Senioren-Azubis Update 2.0

Junge, geeignete Azubis sind Mangelware. Warum also nicht bewährte Mitarbeiter nachträglich ausbilden? Praxisbeispiele, die Mut machen.

Donnerstag, 08. September 2011 - Management
Heidrun Mittler
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„Die späte Ausbildung kostet viel, bringt aber die dankbarsten Mitarbeiter.“ Martina Walter
Bildquelle: Hoppen

Mit 45 Jahren eine Ausbildung beginnen? Noch einmal die Schulbank drücken? Das hat sich Andrea Ziegler in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Die gelernte Friseurin hat ihren Beruf aufgegeben, als ihre Kinder auf die Welt kamen. Als Hausfrau und Mutter hat sie als 400-Euro-Kraft in einer K&U-Bäckerei am Ort ausgeholfen, im Lauf der Jahre regelmäßig dort gearbeitet. Dabei muss sie ihren Bezirksleiter ganz offensichtlich beeindruckt haben: Er hat sie für die „Senior-Ausbildung“ bei K&U vorgeschlagen. Nun macht sie während ihrer Arbeit eine 24-monatige Ausbildung zur Fachverkäuferin Lebensmittelhandwerk – und ist mächtig stolz darauf. „Von allein wäre ich nie auf die Idee gekommen, noch einmal zu lernen“, sagt sie. Und fügt augenzwinkernd hinzu: „Ich hatte noch nie so gute Noten!“

Berufsschule: Hier hat sie unter anderem Robert Pejcev kennengelernt. Der 34-Jährige sprüht vor Elan, niemand käme auf die Idee, ihn als „älteren Menschen“ zu bezeichnen. Aber er trägt den Button „Senior-Azubi“ an seiner Arbeitskleidung trotzdem ohne zu Murren. Die Nachqualifizierung bedeutet für ihn eine zweite Chance.

Petra Vukovic hat „ihre“ Theke in Karlsruhe voll im Griff, sie leitet die Filiale. Nun ist die Chefin in Ausbildung: insgesamt 18 Wochen lang besucht sie die (verkürzte) Berufsschule, dafür wird sie in der Filiale freigestellt – bei vollem Lohn. Das Stillsitzen fällt ihr nicht leicht, sie ist „die Action“ an der Theke gewohnt. Andererseits ist mächtig stolz darauf, das Wieso-Weshalb-Warum zu begreifen.

Nur ein Beispiel: Sie weiß seit Kurzem, wann und warum die Kruste eines Roggenmischbrotes aufspringt. Der theoretische Unterricht macht sich auch im Kundengespräch positiv bemerkbar. „Das Wissen macht mich sicherer im Umgang mit Kunden“, erzählt sie. Die Senior-Ausbildung empfindet sie zwar als anstrengend – schließlich muss der Alltag zuhause ja auch noch laufen –, ist aber so gut von ihrer Zentrale organisiert, dass sie das alles gebacken bekommt.

Pilotprojekt: Die Organisation der Senior-Ausbildung liegt in den Händen von Corinna Krefft-Ebner, Ausbildungsmanagerin der K&U-Bäckereien mit Sitz in Neuenburg. K&U, eine Edeka-Tochter, betreibt fünf Produktionsbetriebe und rund 800 Bäckereifilialen, insgesamt sind 3.400 Mitarbeiter beschäftigt, darunter 400 Azubis. Das Unternehmen bietet diese späte Form der Ausbildung nicht allein aus reiner Menschenfreundlichkeit an. Auslöser dafür war vielmehr die Erkenntnis, dass man auf den demographischen Wandel reagieren muss – heute und insbesondere morgen, mit Blick auf eine weitere Expansion der K&U-Bäckereien. Anders ausgedrückt: Schon jetzt ist es schwierig, die Azubi-Stellen mit geeigneten jungen Menschen zu besetzen, künftig wird es noch schwieriger.

Finanzielle Förderung: Corinna Krefft-Ebner hat 2010 einen „Kraftakt“ bewältigt und eine Nach-Qualifizierung für ihr Unternehmen auf den Weg gebracht. Sie hat das Glück, dass sie auf ein Projekt in der Region Freiburg aufsatteln kann, das finanziell gefördert wird. Ohne die Unterstützung der Foege (Fördergesellschaft der Handwerkskammer Freiburg), der Handwerkskammer und der Arbeitsagentur würde das Pilotprojekt „Senior-Ausbildung“ nicht laufen, weiß sie. Die Arbeitsagentur beteiligt sich über die Maßnahme „Jobstarter“ am Arbeitslohn, sie subventioniert 50 Prozent der Bruttolöhne. Alle übrigen Kosten aber trägt K&U, das betrifft speziell den Personalaufwand für die überbetriebliche Ausbildung, eine eigene K&U-Akademie sowie Kosten für ein eigenes Internat, in dem die Teilnehmer während des Unterrichts wohnen können. Das Projekt „Senior-Ausbildung“ funktioniert nach Einschätzung von Krefft-Ebner, weil K&U ausreichend Teilnehmer gefunden hat, so dass man eine eigene Berufsschulklasse stellt. In diesem Klassenverbund sitzen alle in einem Boot, 22 Menschen, die das übliche Ausbildungsalter weit hinter sich gelassen haben. 17 davon haben schon vorher bei K&U gearbeitet, 5 sind neu dazugekommen. Die Klasse wird unterstützt von einer Mitarbeiterin der Foege, die mit Rat und Tat zur Seite steht, Berichtshefte kontrolliert und im Bedarfsfall sogar Nachhilfe organisiert.

K&U hat einen Ausbildungs-Lehrplan entwickelt, den die Senioren durchlaufen. Da die Teilnehmer schon Kenntnisse mitbringen (die Qualifikationen werden vorher geprüft), wird die Ausbildung auf zwei Jahre verkürzt. Das bedeutet, dass die Berufsschule auf 18 Wochen komprimiert ist. Die praktische Ausbildung erfolgt vor Ort in den Bäckereifilialen, außerdem in der eigenen K&U-Akademie. Corinna Krefft-Ebner weiß, dass die Ausbildung für die Senior-Azubis anstrengend ist. In den Filialen sind die Vorgesetzten zwar angehalten, die späten Azubis so gut wie möglich zu unterstützen. Aber wenn Personalmangel herrscht, muss am Wochenende gearbeitet werden, auch wenn die Woche über Berufsschulunterricht war.

Im Alleingang: Funktioniert eine Nachqualifizierung auch, wenn man keine zentrale Personalabteilung im Rücken hat, die sich durch den Behörden-Dschungel quält? Klare Antwort: Ja, aber dann eher ohne Fördergelder. Bestes Beispiel ist Martina Walter, eine außergewöhnliche Edeka-Einzelhändlerin aus Schöneiche bei Berlin.

Sie ist überzeugt, dass weitere Selbstständige ihrem Beispiel folgen werden, wenn sie nicht ausreichend junge Menschen für eine Ausbildung finden. Sie selbst hat in ihrem 1.450 qm großen Markt (geplanter Jahresumsatz: rund 9 Mio. Euro) jedenfalls immer Bedarf an guten Mitarbeitern. „Wir unterscheiden uns doch nur durchs Personal von anderen Läden“, weiß sie: „Eine moderne Waage kann sich schließlich jeder Händler in den Markt stellen.“

Nachhaltiger Effekt: Zurück zu K&U. Das Unternehmen ist in den letzten Jahren rasant gewachsen und plant weitere Expansion. Viele der Senior-Azubis sind auf dem besten Weg zu einer Karriere im Unternehmen. Krefft-Ebner: „Die stehen ganz oben auf der Liste, wenn bei uns Führungspositionen frei werden!“

Die erwachsenen Azubis sind engagiert, sozial kompetent und bringen Lebenserfahrung mit in den Alltag. In der Berufsschule stellen sie die beliebteste Klasse, in der die Lehrer liebend gern unterrichten. Aber rechnet sich der Aufwand auch fürs Unternehmen, schließlich ist ein Teilnehmer schon Ü-50? Dazu die Antwort von Winfried Fletschinger, Marketing- und Vertriebsleiter K&U: „Ja, denn durch diese Ausbildung haben wir für die nächsten 10 bis 12 Jahre einen dankbaren, hoch motivierten und gut ausgebildeten Mitarbeiter.“ Eine bessere Investition, so Fletschinger, kann es gar nicht geben. Er geht davon aus, dass andere Unternehmen dem K&U-Beispiel folgen.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Andrea Ziegler, 45. Sie hat erst ausgeholfen, später fest bei K&U bedient. Die Kinder sind „aus dem Gröbsten raus“, jetzt holt sie ihre Ausbildung nach.
Bild öffnen „Die späte Ausbildung kostet viel, bringt aber die dankbarsten Mitarbeiter.“ Martina Walter
Bild öffnen Robert Pejcev (34)
Bild öffnen Petra (42) und Sohn Marco (19) Vukovic
Bild öffnen „Senior-Azubis verfügen über soziale Kompetenz und Reife“ Corinna Krefft-Ebner
Bild öffnen Karl-Heinz Brand , Geschäftsleitung Mensch und Arbeit bei Tegut... gute Lebensmittel.