Handel International Natürliches Schrumpfen

Im Durchschnitt werden die Verkaufsflächen kleiner. Dieses Phänomen ist nicht nur in Deutschland oder Europa zu beobachten, sondern bei allen großen Einzelhandelsunternehmen weltweit.

Donnerstag, 27. April 2017 - Management
Nicole Ritter
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Wenn man sich ein Bild davon machen will, wohin die Reise geht im Lebensmitteleinzelhandel – egal ob in Deutschland, Europa, Amerika oder in den Schwellenländern –, hilft immer ein Blick auf die Triebkräfte des Wandels. Vereinfacht gesagt, verschieben sich die Rahmenbedingungen permanent und beeinflussen sich gegenseitig und definieren damit, wie die Menschen leben werden. Und damit auch, wie sie einkaufen werden.

(Kurzes Nachhaken: Wie wer lebt, bitte? Die Menschen? Gibt es da eigentlich noch einen Ausdruck, der weniger pathetisch und von der Politik ausgelutscht daherkommt als „die Menschen“, der zugleich aber weniger steril und ökonomistisch klingt als „die Verbraucher“? Wir haben das hier im Büro lebhaft diskutiert, als wir mit dem amerikanischen Begriff „community store“ konfrontiert wurden, der vermutlich nichts anderes heißt als „Laden für die Menschen“. Der Begriff soll im Rahmen des Corporate Branding wohl einfach Empathie und Fürsorglichkeit vermitteln. Es wird Zeit für etwas frischen Wind im Vokabular, und Vorschläge werden mit großer Offenheit entgegengenommen.)

Zurück zum Thema. Die wichtigsten Triebfedern des Wandels sind soziale Veränderungen (oft auch als demografischer Wandel bezeichnet); die Politik, welche lokal wie global die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens vorgibt (von den Ladenöffnungszeiten und den Gewerbesteuern über den Brexit bis hin zur Torpedierung ganzer interkontinentaler Handelsvereinbarungen wie TPP und TTIP); die Volkswirtschaft mit ihren Aufs und Ab und ihren langfristigen Trends (wie der Ausdünnung der Mittelschicht) sowie der technologische Fortschritt, der uns die Digitalisierung bringt.

Der Handel steht vor der Herausforderung, sich ständig neu auf diesen Mix aus kurz-, mittel- und langfristigen Herausforderungen einstellen zu müssen. Kurzfristig ist die anziehende Inflation gerade das große Thema; langfristig stellen der demografische Wandel und die Digitalisierung die größten Herausforderungen für den Handel dar. Das Tückische am demografischen Wandel ist, dass man ihn kaum spürt. Er kommt schleichend daher, hat aber dennoch die Macht, das Gesicht unserer Gesellschaft binnen einer Generation komplett zu verändern. Und was in 25 Jahren ist, das ist für Lebensmittelhändler, die heute in neue Märkte und logistische Strukturen investieren, natürlich von enormer Bedeutung.

Keiner baut eine Großfläche oder ein Logistikzentrum, wenn er befürchten muss, dass in absehbarer Zukunft beides überflüssig ist, weil die Menschen anders einkaufen und an anderen Orten. Wer braucht eine Großfläche am Stadtrand, wenn in absehbarer Zukunft die Wohntrends auf kleinteilige Wohnungen in den Innenstädten hindeuten, bei gleichzeitig abnehmender Mobilisierung? Das wäre ein teurer Flop, und das Beispiel zeigt, dass die Beschäftigung mit demografischen Trends ungemein wichtig ist.

Der Autor

Boris Planer ist Chef-Ökonom bei Planet Retail in Frankfurt. Er berichtet im Wechsel mit seinen Kollegen an dieser Stelle über Entwicklungen im internationalen Handel.

Der demografische Wandel läuft
Das ganz besonders Interessante daran: Der demografische Wandel läuft, in Deutschland und in Europa sowie in den USA und in Japan. Es handelt sich nicht um ein Schreckgespenst, das uns aus der Zukunft anstarrt. Die Haushalte werden kleiner; man lebt länger im Single-Haushalt und heiratet später; Familien werden später gegründet; der Mobilisierungsgrad nimmt ab; die Gesellschaft ist weniger weiß (Einwanderung) und weniger männlich (die berufstätige Frau als Selbstverständlichkeit); der Anteil der arbeitenden Bevölkerung nimmt ab, was bei stagnierender Produktivität den Wohlstand der Mittelschicht weiter aushöhlen wird.

Der Wandel läuft, man kann ihn in den Zahlen sehen. Wir bei Planet Retail haben die 100 größten Lebensmittelhändler der Welt unter die Lupe genommen und gezeigt: Der Trend zur wohnortnahen Kleinfläche, die am besten auch noch als Abholpunkt für Online-Bestellungen fungiert, ist unterwegs. Die Händler diversifizieren, eröffnen neue Vertriebslinien und investieren vor allem in Kleinformate.

In den fünf Jahren von 2012 bis 2017 haben die weltweiten Top 100 die Anzahl ihrer Märkte im Durchschnitt von 3.585 auf 4.355 erhöht; zugleich ist die durchschnittliche Verkaufsfläche von 1.240 qm auf 1.178 qm gesunken, das ist eine Verkleinerung um 5 Prozent.

Kleinflächen auf dem Vormarsch
In den nächsten fünf Jahren, also bis 2022, wird sich laut unseren Prognosen die durchschnittliche Anzahl von Märkten der globalen Top 100 weiter auf 5.539 erhöhen, während die durchschnittliche Verkaufsfläche auf 1.005 qm sinken wird. Das entspräche einer Verkaufsflächenabschmelzung von 15 Prozent gegenüber heute, und von 19,6 Prozent gegenüber 2012.

Die Kleinfläche ist auf dem Vormarsch. Das sind die Discounter und Convenience Stores und Supermärkte in Europa und den USA; und das sind die Nachbarschaftsgeschäfte und Convenience Stores in Osteuropa und Asien. Hersteller müssen sich auf diese veränderten Bedingungen einstellen. Ihre Produkte müssen optimiert sein für reduzierten Regalplatz, häufigere Regalbefüllung, verbesserte Sichtbarkeit sowie reibungslose Kommissionierung für den Online-Versand. Für Hersteller ist das nicht das einzige Spielfeld, aber ein enorm wichtiges.