Analyse Kein Kaufrausch

Die Stimmung im Einzelhandel ist viel besser als der Umsatz. Warum in diesem Jahr in Supermärkten vom Aufschwung nur wenig ankommt.

Donnerstag, 24. März 2011 - Management
Artikelbild Kein Kaufrausch
Stimmung und Umsätze

Es ist ein Phänomen. Alle reden vom Aufschwung und davon, wie gut Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern die Finanz- und Wirtschaftskrise gemeistert hat, nur im Lebensmittel-Einzelhandel sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Wahrnehmung und Wahrheit sind eben nicht immer dasselbe.

Keine Frage: In Deutschland zog die wirtschaftliche Entwicklung früher und stärker an als in allen anderen EU-Staaten. Die Stimmung in der Wirtschaft ist top, das Konsumklima weiter im Aufwind. Am Rande der Euroshop erläuterten Experten der WestLB, warum sie glauben, dass vom Aufschwung nur wenig in den Kassen der Lebensmittel-Einzelhändler ankommen wird.

Sie haben sich die Konjunktur- und Einkommenserwartungen der Deutschen angesehen und festgestellt, dass die Anschaffungsneigung noch immer nur verhalten ausgeprägt ist. Die Deutschen glauben an den Aufschwung, nur nicht bei ihnen selbst. Die Einkommenserwartung fällt deutlich schwächer aus als die allgemeine Konjunkturerwartung. Zwar befindet sich das ifo-Einzelhandelsklima im kontinuierlichen Höhenflug und erreicht aktuell Rekordwerte wie zu Zeiten der deutsch-deutschen Wiedervereinigung (vgl. LP 1/2011, Trend-Umfrage), allerdings zieht der Verbraucher nicht mit. Die Einzelhandelsumsätze seien seit Jahren wie zementiert, erläutert Henrich Maaß, Leiter Strategische Analyse der WestLB. Die gute Nachricht: Im Krisenjahr 2009 war der Durchhänger minimal. Die schlechte: Das Winter- und Weihnachtsgeschäft 2010/11 war ernüchternd, der Boom blieb aus. Dabei war 2010 eines der stärksten Jahre der jüngeren Vergangenheit (nominal stiegen die Einzelhandelsumsätze um 2,3 Prozent, real um 1,2 Prozent).

„Der Optimismus, den viele für 2011 haben, ist wohl überzeichnet und wird von der Realität korrigiert werden", meint Dr. Holger Sandte. Der Leiter Volkswirtschaft der WestLB weist auf weiterhin bestehende erhebliche Unsicherheiten wie die Finanzkrise und die Energiepreise hin, die stetig drohen, die Kaufbereitschaft zu bremsen. Außerdem müsse man Sondereffekten wie den Nachwirkungen der Abwrackprämie Rechnung tragen.

Auf der Haben-Seite verbucht er die potenzielle Lohnentwicklung sowie das erwartete Gewinneinkommen, auf der Soll-Seite steht, dass die Konsumausgaben generell nur zu einem Drittel in den Kassen des Einzelhandels landen. Für ein gutes Einzelhandelsjahr sprechen, dass das verfügbare Einkommen wahrscheinlich steigt, die deutsche Konjunktur weiter sehr robust ist, die positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und Niedrigzinsen die Verbraucher entlasten. Auf ein normales (oder sogar schwaches) Jahr deuten folgende Aspekte hin: die überzeichnete Stimmungslage, die politisch und wirtschaftlich zum Teil instabilen Verhältnisse auf der Welt, Kaufkraftentzug durch steigende Rohstoff- und Energiepreise sowie aufziehende Inflationsdebatte („gefühlte Inflation").

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Den Lebensmittel-Einzelhandel im Blick: Michael Gerling vom EHI (2. v. l.) und von der WestLB (v.l.) Hans Sander, Henrich Maaß sowie Dr. Holger Sandte. (Bildquelle: Reinhard Rosendahl)
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Bild öffnen Wer konsumiert, wer spart?