Vertical Farming Profitables Geschäftsmodell?

Infarm hat sich mit seinen Indoor-Farmen aus Europa zurückgezogen, zum Ärger vieler Händler. Worauf Kaufleute beim Vertical Farming achten sollten und was sich in der Technologie tut.

Mittwoch, 09. August 2023 - Management
Hedda Thielking
Artikelbild Profitables Geschäftsmodell?
OrbiLoop adressiert hauptsächlich „InStore“-Anwendungsszenarien im kleineren Maßstab, wie in Supermärkten, Restaurants, Mensen oder Kantinen. Dort können frische, pestizidfrei kultivierte Kräuter und Salate ganzjährig wetterunabhängig produziert werden. Die Kultivierungsfläche kann je nach Bedarf flexibel in Höhe und Breite ausgelegt werden. Ein 3 Meter hoher „Loop“ hat beispielsweise Platz für etwa 400 Pflanzen.
Kommerzielle OrbiLoop Systeme können über lizenzierte Anlagenhersteller erworben werden.
Quelle: www.ime-fraunhofer.de
Bildquelle: Christian Ahrens / EUtech Scientific Engineering

Anfangs war Thomas Schürbüscher begeistert von der Idee, Kräuter aus einer Indoor-Farm in seinem Beckumer Rewe-Markt zu verkaufen. Er schloss einen mehrjährigen Vertrag mit Infarm und gab allein 4.000 Euro für Installationen aus. „Auch wenn es unterm Strich ein Zuschussgeschäft war, sorgte die Anlage für Aufmerksamkeit“, sagt der Kaufmann. Doch die Zusammenarbeit mit Infarm dauerte nur anderthalb Jahre, bis sich das Unternehmen aus Europa zurückzog und auch die Indoor-Farm in seinem Markt vorzeitig abbaute. Begründung: Die Absicht, Erträge zu erwirtschaften, sei nicht aufgegangen. „Das war ein Schuss in den Ofen“, resümiert Thomas Schürbüscher das Intermezzo mit Infarm. Wegen der Installationskosten geht er nun gerichtlich vor. Auch Aldi Süd und Kaufland hatten mit Infarm Verträge geschlossen. Ob sie das Vertical Farming weiter verfolgen, dazu wollten sie sich nicht äußern.

Andere Anbieter hatten ebenfalls zu kämpfen. Edeka Stadler + Honner verkaufte auf ihrer Großfläche „Die Frisch-Nachbarn“ in Unterföhring Kräuter und Salate aus dem 120 Quadratmeter großen Grow-Tower des Start-ups „&ever“. „Diese Firma wurde von Kalera übernommen, Kalera wurde nach einer Insolvenz von einem niederländischen Unternehmen aus der Insolvenzmasse herausgekauft. Das wollte den Grow Tower nicht übernehmen, sodass wir ihn einem interessierten Landwirt schenkten“, berichtet Juniorchef Daniel Honner. Die Beispiele zeigen: Vertical Farming ist kein Selbstläufer.

95 % Wasser können mit der „Orbi Loop“-Anlage eingespart werden.

Quelle: Fraunhofer IME

Worauf Händler achten sollten
Prof. Dr. Heike Susanne Mempel von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) sieht den Einsatz von Vertical Farms im LEH eher kritisch: „Aus Marketing-Sicht macht er vielleicht Sinn. Doch angesichts der hohen Betriebskosten werden es Supermärkte auch in absehbarer Zeit schwer haben, Vertical Farming rentabel zu gestalten.“ Potenzial sieht sie eher in der lebensmittelverarbeitenden und in der pharmazeutischen Industrie. „Hier können Pflanzen, die sonst importiert werden müssen, unter standardisierten Bedingungen, ohne Pflanzenschutzmittel, mit denselben oder erhöhten Gehalten an Inhaltsstoffen und in einer gleichbleibenden Qualität produziert werden“, ist die Professorin überzeugt.

Indoor-Farmen in Supermärkten sind ihrer Ansicht nach nur unter folgenden Bedingungen sinnvoll: „Händler müssen die Energiekosten in Schach halten können, beispielsweise mit regenerativen Energien wie mit einer Fotovoltaikanlage.“ Sie sollten zudem wissen, mit welchen Produkten sie eine Nische in ihrem Sortiment schließen können. Mempel stellt zudem fest: „Am Anfang war Vertical Farming vor allem technologiegetrieben. Dann merkte man, dass auch Know-how im Pflanzenbau benötigt wird. Wenn unterschiedliche Pflanzen mit denselben Nährlösungen, Temperaturen und Lichtverhältnissen produziert werden, kann das zulasten der Qualität gehen.“ Händler sollten darauf achten, dass Hersteller von Indoor-Farmen die Wachstumsbedingungen individuell an die Pflanzen anpassen können. Und: Mitarbeiter im Markt sollten Spaß daran haben, die Anlage eigenständig zu bedienen. Interesse an Technologie und Pflanzenbau seien dafür vorteilhaft.

Gesamtkonzept muss stimmen
„Unterm Strich muss die Anlage profitabel sein. Dafür muss ein tragfähiges Gesamtkonzept her“, betont auch Andreas Reimann vom Fraunhofer IME. Er erläutert: „Wenn ein Händler mit der Anlage zum Beispiel Salatköpfe verkaufen will, sollte er vorab genau kalkulieren, ob und wie er damit für seinen speziellen Einsatz ein profitables Geschäftsmodell abbilden kann.“

Er gibt zu bedenken: „Die Produktion im Vertical Farming ist zwar effizienter als im Freiland. Das allein reicht aber nicht aus, wenn die Produktionskosten und damit auch die Produktpreise letztlich so hoch sind, dass die Kunden nicht zugreifen.“ Kostentreiber im Betrieb seien vor allem Energie für die Beleuchtung und Klimatisierung, insbesondere wenn in Indoor-Farmen nur Kunstlicht genutzt werde. Das Fraunhofer IME hat mit den Systemen OrbiPlant (für die industrielle Produktion im Großmaßstab) und OrbiLoop (für die kleinskalige Produktion, beispielsweise im LEH) eine neue Vertical-Farming-Plattformtechnologie entwickelt, mit der man auch Sonnenlicht nutzen und damit Energiekosten senken kann. Was es mit dem OrbiLoop-System auf sich hat, erfahren Sie im folgenden Kasten.

3 Fragen an

Andreas Reimann. Er ist Diplom-Biologe beim Fraunhofer IME. Er arbeitet u. a. an der Weiterentwicklung und Verwertung des OrbiLoop Systems.

Worin unterscheidet sich OrbiLoop von anderen Systemen?

Es kommt eine senkrecht ausgerichtete Förderbandschleife (Loop) zum Einsatz, in welche die Pflanzen zur Kultivierung direkt eingesetzt werden. Mit Hilfe des Förderbands rotieren sie kontinuierlich im System während sie wachsen. So wird eine hocheffiziente Pflanzenproduktion auf kleinster Grundfläche ermöglicht, die flexibel eingesetzt werden kann und dank der kontinuierlichen Rotation ein schnelles Pflanzenwachstum mit hoher Biomasse begünstigt bei gleichzeitiger Premiumqualität.

Wie bekommen die Pflanzen Wasser, Nährstoffe und Licht?

Die Pflanzenwurzeln befinden sich nicht in einer Nährlösung, sondern hängen im Inneren der Förderbandschleife in der Luft. Über einen Sprühnebel werden sie mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Überschüssiges Wasser wird dem System wieder zugeführt. Die Beleuchtung der Pflanzen erfolgt durch eine modulare LED-Technik über beide senkrechte Förderbandflächen.

Wie lässt sich mit der Anlage natürliches Sonnenlicht nutzen?

Die Anlage ist über die gesamte Förderbandfläche offen gestaltet. Stellt man die OrbiLoop Anlage dort auf, wo auch Tageslicht einfällt, gelangen durch die Rotation des Förderbands alle Pflanzen immer wieder an das Sonnenlicht. Dadurch lässt sich Energie für die LED-Beleuchtung einsparen, die in Abhängigkeit der Sonnenlichtverfügbarkeit dann nur noch bei Bedarf automatisiert zugeschaltet wird. Bei klassischen Hochregalsystemen wäre die effiziente Sonnenlichtnutzung systembedingt nicht möglich, da nur die oberste Ebene und ein limitierter Regalrandbereich vom Sonnenlicht profitieren würden.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Das Vertical-Farming-System OrbiLoop ist die kleinere Variante von OrbiPlant. Es ist nicht – wie bei OrbiPlant – wellenförmig über mehrere Förderbandschleifen konzipiert, sondern rotiert kontinuierlich in einer einzigen Förderbandschleife („Loop“) vertikal. Das kompakte OrbiLoop-Design ermöglicht eine flexible und autarke Pflanzenproduktion ohne besondere Fachkenntnisse und bei minimalem Zeitaufwand.
Quelle: www.ime-fraunhofer.de
Bild öffnen OrbiLoop adressiert hauptsächlich „InStore“-Anwendungsszenarien im kleineren Maßstab, wie in Supermärkten, Restaurants, Mensen oder Kantinen. Dort können frische, pestizidfrei kultivierte Kräuter und Salate ganzjährig wetterunabhängig produziert werden. Die Kultivierungsfläche kann je nach Bedarf flexibel in Höhe und Breite ausgelegt werden. Ein 3 Meter hoher „Loop“ hat beispielsweise Platz für etwa 400 Pflanzen.
Kommerzielle OrbiLoop Systeme können über lizenzierte Anlagenhersteller erworben werden.
Quelle: www.ime-fraunhofer.de