Recht Haftungsfalle MHD ?

Anfang 2022 trat ein neues Kaufrecht in Kraft, mit dem die bisherigen Regelungen „fit gemacht“ werden sollen für die Herausforderungen des digitalen Zeitalters. Rechtsassessor Michael Griese erläutert im Interview die Auswirkungen für die Händler, vor allem beim Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD).

Freitag, 08. April 2022 - Management
Jens Hertling
Artikelbild Haftungsfalle MHD ?
Bildquelle: Aldi Süd

Zum Jahreswechsel 2022 sind neue Regelungen im kaufrechtlichen Sachmangelbegriff im BGB in Kraft getreten. Was ist da passiert?
Michael Griese: Die Definition des Sachmangels im Kaufrecht wurde europäisch einheitlich gestaltet. Neu ist jetzt unter anderem ein Abstellen auf die „Haltbarkeit“ (objektiv, aber auch subjektiv aus Sicht der Erwartungen des Käufers) eines Produktes bei der Ermittlung, ob ein Produkt mangelhaft ist.

Wie war das MHD bisher rechtlich geregelt?
Bislang wurde das MHD lediglich als grobe Information eingestuft, deren Unrichtigkeit für sich genommen noch keine rechtlichen Folgen hatte. Durch die Änderung im Gesetz kommt dem MHD nun erstmals eine Rechtsverbindlichkeit zu, die es vorher nicht hatte.

Wen betrifft die Änderung dieser Informationsangabe?
Jeden Lebensmittelhändler und -hersteller, der seinen Ein- oder Verkauf auf Basis des deutschen Rechts abwickelt.

Was bedeutet das konkret?
Das MHD gibt eine Aussage über die Haltbarkeit eines Lebensmittelproduktes ab. War bisher der tatsächliche Zustand der Ware ausschlaggebend, kann jetzt schon die reine Angabe des MHD ein Ansatzpunkt für die Frage sein, ob ein Sachmangel vorliegt. Das MHD wird also faktisch mit einer Garantie gleichgestellt. Ein Rückruf oder die nachträgliche Minderung des Kaufpreises einer ganzen einheitlich ausgezeichneten Warenpartie kann daher bereits bei einem einzigen nicht richtig deklarierten Produkt die Folge sein.

Welche Auswirkungen haben die Änderungen für den LEH?
Die Änderungen können zu höheren Anforderungen an das Qualitäts- und Warenmanagement im Einkauf sowie in der Auseinandersetzung mit Verbrauchern führen. Zudem kann die Anzahl an geltend gemachten Gewährleistungsansprüchen zunehmen.

Worauf müssen sich die Lebensmittelhändler einstellen?
Folge der Änderung können erheblich höhere Anforderungen an das Qualitäts- und Warenmanagement auf dem gesamten Transport- und Verarbeitungsweg sein. Auffälligkeiten, wie etwa bereits eine Überschreitung der Kühltemperatur von Kühlware während des Transports, müssten zur rechtlichen Absicherung weit häufiger zwischen den Vertragspartnern bestätigt werden.

Welche Kosten kommen auf den Händler im Ernstfall zu?
Die höheren Kosten könnten sich gegebenenfalls in verschiedenen Bereichen deutlich in der Bilanz wiederfinden. Sie können etwa Minderungskosten für mangelhaft gelieferte Ware betreffen, die eigentlich noch verzehrfähig wäre. Zudem können Vernichtungskosten, Kosten der Erfüllung von Nachlieferungsbegehren (Transport, Neubeschaffung, Logistik) und auch zusätzliche Personal- und sonstige Kosten für erhöhtes Qualitätsmanagement in Zukunft auf die Händler zukommen.

Kann der Händler oder Hersteller einer Haftung effektiv vorbeugen?
Neben einem aktiven Vertragsmanagement können durch kleine Kniffe in der Praxis bereits Risiken verringert werden. Zur Risikominimierung können Hersteller so etwa bei einer einheitlichen Warenpartie unterschiedliche MHD angeben, um etwaige Gewährleistungsansprüche nur auf Produkte mit dem rechtlich mangelhaften MHD zu beschränken. Zudem können bestehende „Sicherheitspuffer“ bei der Festsetzung des MHD variiert und das MHD früher angesetzt werden. Händler können sich durch vertragliche Abreden über den Sollzustand und z. B. eine Fixierung einer voraussichtlichen Haltbarkeit in den vertraglich vereinbarten Eigenschaften absichern. Zudem könnte Vertragspartnern die Unterzeichnung einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung bei Auffälligkeiten an der Ware oder im Transportverlauf abverlangt werden.

Lässt sich das Risiko versichern?
Durch die Aktualität der Gesetzesänderung lässt sich mangels Rechtsprechung hierzu noch nicht sagen, ob und wie sich dies tatsächlich in der Praxis auswirken wird und wie Versicherer mit dieser Frage umgehen werden. Hier muss das große Ganze betrachtet werden. Stellschrauben für eine aktive Vorbeugung gibt es aber in unterschiedlichen Versicherungen. Eine individuelle und risikokonzentrierte Beratung durch einen auf die Bedürfnisse der betroffenen Wirtschaftsbranchen spezialisierten Versicherungsmakler ist daher zu empfehlen.