, Menschenrechte?
Der allergrößte Fortschritt ist, dass durch Taxonomie-Verordnung, Berichtspflicht und Lieferkettengesetzen klar wird: Die Verantwortung endet nicht am Werkstor, sondern man muss in die ganze Lieferkette schauen. Hoffentlich ist dies nun auch dem letzten Unternehmen klar geworden. Da Sie gefragt haben, was die Ernährungswirtschaft davon hat: Wir haben alle was davon, wenn dieser Planet fortbesteht. Auch für Fachkräfte werden engagierte Unternehmen interessanter, weil das Thema Job mit Sinn immer wichtiger wird. Dass Banken und Versicherungen auf Nachhaltigkeitsstrategien schauen werden, das sehen wir bereits daran, dass Stallneubauten nur noch mit Krediten unterstützt werden, wenn Tierwohl gewährleistet wird.

Kritiker argumentieren vor allem damit, dass der Mittelstand zu sehr durch die Bürokratiemonster belastet wird. Wie ist die ehrliche Rückmeldung aus den Partnerunternehmen des BNW?
Ich finde es verantwortungslos, wenn große Interessen- und Industrieverbände den Eindruck erwecken, man kann diese Zukunftsthemen noch aussitzen und versuchen, Regulierungen abzuschwächen. Dabei gibt es in der Wirtschaft schon eine große Zustimmung zu den Maßnahmen. Dabei beziehe ich mich auch auf das Sustainable Economy Barometer von Civey. Knapp 60 Prozent der Entscheider in der deutschen Wirtschaft sind überzeugt, dass Unternehmen ohne Nachhaltigkeitsstrategie nicht wettbewerbsfähig sind. Und doch gibt es noch viele Unternehmen, die sich gar nicht auf den Weg gemacht haben - und bei denen sind nun natürlich Aufwand und das Wehklagen entsprechend groß. In der Ernährungswirtschaft führe ich vor allem Gespräch mit Unternehmen, die ihre Verantwortung sehen; zwar sagen sie, “Es nervt uns auch, aber wir suchen die beste Lösung und bringen uns ein.” Zur Wahrheit gehört auch, dass es große Unternehmen ein Stück weit leichter haben, weil sie über mehr finanzielle und personelle Ressourcen verfügen. Wir sehen aber, dass das Plädoyer, dass die Kleinen und der Mittelstand nicht überfordert werden dürfen, auch gehört wird und Unterstützung geleistet wird.

Welche Unterstützung konkret hilft den Unternehmen?
Die Nachhaltigkeitsberichtspflicht kommt für die kleinen und mittleren Unternehmen erst später, sie profitieren dann davon, dass es mehr Handreichungen geben wird. Beim Thema Menschenrechte wird ein Helpdesk durch das BMZ organisiert und auch über den deutschen Nachhaltigkeitskodex beziehungsweise Rat für nachhaltige Entwicklung wird es Unterstützung geben.  Dieser hat ein Budget aus dem BMWK bewilligt bekommen, um ein Hilfsangebot auch für die CSRD auf den Weg zu bringen. Hilfreich ist, dass der Referentenentwurf zur nationalen Umsetzung der CSRD klar sagt, dass Unternehmen nicht doppelt berichtspflichtig sind. Diese Regelung ermöglicht es Unternehmen, ihren CSRD-Bericht mit dem Reporting nach dem Lieferkettengesetz zu kombinieren, was eine effiziente Nutzung von Ressourcen darstellt und eine Dopplung der Berichte vermeidet. Wir wissen, dass durch einen Trickle-Down-Effekt auch die Kleinen betroffen sein werden, denn wenn ein großes Unternehmen seinen CO2-Fußabdruck berichten muss, dann muss ich wissen, welche Emissionen der Lieferanten einzubeziehen sind.

Wo sind verpasste Chancen aus Ihrer Sicht durch die aktuellen Aufweichungen der Regulierung zum Beispiel CSDDD, wo sehen Sie da irgendwelche Risiken, die jetzt größer werden?
Mit der aufgeweichten CSDDD haben wir die Chance verpasst, etwas wirklich Ambitioniertes für Europa zu gestalten und voranzugehen. Wir hätten Standards mit setzen können. Am Ende sind wir jedoch froh, dass die Regulierung überhaupt durchgegangen ist. Man hat gesehen, dass die Argumentation gegen die Regulatorik mit dem Bürokratieabbau auch überhaupt nicht konsistent war. Denn ohne die CSDDD als europaweite Lösung, wäre mehr Bürokratie auf die deutschen Unternehmen zugekommen. Jetzt haben wir die Chance, für ein Level Playing Field zu sorgen und das spart am Ende dann auch Bürokratie. Die Unternehmen haben sich doch hier eh schon auf den Weg gemacht. Das LKSG ist eine Bemühenspflicht, es geht darum, überhaupt erst mal dieses Risikomanagement aufzubauen. Es ist eine Lernreise.  

Wir haben auch direkt Warnungen von Juristen erhalten, durch die CSDDD drohten Zustände wie in den USA, dass aus dem Gesetz ein Abmahngeschäft entstehen kann. Wie sehen Sie das Risiko?
Ich glaube umgekehrt, dass der Wert des Gesetzes darin liegt, resiliente Lieferketten zu organisieren. Wir sehen ja, wie Firmen heute auch ökonomisch darunter leiden, wenn durch Recherchen aufgedeckt wird, dass beispielsweise in Schokolade doch Kinderarbeit drinsteckt. Der Beschwerdemechanismus zum Beispiel ist doch am Ende auch ein Schatz, weil wir im Unternehmen darüber Hinweise bekommen, wo Missstände bearbeitet werden müssen.   

Reichen aus Ihrer Sicht die aktuellen Regulierungen aus? Oder braucht es mehr?
Die Transformation der Wirtschaft wird dadurch unterstützt. Wie oft mussten sich Nachhaltigkeitsbeauftragte in der Vergangenheit anhören: “Das Thema ist nicht so wichtig, dafür haben wir kein Budget, das können wir nochmal schieben”. Die aktuellen Regulierungen bringen Beständigkeit ins Nachhaltigkeitsmanagement und tragen dazu bei, die ökonomische Dimension der Transformation stärker zu spielen. Ein Game Changer wäre, wenn wir wahre Preise stärker abbilden würden und die Mechanismen des Kapitalismus besser greifen können. Dafür müssten wir beispielsweise CO 2 seinen echten Preis geben.