LP-Test Gut inszeniert ist (fast) schon verkauft

Was verschafft dem stationären Markt entscheidende Vorteile gegenüber Onlineangeboten und Lieferdiensten? Die LP zeigt Beispiele.

Dienstag, 14. Juni 2022 - Management
Silvia Schulz
Artikelbild Gut inszeniert ist (fast) schon verkauft
Bildquelle: Manuel Pallhuber

Mit welchen klugen Ideen bieten stationäre Händler dem erstarkten Onlinehandel Paroli? Das geht nämlich – denn der physische Kontakt ist und bleibt das Wertvollste der Kundenbeziehung. Beim Onlinekauf kann der Kunde nur sehen, bestenfalls hören. Alle anderen Sinne bleiben außen vor. Doch Riechen, Schmecken und Tasten sind nicht zu ersetzende Argumente für den Kauf vor Ort, und das in einer Ladenatmosphäre, die die Bezeichnung verdient, mit Mitarbeitern, die wissen und lieben, was sie tun, sowie analogen und digitalen Services.

Dr. Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel/Food Retail an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn, nennt ein erfolgreiches stationäres Handelsunternehmen „den dritten Ort“: „Inspiration, ein positives Lebensgefühl und persönliche Kundenbedienung sind die Stärken des stationären Handels der Zukunft“, erläutert Rüschen und führt aus: „Dies jeden Tag für den Kunden erlebbar im Store umzusetzen, ist eine hohe Herausforderung. Dabei kann Digitalisierung helfen, für den Kunden ein einzigartiges, personalisiertes Einkaufserlebnis zu schaffen.“ Der erfolgreiche Handel der Zukunft werde so zu einem dritten Ort, einem Ort also, an dem sich der Kunde neben dem Zuhause (erster Ort) und dem Büro (zweiter Ort) gern aufhält und verweilen möchte.

Zusammenspiel von Raum und Ware
Der Supermarkt ist – und das nicht erst seit Corona – zum eigentlichen Raum für Erlebnisse, Begegnungen und Inspiration geworden. War er früher lediglich Verkaufsfläche und diente dem Verkauf der Ware, ist er heute multifunktional, überra‧schend und serviceorientiert.

Mit einem gelungenen Zusammenspiel von Ladenarchitektur, Farben, Materialien, Beleuchtung, Visual Merchandising und der umgesetzten, klaren Sortimentsbotschaft und der richtigen Mischung aus herzlicher Begegnungsqualität im Kundenkontakt und exzellenter Prozessqualität an allen Kundenkontaktpunkten erzeugt jeder Markt mit seinem Team Kundenbegeisterung und Kundenloyalität. Wenn er sich dann noch zur Marke macht, wenn er unverwechselbar ist: im Sortiment, im Ambiente und in der emotionalen Kernaussage, wie Michael W. Junker, Inhaber von Juconcept, es nennt, dann braucht der Markt keine Konkurrenz zu fürchten.

Märkte im LP-Test
Auf der Besuchsliste der Lebensmittel Praxis standen Märkte, die unlängst an den Start gegangen sind, aber auch hochgelobte und ausgezeichnete. Der kleinste besuchte Markt überzeugt auf einer Verkaufsfläche von 1.510 Quadratmetern, der größte misst 9.055 Quadratmeter.

Inhaltlich ging es um all das, was der Kunde beim Einkauf erlebt, vom Außeneindruck über den Innenbereich, das Sortiment und die Services bis zum Personalkontakt. Die Tester mussten die Frage beantworten, ob sie in dem Markt wieder einkaufen würden, und das auch noch begründen. Dabei fielen die Begründungen sehr unterschiedlich aus. Zu guter Letzt vergaben die Tester Sterne für den Gesamteindruck. Ein Markt verdiente die höchstmögliche Anzahl der Sterne. Erfreulich ist aber auch, dass 87,5 Prozent der Märkte mit vier oder mehr Sternen bewertet wurden. Dennoch scheint da Luft nach oben.

Das wurde getestet

■ Das fängt beim berühmten ersten Eindruck an, geht über das Marktinnere (Zugang, Raumatmosphäre, Information …),
■ den Marktzustand (Ordnung, Sauberkeit, Präsenz der Ware …),
■ das Personal (Erscheinungsbild, Zugewandtheit zum Kunden, der Blickkontakt …),
■ die Servicetheken (Anordnung, Frische, Beschilderung, Hygiene …),
■ die Sortimentsvielfalt (Breite, Tiefe, Highlights, Regionales, Ideenreichtum …)
■ bis zum Kundenservice (Infotainment, Sinnesansprache, Individuelles …).

Stadler + Honner (Unterföhring) – Die Frisch-Nachbarn
Der neueste Stadler + Honner-Markt überzeugt Kunden auf den ersten Blick. Schon auf dem Weg via Rollsteige in den Markt hat der Kunde den Rundumblick. Ein Laden zum Wohlfühlen mit Atmosphäre und einem überzeugenden Sortiment. Ganz besonders beeindruckt die Kaffeerösterei mit dem selbst gerösteten Kaffee und einem wahren Verkaufstalent von Mitarbeiter.
www.stadler-honner.de

Rewe Wiesbaden – Grüne Zukunft
Auf dem schön angelegten Parkplatz gibt es neben großzügigen Parkplätzen E-Ladesäulen für Autos und E-Bikes. Gut sortiert mit vielen regionalen Produkten, die in Szene gesetzt sind, bietet der Markt Services wie Express-Kasse, Scan & Go, Sushi-Theke, Saftpresse, Ananasschneidemaschine, Abfüllmaschine für Milch vom Bauern und vieles mehr. Dazu überall dem Kunden zugewandte Mitarbeiter.
www.rewe.de/nachhaltigkeit/nachhaltig-einkaufen/green-farming/

Edeka Dörflinger (Ulm)– Das Beste aus der Region
Der Markt ist ein klares Bekenntnis zum Standort, dem Albert-Einstein-Platz. An den Wänden im Markt viele Einstein-Motive. Die verwendeten Naturmaterialien (oder sind es nur täuschend echte Imitate?) strahlen Ruhe raus und zeugen von einem ganzheitlichen Konzept. Die Frischetheken sprechen an, genau wie Produkte regionaler Start-ups.
https://edeka-doerflinger.de

Zurheide (Düsseldorf) – Feine Kost in Serie
Bei Zurheide haben die Waren eine Bühne. Dazu sind die Highlights über die gesamte Fläche verteilt. Da gibt es die Frischetheken, besondere SB-Einheiten wie zum Beispiel Süßwaren, die Kaffeerösterei, aber vor allem die verschiedenen gastronomischen Angebote im Markt. Hier wird das Einkaufen zum Ausgehen – mit einem Essen im Supermarkt ganz ohne Reservierung und mit einem Glas Wein.
https://www.zurheide-feine-kost.de/standorte/duesseldorf-nuernberger-strasse

Globus Braunschweig – Von Hand mit Herz
Ein Markt für alle Zielgruppen. Mit einem Metzgergrill, an dem männliche Kunden Schlange stehen, um sich ein Fleischkäsebrötchen mit süßem Senf für 1 Euro zu gönnen. Aber auch mit einem klimatisierten Raum für hochpreisige Weine wie zum Beispiel einen Bordeaux aus St. Émilion für 699 Euro. Der Einkauf im Globus macht vor allem wegen der großen Sortimentsauswahl Spaß.
www.globus.de/braunschweig

Simmel (Dresden)– Ein Genuss
Egal welchen Eingang der Kunde auch nimmt, der „Simmel-Baum“ fällt auf und macht neugierig. Er offeriert die Vision des Unternehmens und erläutert das Firmenleitbild. Beeindruckend. Ein Markt mit Atmosphäre sowie einem weißen Flügel auf einer Ausstellungsfläche, den Kunden nach Anmeldung benutzen dürfen. Tageslicht, breite Gänge, Übersicht und Mitarbeiter, wohin der Kunde auch schaut.
www.simmel.de

Edeka Paschmann (Mülheim) – Die neue Schönheit des Einkaufens
Das Marktkonzept des neuesten Paschmann-Marktes überzeugt die Tester in seiner Gestaltung sowie mit der enormen Sortimentsbreite und -tiefe. Die Atmosphäre lädt zum entspannten Einkauf ein. Highlights wie „Backstube“, „Unverpackt“, „Weinlounge“ und „Schnapsbar“ mit aktivem Sommelier sind unverwechselbar.
https://edeka-paschmann.de/markt/muelheim-hafencenter-weseler-strasse/https://edeka-paschmann.de/markt/muelheim-hafencenter-weseler-strasse/

Tegut (Bad Nauheim) – Gute Lebensmittel im warmen Ambiente
Der Markt im holzverkleideten Gebäude wirkt warm und atmosphärisch. Zu den kundenfreundlichen Eckdaten zählen: Marktzugang, Information, Übersichtlichkeit und Kundenführung. Dazu regionale und Bio-Artikel. Das Angebot an loser Ware ist groß und die Kaffee-Zapfstation (gegen Gebühr) kommt gut an. Alles in allem wird im Markt viel Wert auf Optik gelegt.
https://www.tegut.com/maerkte/markt/tegut-bad-nauheim-schwalheimer-str-79.html

Testrunde 2022: Ein Fazit
Monaco Franze (ein früherer Fernseh-Serien-Star) sagte mal: „A bisserl was geht immer.“ Dieser Satz trifft es ziemlich genau, denn auch wenn die Tester vieles erlebt haben, was sie emotional positiv berührte, stellten sie auch fest, dass die Mitarbeiter die Theorie der Webseiten in der Praxis mitunter nicht leben.

Dagegen gibt es Abhilfe: Öfter mal die Perspektive wechseln und sich Folgendes fragen: Was sieht der Kunde? Ist der Eingang einladend, sauber und frisch? Überzeugt der Markt auf den ersten Blick mit Wohlfühlatmosphäre? Oder was sieht der Kunde womöglich, was gar nicht geht? Wie steht es um die Orientierung im Markt? Erkennt der Kunde die Angebote und Warenaufbauten als das, was sie sein sollen? Erschließt sich dem Kunden beim Einkauf, was den Markt so besonders macht? Und wie sieht es mit den Mitarbeitern aus? Steht der Kunde beim Personal immer und überall im Fokus?

Hier wurde getestet
Edeka Paschmann, Weseler Str. 30, 45478 Mülheim (4.500 m2 )
Zurheide Feine Kost, Nürnberger Str. 4, 40599 Düsseldorf (6.000 m2 )
Stadler + Honner, Feringastr. 16, 85774 Unterföhring (7.500 m2 )
Globus, Otto-von-Guericke-Str. 11, 38112 Braunschweig (9.055 m2 )
Rewe, Berliner Str. 277–279, 65205 Wiesbaden-Erbenheim (1.510 m2 )
Tegut, Schwalheimer Str. 83, 61231 Bad Nauheim (2.200 m2 )
Edeka Dörflinger,Albert-Einstein-Platz 3, 89073 Ulm (2.000 m2 )
Edeka Simmel, Wiener Platz 5, 01069 Dresden (3.785 m2 )