Achtung! Gefahren Der Tod im Laden

Die Zahl der Überfälle auf Supermärkte in Deutschland nimmt ab – die Brutalität der Taten jedoch nicht. Im Gegenteil. Die LP hat sich mit den spektakulärsten Fällen befasst.

Freitag, 30. April 2021 - Management
Thomas Klaus
Artikelbild Der Tod im Laden
Bildquelle: Pixabay

Es erinnert an Horrorfilme, was sich an einem Oktoberabend des vergangenen Jahres in einem Netto-Markt in der Bremer Neustadt abspielt. Kurz vor Ladenschluss rennt ein wild gestikulierender Mann auf den Kassenbereich zu. In den Händen schwingt er ein Beil. „Gib das Geld her! Sonst schlage ich dich tot!“ So schreit der Täter den 52-jährigen Kassierer an. Aber der denkt zunächst gar nicht daran, die Tageseinnahmen herauszurücken. Vielmehr will er den Räuber festhalten und überwältigen.

Doch der kann sich losreißen und schäumt nun vor Wut. Mit seinem Beil schlägt der Täter mehrere Male auf den Kassierer ein, trifft Kopf und Schultern. Ein 26-jähriger Kollege eilt herbei, will dem Opfer helfen, wird ebenfalls durch Beilhiebe verletzt – allerdings nur leicht.

Kurze Zeit später wird der brutale Verbrecher festgenommen. Für die Behörden ist er kein Unbekannter. Die kennen ihn wegen Verstößen gegen das Waffengesetz, Diebstählen und Körperverletzung.
Vermutlich wird das Verbrechen von Bremen als folgenschwerer Fall in die Historie deutscher Supermarkt-Überfälle eingehen. Diese Geschichte ist umfangreich. Und sie strotzt vor Brutalität.
Die LP-Redaktion hat die aus ihrer Sicht fünf spektakulärsten Fälle zusammengetragen.

Fall eins: Kurz vor Weihnachten 1971 sterben Rudolf Bauer und Ernst Karl Kasseckert. Der 36-jährige Leiter des C&C-Großmarktes im ostbayerischen Weiden und sein 27 Jahre alter Stellvertreter werden erschossen, weil es die Täter auf die Tageseinnahmen abgesehen haben. Zwei Mitarbeiter werden durch Schüsse schwer verletzt. Genauso wie die hohe Beute bleiben die kaltblütigen Täter trotz jahrelanger intensiver Fahndung verschwunden.

Fall zwei: Für Norbert Ottinger ist seine Arbeit als Inhaber eines Supermarktes der Traumberuf. Das erzählt er häufig; das bestätigen seine Angehörigen. In seinem Laden in Mitwitz im Landkreis Kronach in Bayern endet schließlich das 61-jährige Leben. Im November 2006 findet Ottingers Sohn die blutüberströmte Leiche des Vaters, getötet mit Schlägen und Messerstichen. Der oder die Täter erbeuten 38.000 Euro. Von ihnen fehlt nach wie vor jede Spur.

Fall drei: An Brutalität kaum zu übertreffen ist auch das, was sich im Dezember 2007 in einem Edeka-Markt im Berliner Stadtteil Reinickendorf ereignet. Ein ehemaliger Kassierer des Geschäftes hat es auf die Tageseinnahmen abgesehen und will dabei möglichst keine Zeugen zurücklassen. Mit einem Springmesser schneidet der Täter einem 20-jährigen Wachmann die Kehle durch. Und den Filialleiter verletzt er mit einem tiefen Schnitt am Hals. Der 23 Jahre alte Täter wird kurz darauf gestellt und später zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Fall vier: Im Januar 2011 steuern zwei Räuber in einem Penny-Markt im Hannoveraner Stadtteil Vahrenwald direkt das Büro des Marktleiters an, bedrohen ihn mit einem Stilett, fordern den Tresorschlüssel.

Der Chef verteidigt sich mit einer Thermoskanne und beschwört dadurch eine Blutorgie durch einen der Täter herauf. Zehnmal wird auf den 28-Jährigen eingestochen und zusätzlich die Thermoskanne als Schlagwerkzeug eingesetzt. Die Täter glauben, ihr tatsächlich schwer verletztes Opfer wäre tot. Sie erbeuten aus dem Tresor 1.800 Euro. Besonders erschreckend: Die Räuber sind erst 18 und 19 Jahre alt.

Fall fünf: Nicht immer sind es Mitarbeiter, die bei Überfällen auf Supermärkte ihr Leben lassen. Manchmal trifft es Kunden. Das ist zum Beispiel im Dezember 2014 in Hannover-Stöcken der Fall.
Bei einem Überfall auf einen NP-Markt stellt sich der 21-jährige Joey K. dem Täter in den Weg. Der zögert nicht und erschießt den jungen Mann. Ein weiterer Kunde wird durch Schüsse schwer verletzt.

Der Gerichtsprozess gegen den brutalen Serientäter Marek K. bleibt vielen Besucherinnen und Besuchern im Gedächtnis, weiß die Lokalpresse. Denn die Mutter des getöteten Joey verliest eine persönliche Erklärung, die zu Tränen rührt. Darin schenkt sie dem Täter ein „Samenkorn der Vergeltung“, das spätestens auf seinem Totenbett aufgehen solle. Die Mutter hofft, dass die Seele von K. ins Nichts gezogen werde. Bis dahin werde er im Gefängnis ein Leben ohne Freude fristen. Er werde seine Kinder nicht aufwachsen sehen und im Bewusstsein leben, alles verloren zu haben – wie sie selbst, die Mutter.

Obwohl sie nicht tödlich ausgingen, sind in der Bundesrepublik zahlreiche andere Überfälle auf Supermärkte angesichts der Rücksichtslosigkeit der Täter im Gedächtnis haften geblieben. Drei weitere Fälle:

Fall eins: 389,10 Euro – das ist die exakte Beute eines Überfalls auf einen Rewe-Markt in Bonn-Kessenich im August 2010. Der später verhaftete Täter verletzt den 31-jährigen Marktleiter und einen 56 Jahre alten Angestellten mit einem Messer schwer. Seine Tat versucht er vor Gericht mit den Worten zu rechtfertigen: „Es kam auf einmal über mich.“

Fall zwei: 630 Euro fallen zwei Räubern in die Hände, die es 2012 auf einen Supermarkt im nordrhein-westfälischen Rösrath abgesehen haben. Eine im sechsten Monat schwangere Mitarbeiterin kassiert gerade bei einem Kunden ab. Da wird ihr von einem Täter ins Gesicht geschlagen. Der andere hält eine Pistole auf ihren Kopf gerichtet.

Während der Gerichtsverhandlung gegen das überführte Täter-Duo sieben Jahre später ist der Kassiererin laut Berichten noch deutlich anzumerken, wie sie durch dieses Erlebnis traumatisiert wurde. „Die haben doch gesehen, dass ich schwanger war“, flüstert das Opfer im Prozess.

Statistik mit Schwächen
Fall drei: Im Dezember 2016 werden drei Beschäftigte eines Supermarktes in Bad Wünnenberg in Nordrhein-Westfalen an ihrem Arbeitsplatz Opfer eines Überfalls. Der Haupttäter fesselt die Frauen und sprüht ihnen gezielt Reizgas ins Gesicht. Er kann nach seiner Flucht ins Ausland nur deshalb doch noch gefasst werden, weil sein Mittäter reinen Tisch macht.

Strafmildernde Umstände kommen beim Prozess nicht zum Tragen. Grund laut Richterspruch: „Die Opfer haben nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten, mit dem Erlebnis fertigzuwerden.“
Genaue Zahlen zum Thema „Überfälle auf Supermärkte“ zu bekommen, ist kaum möglich. In der Polizeilichen Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) werden sie unter der Schlüsselnummer 212000 mit anderen Raubtaten und räuberischen Erpressungen auf beziehungsweise gegen sonstige Zahlstellen und Geschäfte zusammengefasst. 2019 wurden 2.467 solcher Straftaten verzeichnet; 2018 waren es noch 2.687. Die Aufklärungsquote beträgt 54 Prozent (2018: 53,4 Prozent). Unter den 3.055 Opfern waren 55,9 Prozent Frauen. Detailliertere Angaben zum Tatort Supermarkt kann das BKA gegenüber LP nicht machen.

Geht es um Raub oder räuberische Erpressung auf beziehungsweise gegen Geld- und Kassenboten, können ebenfalls Supermärkte betroffen sein. Die Zahl der Fälle, die das BKA unter der Schlüsselnummer 213100 registriert, geht seit Jahren kontinuierlich zurück. 1994 wurden 515 dieser Straftaten zur Anzeige gebracht. 2019 waren es noch 65 Fälle, vier weniger als im Vorjahr. 41,5 Prozent der Fälle wurden aufgeklärt (2018: 40,6 Prozent). Die meisten der 85 Opfer waren Männer, nämlich 72 Prozent.

Dr. Harald Olschok ist Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW). Im LP-Gespräch führt er das Minus von 515 auf 65 Fälle zwischen 1994 und 2019 darauf zurück, dass die meisten Einzelhändler „nicht mehr die Kassierer oder Auszubildenden mit der Geldbombe zum Nachttresor des Kreditinstitutes schicken, sondern mit der Abholung einen professionellen Wertdienstleister beauftragen“.

Müssen noch größere Bargeldsummen transportiert werden, scheinen Spezialgeldtransportfahrzeuge die sicherste Wahl zu sein. BDGW-Mann Olschok zufolge wurde 2019 nicht ein Einziger von ihnen überfallen.

Die Statistik zeigt ebenso, dass in Berliner Supermärkten und anderen Geschäften inzwischen wieder aufgeatmet werden kann. Einige Jahre war die Bundeshauptstadt Kriminalitätsschwerpunkt in diesem Bereich. Doch nach den jüngsten Zahlen aus dem Jahre 2019 ist die Zahl der „Raubüberfälle auf Zahlstellen und Geschäfte“ dort um 18 auf 433 Fälle gesunken. 2010 waren es noch 720 und fünf Jahre darauf 519 Fälle. Von den 585 Opfern 2019 erlitten 120 körperliche Verletzungen, vier von ihnen wurden schwer verletzt.

So schlimm enden Überfälle auf Supermärkte erfreulicherweise nicht immer. Oft scheitern sie auch, manchmal sogar an der Intelligenz der Täter. An der darf man wohl auch bei den zwei Maskierten zweifeln, die im April 2020 in Erwitte im Landkreis Soest einen Supermarkt überfallen möchten. Vermutlich wollen sie kurz vor Ladenschluss zuschlagen, weil dann die Kassen voll und die Gänge leer sind. Doch als sie den Laden betreten wollen, sind die Eingangstüren bereits so geschaltet, dass niemand mehr herein-, sondern nur noch die verbliebenen Kunden hinausgelangen können. Schade, dass es keine Fotos von den entgeisterten Gesichtern der Täter gibt.