Glyphosat Gift im Essen?

Der Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat ist umstritten. Die Neuzulassung auf EU-Ebene steht – schneller als erwartet – kurz bevor. Wie auch immer sie ausgehen wird: Die Öffentlichkeit ist in Sachen Pestizid-Einsatz sensibler geworden.

Freitag, 26. Februar 2016 - Management
Nicole Ritter
Artikelbild Gift im Essen?
Genveränderte Soja-Bohnen sind gegen Glyphosat resistent.
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Es ist längst kein Thema nur für Grüne, Linke und andere Weltverbesserer. Städtische Grünflächenämter haben den Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat, das unter hunderten von Markennamen und von verschiedenen Herstellern auf dem Markt ist, verboten. Baumärkte haben Produkte aus den Regalen genommen. Verbände begrüßen die Einschränkungen beim Einsatz, und Agrarexperten vom Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (Julius-Kühn-Institut) befassen sich bereits damit, wie der komplette Verzicht auf Glyphosat in der deutschen Landwirtschaft aussehen könnte. Wie unheimlich vielen Verbrauchern das Mittel geworden ist, zeigt eine repräsentative Umfrage von TNS Emnid im Auftrag der Bürgerbewegung Campact (siehe Grafik auf Seite 20): Fast drei Viertel der Befragten sind der Meinung, die EU sollte den Einsatz von Glyphosat verbieten. Die Forderung wird von Anhängern aller im Bundestag vertretenen Parteien gleichermaßen unterstützt.

Das macht die Nachricht, die Mitte Februar öffentlich wurde, zumindest aus Konsumenten-Sicht dramatisch: Anscheinend hat es die EU-Kommission nach der hitzig geführten Debatte der letzten Monate ziemlich eilig, für die Neuzulassung von Glyphosat zu sorgen – ein „Hauruck-Verfahren“ befürchtet der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling. Schon Anfang März soll der zuständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel für die kommenden 15 Jahre entscheiden – bisher war nur von zehn Jahren die Rede gewesen. Und das unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Mit einer Analyse von Urinproben aus der Umweltprobenbank hatte jüngst das Umweltbundesamt (UBA) die Diskussion um das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel in Deutschland neu befeuert. Noch werden die Analyse-Ergebnisse ausgewertet, doch die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die Glyphosat-Belastung seit dem Jahr 2001 deutlich angestiegen sei. In den Jahren 2012 und 2013 wurde in 60 Prozent der Proben Glyphosat nachgewiesen, in den Jahren 2014 und 2015 in 40 Prozent der Proben. Da derzeit über die weitere Zulassung von Glyphosat in der EU diskutiert werde, habe man über diesen Trend vorab informieren wollen, heißt es aus dem UBA: „Im Rahmen der Diskussion um die Zulassung von Glyphosat können diese Daten eine wichtige Rolle spielen, und das UBA hätte es nicht verantworten können, diesen Trend erst bekannt zu machen, wenn die Diskussion im ersten Halbjahr 2016 abgeschlossen ist.“ Endgültige Ergebnisse werden also noch etwas auf sich warten lassen – u nd womöglich zu spät kommen.

Schwere Vorwürfe
Auch andere Wissenschaftler haben die Diskussion angeheizt: Fast 100 Experten aus 25 Nationen, darunter renommierte deutsche Forscher aus der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Heidelberger Krebsforschungszentrum und der Leibniz-Gemeinschaft, wandten sich Ende November 2015 in einem Offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis und erhoben schwere Vorwürfe gegen die EU-Genehmigungsbehörde EFSA und das deutsche Bundesamt für Risiko-Bewertung (BfR). Diese Institutionen hatten den Auftrag, die vorliegenden Studien zu beurteilen und damit die Grundlage für die Neuzulassung – oder das Verbot – von Glyphosat zu schaffen. Stattdessen hätten sie eine fehlerhafte Bewertung abgeliefert, so die Wissenschaftler, die verworfen werden müsse. Dringend appellieren sie an den EU-Kommissar, für eine transparente, offene und glaubwürdige Überprüfung der wissenschaftlichen Literatur zu sorgen.

Der Kritik zugrunde liegt eine Bewertung des Internationalen Krebsforschungszentrums IARC der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die hatte die Analyse des BfR ins Wanken gebracht – und in die Öffentlichkeit. Glyphosat sei als „wahrscheinlich krebserregend“ einzustufen, so die WHO-Forscher. Studien wiesen unter anderem einen Zusammenhang zu bösartigen Lymphomerkrankungen (Non-Hodkin-Lymphom) nach, zu Chromosomenschäden bei Anwohnern nach Sprüheinsätzen mit Flugzeugen, zu seltenen Krebserkrankungen. Das BfR musste sich den Vorwurf gefallen lassen, sein Urteil vor allem auf Studien der Chemie-Industrie zu stützen und unabhängige Forschungsarbeiten nicht in gleicher Weise zu berücksichtigen. Außerdem sei mit zweierlei Maß gemessen worden und bei den kritischen Studien besonders intensiv nach methodischen Fehlern gesucht worden, so die Kritiker. „Unabhängig vom Ausgang des aktuellen Zulassungsverfahrens sollten Lehren aus dem Fall Glyphosat gezogen wer den“, sagt Julia Sievers-Langer vom Forum für Internationale Agrarpolitik. Das Beispiel Glyphosat zeige auch, dass das System der Zulassung und Kontrolle von Pestiziden mit extrem hohen Kosten verbunden sei, ohne dass ein angemessener Schutz der Verbraucher vor toxischen Chemikalien gewährleistet werden könne.

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Bild öffnen Chemisch gehört der Wirkstoff Glyphosat zu den Phosphaten. Das Breitband-Herbizid wirkt unselektiv gegen Pflanzen. Werden Pflanzen gentechnisch verändert, können sie resistent gegen das Gift sein. Dies wird z. B. im Soja-Anbau in den USA genutzt.
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