Standort Deutschland „Entlastungen müssen breit angelegt sein“

Peter Feller (Foto) hält wenig vom subventionierten Industriestrompreis. Er fordert: Runter mit Steuern und Abgaben.

Donnerstag, 12. Oktober 2023 - Management
Markus Wörmann
Artikelbild „Entlastungen müssen breit angelegt sein“
Bildquelle: Santiago Engelhardt

Herr Feller, in der politischen Landschaft wird gerade über eine drohende Deindustrialisierung in Deutschland gesprochen. Wie sehen Sie die Ernährungsbranche aufgestellt?
Peter Feller: Diese Diskussionen erfolgen insbesondere vor dem Hintergrund ungünstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel einer stetig zunehmenden Regulierung und damit verbundenen bürokratischen Belastungen, teurer Energie, hohen fiskalischen Belastungen sowie einer zunehmend restriktiven Praxis des Finanzsektors bei der Kreditvergabe. Davon ist die Ernährungsindustrie als eine der großen Industriebranchen in Deutschland genauso betroffen wie andere Sektoren.

Gibt es bereits Abwanderung ins Ausland?
Zunächst einmal fällt auf, dass diese Aspekte von Unternehmensvertretern, insbesondere aus dem KMU-Bereich, zunehmend thematisiert werden. Daraus resultiert meines Erachtens ein eher schleichender Prozess, der sukzessive dazu führt, dass Investitionsentscheidungen gegen den Standort Deutschland getroffen werden. Damit ist auf Dauer eine Verlagerung von Produktionskapazitäten, Wertschöpfung und Arbeitsplätzen ins Ausland verbunden, sofern seitens der Politik nicht konsequent gegengelenkt wird.

Über allem schweben die hohen Energiekosten. Wie sehr sind inländische Firmen der Ernährungsbranche im europäischen Wettbewerb benachteiligt?
Ganz erheblich. Ausländische Wettbewerber, mit denen die deutschen Nahrungsmittelhersteller sowohl auf dem Inlandsmarkt als auch den Exportmärkten konkurrieren, werden mit weitaus geringeren Energiepreisen beziehungsweise -kosten belastet. Dies begründet einen klaren Standortnachteil für die Hersteller in Deutschland.

Gefordert wird beispielsweise ein limitierter Industriestrompreis. Was halten Sie davon und wie viele Lebensmittelerzeuger würden überhaupt davon profitieren?
Davon halten wir wenig und das haben wir Bundeskanzler Olaf Scholz und den Bundesministern Robert Habeck, Christian Lindner, Cem Özdemir sowie Hubertus Heil in einem Schreiben vom 25. August anlässlich der Klausurtagung der Bundesregierung in Meseberg auch klar und deutlich mitgeteilt. Es muss doch im Blick behalten werden, dass von den hohen Strompreisen in Deutschland alle Verbraucher betroffen sind. Es wäre unseres Erachtens viel zu kurz gesprungen, wenn man nur einige energie- und handelsintensive Branchen in den Genuss eines vergünstigten Industriestrompreises kommen lässt und allen anderen sagt, dann müsst ihr eben die Preise für eure Produkte erhöhen. In diesem Kontext muss der Blick sowohl auf die Beschaffungs- als auch die Absatzmärkte der Unternehmen gerichtet werden. Der größte Absatzmarkt der Ernährungsindustrie ist nach wie vor der hoch konzentrierte Lebensmitteleinzelhandel – und leider vernehmen wir aus dem Kreis unserer Mitglieder regelmäßig, dass sich steigende Beschaffungskosten oftmals nicht adäquat in den Abgabepreisen an den Handel abbilden lassen. Kurzum: Entlastungen bei den Strompreisen müssen grundsätzlich breit angelegt werden.

Was sollte die Politik für den weit verbreiteten Mittelstand in Sachen Energiekosten jetzt tun?
Nach wie vor noch bestehende Umlagen auf den Strompreis und die Stromsteuer sollten abgesenkt werden. Das ließe sich auch in unbürokratischer Weise bewirken. Die Reduktion der Netzentgelte stellt einen zusätzlichen Ansatz dar. Eine bedarfsentsprechende weitergehende Förderung energieintensiver Branchen bleibt davon im Übrigen unberührt.

Steuern und Abgaben auf Strom sind seit dem Wegfall der EEG-Umlage Mitte letzten Jahres so gering wie seit zehn Jahren nicht mehr. Was bringt eine weitere Reduzierung dieser Position?
Die Strompreise haben sich gegenüber dem Vorjahr zwar erheblich reduziert, werden aber voraussichtlich auf mittlere Sicht, im Vergleich zu Vorkrisenzeiten, um den Faktor zwei teurer sein. Trotz des Wegfalls der EEG-Umlage liegt der Anteil von Steuern und Umlagen bei den Industriestromtarifen bei über zehn Prozent, sodass damit zusätzliches Entlastungspotenzial verbunden ist.

Laut Energie-Bundesverband BDEW hat sich der Strompreis gegenüber dem zweiten Halbjahr 2022 aktuell wieder halbiert. Wie viel Luft gibt das den Firmen?
Das ist zutreffend, aber die Energiepreise im Jahr 2022, vor allem im zweiten Halbjahr, waren durch Unwägbarkeiten des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine bedingt, insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssicherheit. Aber im Vergleich zu vor dem Krieg sind die Strompreise weiterhin höher und es ist nach aktuellen Prognosen der Stromanbieter davon auszugehen, dass dies so bleiben wird. Vor diesem Hintergrund stellt das Niveau der Strompreise nach wie vor eine problematische Herausforderung für die Branche dar.

Sie fordern, den Spitzenausgleich für Strom und Gas auch im nächsten Jahr fortzuführen. Welche Effekte versprechen Sie sich?
Dieser Ausgleich und die damit verbundene finanzielle Entlastung ist für Unternehmen des produzierenden Gewerbes, zu denen auch das Ernährungsgewerbe zählt, von großer Bedeutung. Der Wegfall dieser seit 2002 bestehenden Steuervergünstigung würde dazu führen, dass sich die Energiekosten für die betroffenen Unternehmen in einer Größenordnung von insgesamt bis zu zwei Milliarden Euro erhöhen. Dies würde zahlreiche Wertschöpfungsketten finanziell zusätzlich belasten. In einer Zeit, die durch eine Energiepreiskrise und wirtschaftliche Unwägbarkeiten bis hin zu Existenzgefährdungen von Unternehmen gekennzeichnet ist, hat dieses politische Signal eine fatale Wirkung. Wir haben die Bundesregierung deshalb dazu aufgefordert, diesen Eindruck schnellstmöglich durch ein Bekenntnis zur Verlängerung des Spitzenausgleichs zu korrigieren.

Was können Unternehmen selbst oder auch die Bundesregierung tun, um einen niedrigeren Einkaufspreis für Strom und Gas zu erzielen? Das verspricht doch einen viel größeren Hebel als die Senkung von Umlagen und Steuern?
Zunächst einmal gilt es, so schnell wie möglich Erzeugungs- und Netzkapazitäten mit Blick auf nicht fossile Energieträger auszubauen, damit die Strompreise für alle wieder sinken und die politischen Klimaschutzziele erreicht werden. Das ist jedoch mit einem erheblichen zeitlichen Vorlauf verbunden. Unternehmen sollten prüfen, ob und inwieweit ihre Energiestrategie beziehungsweise -beschaffung optimierbar ist, um auf diesem Wege möglichst kurzfristig Vorteile zu generieren. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die Energie am günstigsten ist, die nicht verbraucht wird, das heißt Energie so effizient wie möglich einzusetzen und deshalb den Blick auch auf mögliche Energieeffizienzpotenziale richten. Im Hinblick auf die geforderte Absenkung von Steuern und Umlagen geht es dies betreffend nicht um ein „Entweder-oder“, sondern um ein „Sowohl-als-auch“.

Welche Möglichkeiten, gerade für Unternehmen aus der Lebensmittelerzeugung, gibt es, selbst zum Energieerzeuger zu werden?
Hier steht mit Blick auf erneuerbare Energieträger ein breites Portfolio an technischen Möglichkeiten, wie zum Beispiel Fotovoltaik, Windkraft, Solarthermie, Geothermie und Biomasse, zur Verfügung. Es hängt jedoch von den individuellen Gegebenheiten der Unternehmen ab, ob und inwieweit diese vor Ort realisierbar sind.

Wie können Sie als Dachverband die Unternehmen bei diesen Herausforderungen unterstützen?
Grundsätzlich schon. Ich kann Ihnen hierfür zwei Beispiele unseres Verbands nennen. Seit 2008 veranstalten wir jährlich Workshops, die den Teilnehmern Anregungen vermitteln, wie die Energiewende in ihren Unternehmen umgesetzt werden kann. Die nächste Veranstaltung findet übrigens am 24. Oktober in Essen statt. Darüber hinaus betreiben wir eine Klimaschutz-Kampagne der Ernährungsindustrie, die in den vergangenen drei Jahren durch das Bundesumweltministerium sowie das Bundeswirtschaftsministerium gefördert worden ist. Auch bei dieser Kampagne geht es darum, Impulse zu setzen, dass die Branche ihren Energieeinsatz optimiert und dadurch einen Beitrag leistet, damit die bestehenden Klimaschutzziele erreicht werden. Diese Kampagne haben wir „Plusplus Prinzip“ genannt, denn das Doppelplus steht sowohl für ökonomische als auch ökologische Vorteile, die sich durch entsprechende Maßnahmen realisieren lassen.

Wenn Sie drei Wünsche bei der Bundesregierung frei hätten: Welche wären das konkret?
Im Hinblick darauf, dass die in unserer Branche tätigen Unternehmen gerne auch in Zukunft Nahrungsmittel in Deutschland herstellen möchten, benötigen sie geeignete, das heißt bessere Rahmenbedingungen. Heruntergebrochen auf drei Wünsche wären dies insbesondere der Erhalt einer geschlossenen Lebensmittellieferkette mit allen Teilbranchen in Deutschland, die Reduzierung von Regulierung und Bürokratieaufwand sowie wettbewerbsfähige Energiekosten.

Von Berlin bis Brüssel - Lobbyarbeit in der Politik

Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) ist der wirtschaftspolitische Spitzenverband der Lebensmittelhersteller. Sie vertritt nach eigenen Angaben die branchenübergreifenden Interessen gegenüber Politik, Verwaltung, Medien, Gesellschaft und Marktpartnern – weltweit. Der Verband mit Sitz in Berlin ist Ansprechpartner der nationalen Politik; auf EU-Ebene setzt die BVE sich mit einem eigenen Büro in Brüssel für ihre Mitglieder ein.

Peter Feller, Stellvertr. Hauptgeschäftsführer, Jahrgang 1960, ist seit 2006 bei der BVE. Der Rechtsanwalt befasst sich insbesondere mit Umwelt-, Klima-, und Energiepolitik sowie mit wettbewerbs- und kartellrechtlichen Fragen. Zuvor war der gebürtige Hesse lange Zeit als Justiziar in einem internationalen Nahrungsmittelkonzern tätig.