Aktuell werden Klimaneutral-Kampagnen unter die Lupe genommen und zum Teil abgemahnt. Hemmend für Unternehmen oder nötig?
Marc Boersch: Genau hinschauen und die Aufrichtigkeit hinter den Nachhaltigkeits- oder Klimaschutz-Claims und -Aktivitäten überprüfen, das ist ein gutes Regulativ. Für uns ist entscheidend, dass unsere Drei-plus-eins-Strategie zur Erreichung der grünen Null und die Maßnahmen dahinter richtig, nachvollziehbar und transparent sind. Drei-plus-eins meint: Fokus auf Regenerative Landwirtschaft, Neuausrichtung unserer Produktpalette, Neudenken von Arbeitsschritten plus unseren Verbrauchern Orientierung geben und sie mitnehmen. Generell befürworte ich, wenn Green Washing öffentlich gemacht wird. Uns motiviert dies zusätzlich, unsere Klimaschutzmaßnahmen und deren Kommunikation von Grund auf richtig und umfassend umzusetzen und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Wird Nestlé in der Kommunikation auf Klimaneutralität setzen oder CO2-Werte ausloben ?
Wir sind auf einer Lernreise und haben uns noch nicht festgelegt, wie wir unsere Fortschritte kommunizieren werden. Aber wir wollen auf unseren Produkten zeigen, wenn wir etwas verändern. Ich würde mich freuen, wenn recht schnell ein neutrales Label, möglichst auf EU-Ebene, etabliert würde, damit ein einheitliches Spielfeld und einheitliche Regeln geschaffen werden. Im Moment bezeichnet sich das eine Unternehmen als „klimaneutral“, wenn es die verursachten CO2-Emissionen nur über Projekte kompensiert, während ein anderes Unternehmen 50 Prozent seiner CO2-Emissionen aus eigener Kraft reduziert hat. Wie kann man dies vergleichen? Es sind bereits viele Unternehmen auf einem guten Weg, um zu lernen, wie sie und wir zusammen das Ziel einer emissionsreduzierten Wirtschaft erreichen können.
Laut Nestlé-Studie ist eine stärkere Aufklärung der Verbraucher nötig, um zu einem klimafreundlicheren Konsum zu kommen. Wo setzen Sie an? Gehen Sie auch in Schulen?
In Schulen zu gehen ist nicht unser Ziel. Hersteller, Verbrauchervertreter und Regierung müssen stärker zusammenarbeiten und darüber reden, wer welche Rolle einnehmen kann. Wenn wir mit unserem Wissen dabei unterstützen können, das wir zum Beispiel über unsere neuen Projekte zur regenerativen Landwirtschaft gewinnen, dann werden wir dieses Wissen teilen.
Wie bedeutend sind Klimaschutz-Maßnahmen und das Ziel der grünen Null bereits in den Verhandlungen mit dem Handel?
Sehr bedeutend. Wir bekommen im Moment ein positives Feedback zu unserem Engagement. Wir haben die aktuelle Studie „So klimafreundlich is(s)t Deutschland“ durchgeführt, um selbst zu lernen, aber auch um mit dem Handel darüber zu diskutieren. Unsere Handelskunden haben Interesse an den Erkenntnissen zu den Klima-Ernährungstypen und der Frage, wie man diese Zielgruppen in den Geschäften ansprechen kann.
In der Studie wurde die Bereitschaft abgefragt, Aufpreise für nachhaltigere Produkte zu zahlen. Für vegane Alternativen zu Fleisch und Molkereiprodukten werden aktuell deutlich höhere Preise gezahlt. Die Politik fordert jedoch Aufpreise für Klimaschädlichkeit, die CO2-Abgabe. Wie bekommen wir dies zusammen und kommen zu einer Preisgestaltung, die den Klimaschutz fördert und nicht das klimaschädlichere Sortiment über das klimafreundliche subventioniert?
Das ist an sich ein komplexer Sachverhalt. Stark vereinfacht: Die CO2-Abgabe ist ein Anreiz, eigene Werte durch neue Technologien zu senken. Dadurch sinken die Abgaben und dieses Geld kann dann wiederum in nachhaltigere Technik investiert werden. Es ist also ein negativer Anreiz, der etwas Positives bewirkt.
Beschäftigen Sie sich mit dem Ansatz des True Cost Accounting?
Wir beschäftigen uns damit. Wir müssen unser aktuelles Wirtschaftsmodell überdenken. Unternehmen sollten nicht nur nach wirtschaftlicher Kraft beurteilt werden, sondern auch danach, wie sie jeweils mit Umwelt, Menschen und Sozialsystemen sowie mit Geld als Kapital umgehen. Diese drei Dimensionen müssen in Zukunft gemessen und berichtet werden.