Verkaufsverbot wird geprüft Özdemir steckt in der Klemme

Gegen ein mögliches Verkaufs‧verbot von Lebensmitteln unter den Produktionskosten regt sich Widerstand von mehreren Seiten.

Mittwoch, 08. März 2023, 18:10 Uhr
Thomas Klaus
Artikelbild Özdemir steckt in der Klemme
Bildquelle: sedatmehder.com

Im März wird das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Post vom Ins‧titut für Betriebswirtschaft des Johann Heinrich von Thünen-Institutes bekommen. Inhalt: die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung eines Prüfauftrages. Dessen Thema: ein mögliches Verbot des Einkaufs von Lebensmitteln unter den Produktionskosten. Auftraggeber war das von dem Grünen-Politiker Cem Özdemir geführte BMEL.

„Kein sinnvolles Instrument“
Von Teilnehmern der drei Workshops, auf denen das Prüfergebnis unter anderem basiert, hat Lebensmittel Praxis erfahren: Die meisten der zahlreichen Stakeholder aus Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft lehnen das Verbot ab.

Institutsdirektorin Professorin Dr. Hiltrud Nieberg will sich im exklusiven LP-Gespräch zwar noch nicht zu den Ergebnissen äußern. Aber die stellvertretende Vorsitzende des BMEL-Beirates für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) hat zu einem möglichen Verkaufsverbot eine klare Haltung: „Das wäre kein sinnvolles Instrument.“

Gegen ein Verbot spricht nach Ansicht der Braunschweiger Professorin zum Beispiel, dass die Produktionskosten zwischen den Betrieben stark variieren: bei Milch zum Beispiel von etwas über 30 Cent bis über 1 Euro je Liter. Nieberg: „Hier stellte sich als Erstes das Problem, welche Kostenhöhe für die Preisfestsetzung zu wählen wäre. Nähme man die durchschnittlichen Produktionskosten, dann würden diejenigen Landwirte, die zu höheren Produktionskosten erzeugen, weiterhin unzufrieden sein. Denn sie bekämen ihre Vollkosten nicht gedeckt.“

Quotierungs-Wunsch käme zurück
Die Betriebe mit günstigeren Produktionskosten würden dagegen ihre Produktion ausdehnen. Dieses Mehrangebot auf dem Markt könnte dann letztendlich nur zu niedrigeren Preisen auf dem Weltmarkt abgesetzt werden. Vor dem Hintergrund internationaler Handelsverflechtungen hätte das erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbskraft der Verar‧beiter, so die renommierte Agrarforscherin, die auch in der Zukunftskommission Landwirtschaft des Bundes mitarbeitet. Sie prognostiziert: „Der Ruf nach einer Quotierung der Produktionsmenge würde wieder aufflammen.“

Nieberg fügt hinzu: „Die Produktionskosten der Verarbeiter sind eine Art Blackbox. Wer ermittelt und prüft diese?“ In der Summe würde ein staatlich verordnetes Verkaufsverbot zu hohen Bürokratiekosten für alle Beteiligten führen, ohne am Ende die gewünschten Ziele zu erreichen. Dass die Verbotsfrage überhaupt aufflammt, ist durch den Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgezeichnet.

Weiterer Koalitionskrach droht
Im Abschnitt „Lebensmittelmarkt“ heißt es vor allem auf Wunsch der Grünen: „Wir gehen gegen unfaire Handelspraktiken vor und prüfen, ob der Verkauf von Lebensmitteln unter Produktionskosten unterbunden werden kann.“ Der Koalitionsvertrag trägt zwar auch die Unterschrift der FDP. Doch Dr. Gero Hocker, landwirtschaftspolitischer Sprecher der liberalen Bundestagsfraktion, formuliert auf LP-Anfrage: „Wer auf die Preisgestaltung des Handels Einfluss nehmen möchte, öffnet der staatlichen Festsetzung von Preisen Tür und Tor.“ Preisgarantien seien ein „Schritt in Richtung einer Staatswirtschaft“, und die würde Landwirte in noch größere Abhängigkeiten stürzen.

Noch schärfere Forderungen
Beim Thema Verbot droht jedoch nicht nur ein Koalitionskrach. Denn ein Verkaufsverbot geht einem breiten Bündnis von Verbänden und Initiativen nicht weit genug. Knapp 130 Verbände und Initiativen aus Umweltschutz, Verbraucherschutz und Gewerkschaften fordern gegen das „Preisdiktat der Supermarktketten“ ein Verbot bereits des Einkaufs von Lebensmitteln unterhalb der Produktionskosten. Unter anderem für dieses Ziel gingen im Januar in Berlin rund 10.000 Menschen auf die Straße. Zusammengerechnet repräsentieren die Verbände und Initiativen immerhin mehrere Millionen Menschen.

Viele der Bündnis-Kämpfer stehen den Grünen politisch zumindest nicht fern. Das nennt man wohl: Zwickmühle für Minister Özdemir.