Mitarbeiter Reform für Minijobs

Die Union und der HDE fordern, dass die Verdienstgrenze der Minijobs von 450 Euro auf 600 Euro angehoben wird. Die meisten Händler dürfte das freuen. Kritiker sehen das anders.

Freitag, 30. April 2021 - Management
Hedda Thielking
Artikelbild Reform für Minijobs
Bildquelle: Carsten Hoppen

Supermärkte, Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser ohne Minijobber? Für die meisten Händler ist diese Vorstellung undenkbar. „Minijobs sind gerade für den LEH von großer Bedeutung, um etwa die typischen Stoßzeiten und Auftragsspitzen besser abfedern zu können“, sagt Steven Haarke, Geschäftsführer Arbeit, Bildung, Sozial- und Tarifpolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE). Dennoch besteht nicht nur bei Branchenvertretern, sondern auch bei Politikern und Gewerkschaften Handlungsbedarf. Nur über das Was und Wie wird noch diskutiert (s. Kasten S. 38). Fakt ist: Seit Anfang 2013 ist die Verdienstgrenze von Minijobs bei 450 Euro eingefroren. Die CDU/CSU will sie auf 600 Euro anheben. Auch der HDE, der in arbeitsmarktpolitischen Fragen auch das Sprachrohr des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) ist, findet diesen Schritt „mehr als überfällig“. „Regelmäßige Entgelterhöhungen haben in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass viele Minijobber immer weniger Stunden arbeiten können. Damit reduziert sich die Attraktivität der Minijobs auch für Arbeitnehmer, da sie aufgrund stetig steigender Verbraucherpreise über immer weniger Kaufkraft verfügen“, sagt Steven Haarke.

Händler für höhere Verdienstgrenze
Das sehen auch viele Händler so. „Ich finde es großartig, wenn die Minijobber endlich mehr verdienen dürfen, denn mit der bisherigen Verdienstgrenze von 450 Euro stoßen wir an die Grenze der Stunden, die wir einsetzen können“, sagt Dierk Frauen. In seinen acht Edeka-Märkten in Brunsbüttel, Itzehoe und Umgebung packen mehr als 100 Minijobber mit an. „Viele Hände in kurzer Zeit“ ist für ihn das entscheidende Argument für eine geringfügige Beschäftigung. Er erläutert: „Wir haben vielen Minijobbern bestimmte Regalmeter für das Einräumen der Ware fest zugeteilt. Eine höhere Verdienstgrenze und somit mehr Arbeitsstunden würden die Organisation und die Arbeitsabläufe erheblich erleichtern.“ Diesen Vorteil sieht auch Ralf Kramer, Inhaber von Rewe Kramer in Recklinghausen: „Wenn Ware geliefert wird, kümmern sich frühmorgens etwa zehn Minijobber darum. Die Regale sind dann weitgehend gefüllt, sobald die ersten Kunden in den Markt kommen. Ein paar Vollzeitkräfte bräuchten fast den ganzen Tag dafür. Außerdem haben diese Mitarbeiter dann mehr Zeit für die Kunden.“

Regulär beschäftigen
Eine Erhöhung der Verdienstgrenze auf 600 Euro findet auch Roman Stengel, Inhaber des E-Centers Stengel in Fürth (2.800 m² plus 1.600 m² Getränkemarkt), wünschenswert, sofern gleichzeitig der Mindestlohn erhöht wird. Für seinen Markt spielen geringfügig Beschäftigte allerdings kaum eine Rolle. Von seinen 120 Mitarbeitern sind 90 Vollzeitkräfte und nur sechs Minijobber. „Mini‧jobber haben in der Kürze der Zeit oft nicht die Möglichkeit, unsere Philosophie zu leben und zu teilen. Sie kommen häufig nie richtig im Unternehmen an und entwickeln nicht die Leidenschaft und das Know-how. Wir brauchen die Besten. Mit Minijobbern gelingt das in der Regel nicht.“

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen sind auch das Ziel von Verdi. „Anstatt jetzt die Obergrenze der Minijobs auszuweiten, sollten wir die Menschen in Minijobs dabei unterstützen, in reguläre Beschäftigung zu kommen. Altersarmut, gerade von Frauen, ist durch Minijobs vorprogrammiert“, befürchtet Orhan Akman, Verdi-Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel. Minijobber seien zudem weiteren Arbeitsmarktrisiken ausgesetzt, wie beispielsweise der Vorenthaltung arbeitsrechtlicher Ansprüche, niedrigen Löhnen oder mangelnden Chancen auf reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Eine Anhebung der Verdienstgrenzen würde seiner Meinung nach diese Effekte noch verstärken. Zudem haben Minijobber keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.

Orhan Akman ist der Auffassung, dass durch den flexiblen Einsatz der Minijobber deren Planungssicherheit eingeschränkt sei. Um das zu vermeiden, passt Dierk Frauen beispielsweise die Arbeitszeiten an die Wünsche der Mitarbeiter an. Und wer lieber eine feste Teilzeitstelle haben möchte, dem legt er auch ‧keine Steine in den Weg. Auch Ralf Kramer überführt bei Bedarf viele Minijobs im Laufe der Zeit in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Brutto für Netto
Für die meisten Minijobber von Florian Hinz, der in seinem 1.500 m² großen Rewe-Markt in Kölleda bei Weimar 45 fest angestellte Mitarbeiter und 11 Minijobber beschäftigt, und auch für Marcus Berger – er beschäftigt in seinem Edeka-Markt (1.620 m²) in Flensburg 74 fest an‧gestellte Mitarbeiter und 13 Minijobber – kommt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in der Regel nicht infrage. Es handele sich bei ihnen überwiegend um Schüler, Studenten und Mütter, die froh ‧seien, dass sie sich quasi brutto für netto etwas dazuverdienen können. „Somit profitieren unsere Minijobber und wir – aufgrund der flexiblen Einsatzmöglichkeiten – gleicher‧maßen von diesem Beschäftigungsmodell“, sind sich die beiden Händler einig.

Manche Minijobber fragen sich vielleicht, ob durch die Anhebung der Verdienstgrenze weniger geringfügig Beschäftigte gebraucht werden, da sie mehr Stunden arbeiten können. „Es ist genug Arbeit da. Meine Minijobber können dann, sofern sie wollen, mehr Stunden arbeiten“, sagt Marcus Berger. Auch der HDE sieht hier in der Praxis kein Problem, da im LEH jede Hand gebraucht wird.

Kein Kurzarbeitergeld
Dass geringfügig Beschäftigte keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, haben in der Pandemie sehr viele Minijobber – vor allem im Einzelhandel, in der Gastronomie und in der Kunst-/Kulturbranche – zu spüren bekommen. Die meisten Minijobber im LEH sind davon glücklicherweise verschont geblieben. Sie haben sich laut HDE im LEH als wichtige Stütze erwiesen. So haben einige Händler Betroffenen die Möglichkeit gegeben, ihr Kurzar‧beitergeld mit einem Minijob aufzubessern. Der Edekaner Marcus Berger hätte es allerdings besser gefunden, wenn die coronabedingte Erweiterung der Minijobgrenze im LEH von März bis Oktober 2020 auch darüber hinaus gegolten hätte: „Wir haben aufgrund der Hygienemaßnahmen einen erhöhten Personalbedarf. Fünf Minijobber haben die Ausnahmeregelung genutzt und würden diese gerne weiter nutzen.“

Vom Midi- in den Minijob?
Kritik an den Plänen der Union kommt auch von der SPD. Sie sieht die Gefahr, dass sozialversicherungspflichtige Midijobs (Monatsgehalt von 450,01 bis 1.300 Euro) zu sozialversicherungsfreien Minijobs „degradiert“ werden. Für die befragten Händler hat dieses Risiko kaum Relevanz. Bei Florian Hinz beispielsweise würde dieser Fall nicht eintreten, da seine Teilzeitkräfte alle mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten und bereits jetzt mehr als 600 Euro im Monat verdienen. Dierk Frauen sieht das so: „Selbst wenn durch die Anhebung der Verdienstgrenze ein Mitarbeiter vom Midijob in einen Minijob rutschen würde, suchen wir gemeinsam nach einer Lösung.“

So reagieren natürlich nicht alle Arbeitgeber. Gewiss gibt es viele Menschen, die keine Festanstellung finden, sich teilweise mit mehreren Minijobs über Wasser halten müssen oder bei Anhebung der Verdienstgrenze tatsächlich in einen Minijob „zurückfallen“ würden. Ob die Politik eine Regelung findet, die Arbeitgebern und Arbeitnehmern entge‧genkommt? Schauen wir mal …