EHI Retail Institute Die Pandemie meistern, das Klima schützen

Wie ist der Handel bislang durch die Pandemie gekommen? Und was muss er tun, um weiterhin auf Erfolgskurs zu bleiben? Michael Gerling (Foto), Geschäftsführer des EHI Retail Instituts, bewertet die aktuelle Lage. Ein Gespräch über Personalfragen, Fachmessen, E-Commerce und Goldgräberstimmung.

Freitag, 11. Februar 2022 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild Die Pandemie meistern, das Klima schützen
Bildquelle: Steffen Hauser

Wir navigieren alle gemeinsam gerade durch die vierte Corona-Welle. Viele Lebensmitteleinzelhändler haben in dieser Krisenzeit Umsatz hinzugewonnen. Wie aber geht es nach Corona weiter?
Michael Gerling:
Der Handel schaut mit Optimismus in das Jahr 2022. Die Faktoren, die dem Einzelhandel ein starkes Umsatzplus beschert haben, sind zumindest in Teilen weiterhin vorhanden: Die Gastronomie ist stark eingeschränkt, Homeoffice bleibt aktuell, Reisen ist noch mit Einschränkungen verbunden.

Die Inflation in Deutschland ist so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Was bedeutet das für den Handel?
Es gibt deutliche Preissteigerungen bei Rohstoffen, Preisänderungen in der Logistik – die Handelsunternehmen werden sich genau anschauen, welche Forderungen seitens der Markenartikler unter Eigenmarkenpartner gestellt werden. Sicherlich werden wir Preiserhöhungen sehen, was automatisch auch wieder auf den Umsatz einzahlt.

Es gibt auch Branchen, denen die wiederholten Lockdowns die Arbeitsgrundlage entzogen haben, wie etwa Messen oder Messebauer. Wie kommen die wieder auf die Füße?
Das Messethema tangiert uns direkt. Unsere Technologiemesse Eurocis, die wir mit der Messe Düsseldorf durchführen, konnte letztes Jahr nicht stattfinden. Kürzlich haben wir die diesjährige Messe verschoben, auf Ende Mai und Anfang Juni. Im Moment sind große Flexibilität und Einfallsreichtum gefragt. So haben wir im letzten Jahr auf einer Plattform viele Projekte dargestellt, die wir sonst während der Messe präsentiert hätten: zum Beispiel Studien, Preisverleihungen und Ergebnisse aus Arbeitskreisen. An diesen „Retail Innovation Days“ haben 8.000 Menschen online teilgenommen.

Wie viele Besucher kommen denn üblicherweise zur Eurocis?
Etwa 14.000 Personen, der virtuelle Auftritt war also gar nicht so weit von der Präsenzveranstaltung entfernt. Wir dürfen nicht warten, dass die Welt wieder so wird, wie sie früher war. Stattdessen müssen wir konsequent weiter neue Dinge entwickeln, auch wenn sie schwierig sind und manchmal schiefgehen.

Haben große Messen denn überhaupt noch eine Zukunft?
Messen wird es natürlich weiterhin geben, vielleicht werden die sehr bedeutenden Messen sogar profitieren. Allerdings werden sie sich verändern und mehr digitale Elemente haben.

Zurück zum Lebensmittelhandel. Er leidet unter Problemen, welche die Pandemie noch verschärft hat. So hat er gewaltige Schwierigkeiten, gutes Personal zu bekommen. Was läuft da schief?
Personalprobleme hat der Handel seit Langem, als Ursachen werden häufig ungünstige Arbeitszeiten und zu geringe Vergütung genannt.

Aber müssen wir in diese Diskussion nicht noch das angekratzte Image des Handels mit einbeziehen?
In der Anfangsphase der Pandemie gab es sogar einen Aufwärtsschwung für die Reputation, weil der Handel systemrelevant ist. Doch im Moment denkt kaum noch einer daran, was die Menschen in dieser Branche täglich leisten. Dabei stehen sie unter ständiger Ansteckungsgefahr, arbeiten auf der Fläche mit FFP2-Masken. Die Mitarbeiter machen einen super Job, sind hochgradig flexibel.

Aber die Personalprobleme bleiben …
Dafür ist auch der demografische Wandel verantwortlich. Wir müssen uns mit der Frage „Wie finden und binden wir engagierte Menschen?“ weiter sehr intensiv beschäftigen – übrigens ist das auch das Thema auf der MLF-Herbsttagung dieses Jahr bei Edeka Niemerszein in Hamburg.

Der Handel reagiert auf die Personalsorgen unter anderem mit technischen Lösungen, die Mitarbeiter einsparen sollen, Stichwort Smart Stores. Ist das die richtige Lösung?
Ich denke, man muss sich mit diesen neuen technischen Lösungen auf jeden Fall beschäftigen. Mittelfristig stellt sich die Frage, welche Arbeiten der Mitarbeiter man durch Technologien ersetzen kann. Beim Scannen und Kassieren ist das ein großes Thema, bei der Bedienung nicht.

Doch besonders gravierend ist der Fachkräftemangel an den Bedienungstheken. Weitergedacht: Wenn gute Vollsortimenter ihre Theken aufgrund von Personalmangel nicht mehr betreiben können, womit sollen sie sich dann noch gegenüber Discountern profilieren?
An den Bedienungstheken werden heute schon gute Gehälter bezahlt. Ich denke, dass man diese Positionen auch weiterhin besetzen kann. Allerdings wird die Preisspirale bei der Vergütung nach oben gehen, eben weil die Bedienungstheke das wichtigste Profilierungsfeld ist.

Eine noch junge Entwicklung ist E-Commerce für Lebensmittel: Anbieter wie Gorillas, Flink, Wolt oder Knuspr sind auf Expansionskurs. Stellen diese eine Gefahr für den stationären Lebensmittelhändler dar?
Im Moment ist der Onlinehandel bei Lebensmitteln noch völlig unbedeutend. In der Pandemie hat er seinen Marktanteil von einem auf zwei Prozent erhöht. Schaut man sich Anbieter wie Edeka oder Rewe an, dann scheint es, als käme noch niemand an das Ziel der Wirtschaftlichkeit heran. Die neuen Marktteilnehmer wollen mir jetzt noch einen kleinen Einkauf mit einem geringen Bon in kürzester Zeit kostenfrei liefern.

Das kann in Ihren Augen nicht gut funktionieren?
Vielleicht kann man das mit den Goldgräbern vergleichen. Da kann man sich fragen, wer tatsächlich Geld verdient: diejenigen, die Gold schürfen, oder diejenigen, die dafür Hacken, Pfannen und Siebe verkaufen? Zurzeit gibt es in Deutschland einen Kapitalmarkt, dann wird es bald eine Konsolidierung geben, daran verdienen sicher ein paar Leute. Aber es wird schwierig, mit dem eigentlichen Geschäft Geld zu machen.

Sind damit die genannten Lieferdienste demnach nur eine temporäre Erscheinung?
Nicht unbedingt. Alle Supermärkte, die etwas auf sich halten, haben auch eine Fischtheke, die kaum irgendwo wirtschaftlich ist. Die Lieferung von Lebensmitteln wird in Zukunft zum stationären Handel dazugehören, weil der Kunde es erwartet. Die Schnellbelieferung allerdings halte ich für einen sehr kleinen Zweig.

Zu den großen Herausforderungen unserer Zeit zählt der Klimawandel. Der Handel ist schon sehr aktiv, wenn es um die Einsparung von Energie geht. Was kann er noch darüber hinaus machen, um den Klimawandel aufzuhalten?
Hinter das Thema Energie kann der Handel schon einen Haken setzen, die Kühlungs- und Beleuchtungssysteme sind bereits umgestellt. Künftig wird das Thema Bauen eine wichtige Rolle spielen. Klassisches Bauen, wie wir es kennen, ist einer der ganz großen CO2-Produzenten. Es wird auch darum gehen, Holz als nachwachsenden Rohstoff zu verwenden, das in seiner Entstehung schon viel Kohlendioxid gebunden hat.

Gibt es noch weitere Bereiche, die in Sachen Klima wichtig werden?
Ein weiteres Thema ist die Kreislaufwirtschaft bei Verpackungen. Da wird zurzeit noch viel experimentiert. Und dann gibt’s noch das große Thema Ladeinfrastruktur, bei dem gerade der Lebensmittelhandel einen immensen Beitrag zur flächendeckenden Versorgung leisten kann. Gut für den Händler, denn der Kunde bleibt länger im Laden, wenn er auf dem Parkplatz sein Auto laden kann. Das funktioniert aber nur, wenn der Handel von dem örtlichen Stromversorger ausreichend Strom zur Verfügung gestellt bekommt – daran hakt es im Moment noch.

Auf einen Blick: EHI

Das EHI Retail Institute mit Sitz in Köln ist ein wissenschaftliches Institut des Handels. Es zählt rund 750 Mitglieder aus Handel, Konsum- und Investitionsgüterindustrie. Zielsetzung ist es, wichtige Trends im Handel zu identifizieren und wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem und für den Handel zu liefern. Außerdem kommt es ins Spiel, wenn es um neutrale Branchenlösungen geht: Ein gutes Beispiel ist die rote Fleischkiste, die heute im gesamten Handel eingesetzt wird. Das EHI arbeitet mit zahlreichen Branchenverbänden zusammen, GS1 Germany beispielsweise ist aus der Arbeit des EHI entstanden. Mit der Messe Düsseldorf führt man die Fachmessen Eurocis und Euroshop durch. Eine Verknüpfung gibt es auch zum MLF-Verband, allerdings nicht gesellschaftsrechtlich. Michael Gerling, Geschäftsführer EHI, leitet ehrenamtlich als Geschäftsführer auch den Verein MLF (Mittelständische Lebensmittel-Filialbetriebe).
Die Aufgaben des Instituts:

  • Forschung und Arbeitskreise
  • Konferenzen
  • Verlag, Messen
  • Aufgaben der EHI-Stiftung:
  • Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
  • Austausch zwischen Handel und Wissenschaft
  • Beteiligungen: FoodPlus GmbH, GS1 Germany