Markthalle Neun Interview „Mehr als ein Ort zum Einkaufen“

Kaufen, essen, erleben, lernen, mit allen Sinnen genießen. Das sollen Kunden in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg.

Dienstag, 24. Februar 2015 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild „Mehr als ein Ort zum Einkaufen“
Bildquelle: Markthalle Neun

Nikolaus Driessen, Bernd Maier und Florian Niedermeier haben darum gekämpft, die Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg betreiben zu können. Warum nur?

Für die Markthalle Neun war es 5 vor 12 als Sie, 3 Wahl-Berliner, das Ruder herumrissen. Wie kam es dazu?
Bernd Maier: ...die kurze oder die lange Version?

Bitte die kurze.
Maier: Liebe und Leidenschaft für gute Lebensmittel haben uns Drei zusammengebracht.
Nikolaus Driessen: Das stimmt nicht ganz. Bernd und Florian haben ja vor der Markthalle fünf Jahre einen Laden für alpenländische Spezialitäten geführt: die „Meierei“ in der Kollwitzstraße.

Woher kommt die Leidenschaft für die Mittel zum Leben?
Florian Niedermeier: Dazu hat jeder von uns seine eigene Geschichte, aber das hat sicher auch viel mit Herkunft und kultureller Identität zu tun. Bei uns in Augsburg gab es zum Beispiel eine Markthalle, und das hat Bernd und mich natürlich geprägt.
Driessen: Ich habe gegenüber der Markthalle gewohnt und mich gewundert, dass dieses einzigartige Industriedenkmal zunehmend verwahrlost.

Drei Inhaber, drei Berufe, wer macht was?
Driessen: Zurzeit arbeiten wir ehrlich gesagt noch stark nach dem Prinzip „Alle Mann auf den Ball“.

Es gibt traditionelle Markthallen in Berlin und neue Supermärkte, die den Markthallencharakter wieder aufleben lassen wollen. Was unterscheidet die Markthalle Neun von den anderen?
Maier: Die Menschen, die hinter den Produkten stehen. Durchweg sind bei uns in der Halle Leute, die mit riesengroßer Leidenschaft ihrem Beruf nachgehen. Und das merkt man dann natürlich auch den Produkten an.
Driessen: Und wir sind mehr als nur ein Ort, an dem man einkaufen kann. Also nicht nur Markt, sondern auch Marktplatz.

Die Markthalle Neun ist also mehr als nur eine Stätte zum Einkaufen. Wie entstand die Idee?
Niedermeier: Bernd und ich träumten schon immer von einer eigenen Markthalle. Vor sieben Jahren haben wir dann der ersten Schritt in diese Richtung gemacht und in Berlin einen Feinkostladen für alpenländische Spezialitäten eröffnet. Die Meierei. Als wir dann davon hörten, dass der Senat die Markthalle verkaufen wollte, war uns klar: Das ist unsere Chance. Wir haben darum gekämpft, dass nicht der beste Preis, sondern das beste Konzept gewinnt. Wir hatten die Vision, dass die Markthalle schrittweise wieder zu dem wird, wofür sie eigentlich gedacht war: zu einer Plattform für Produzenten und ein Treffpunkt für Menschen, die sich für Lebensmittel interessieren.

Klingt einfach. War es so einfach – wie es sich jetzt anhört – den Zuschlag zu bekommen?
Driessen: Das war natürlich ein Prozess. Unser großes Glück waren die Menschen aus der Nachbarschaft. Sie wollten die Markthalle in ihrer alten Funktion erhalten, und das hat dann schließlich die Berliner Politik zum Einlenken gebracht.

Das dauerte wie lange?
Maier: Insgesamt inklusive Finanzierung 3 Jahre.

Wie sah es mit der Finanzierung aus?
Maier: Das war nicht so einfach. Wir mussten unser Konzept insgesamt 24 Banken vorstellen.

...so viele verschiedene Banken gibt es in Berlin?
Maier: Nein. Wir haben deutschlandweit gesucht. Letztendlich hat es bei der Westfälischen Landwirtschaftsbank geklappt.


Allgemein heißt es, ein neues Konzept sollte nach drei Jahren den Break-even-Point erreicht haben. Trifft das auch auf die Markthalle Neun zu?
Driessen: Wir schwelgen nicht im Luxus aber, ja, die Halle ist profitabel. Das ist ja auch ganz wichtig: Wir wollen ja, dass unsere Anbieter und wir von dem, was wir machen, leben können. Das gehört zum Gedanken der Nachhaltigkeit dazu. In den vergangenen Jahren sind hier übrigens 150 Arbeitsplätze entstanden. Die Halle ist ein Inkubator für Existenzgründer und mittlerweile ein richtiger Job-Motor.

Die Markthalle Neun steht für bewussten Konsum, also zum Beispiel Einkaufen mit der Saison und weniger Fleischkonsum. Aber für viele Konsumenten ist das entweder nicht bezahlbar oder sie wollen gar nicht ohne oder mit weniger Fleisch leben. Warum ist es dennoch Teil des Konzepts der Markthalle Neun?
Niedermeier: Es geht uns nicht darum, mit einem erhobenen Zeigefinger die Menschen zu besseren Konsumenten zu machen. Nein, wir wollen die Menschen über den guten Geschmack sowie unsere eigene große Begeisterung für das, was wir tun, kriegen.

Aber die Markthalle Neun bietet ihre Produkte nicht gerade in einem Kiez an, der für Kaufkraft steht. Wie ist die Akzeptanz dennoch zu erklären?
Driessen: Uns war von Anfang auch wichtig, für die Nachbarschaft mitzudenken. Wir haben also zum Beispiel bewusst den Aldi in der Halle gelassen. Und wenn man eben saisonales Gemüse einkauft und – wie früher – nicht jeden Tag Fleisch isst, dann kann man sich auch mit kleinem Geldbeutel gesund ernähren. Darum geht es. Dieses Bewusstsein wollen wir wieder vermitteln. Und das geht am Besten über den Geschmack.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Maier: Da gibt es zum Beispiel Frau Zeller. Sie backt in vierter Generation. Oft passiert es, dass Kunden auf dem Weg zu Aldi irgendwann bei ihr ein Stück Torte kaufen, weil die Auslage einfach so umwerfend aussieht. Und das schmeckt dann eben einfach so gut, dass der Kunde wiederkommt. Da ist dann der Preis auch nicht mehr ganz so wichtig.

Sind wir also wieder beim Emotionskauf...
Niedermeier: ...auf jeden Fall. Das macht die Markthalle Neun aus: Menschen, die ihren Beruf lieben, die aus guten Zutaten gute Produkte herstellen, also Herzblut in Herstellung und Verkauf stecken. Diese Leidenschaft spürt der Kunde. Zudem können diese Hersteller und Verkäufer zu jedem einzelnen Produkt die Geschichte erzählen, die dahinter steht.

Ist es das, was den Zulauf bringt?
Driessen: Auf jeden Fall.
Maier: Die Markthalle Neun ist ein Treffpunkt in Kreuzberg. Ein Treffpunkt für alle, die Lebensmittel wertschätzen. Wer hier arbeitet, bringt Leidenschaft mit, Leidenschaft für seine Produkte, Leidenschaft für das Verkaufen, Leidenschaft für den Menschen auf der anderen Seite des Verkaufsstandes.
Driessen: Und natürlich auch die Atmosphäre, die Ausstrahlung, die von der Halle ausgeht. Die Markthalle Neun ist kein moderner Designtempel. Sie ist bodenständig und authentisch wie die Produkte, die hier angeboten werden.

Wie sieht es mit der Konkurrenz, dem Wettbewerb aus, keine Angst vor Kopien, vor Nachahmern?
Niedermeier: Nein, eine wirkliche Konkurrenz sehen wir nicht. Dafür sind der Ort und die Menschen zu individuell.
Driessen: Das lässt sich nicht so einfach kopieren.

Sie machen auf mich nicht den Eindruck, dass das alles war. Was kommt als nächstes?
Driessen: Wir arbeiten gerade an einem neuen Konzept. Einen Ort, an dem Lebensmittel in der Stadt produziert werden können Dazu wird es der Halle zu eng,und dafür ist sie auch baulich nicht wirklich geeignet.

Wie – will die Markthalle Neun nicht nur Anbieter von Lebensmitteln sein, sondern auch noch Produzent?
Driessen: Wir wollen keine Lebensmittel herstellen, wir wollen den Platz dafür zur Verfügung stellen.

Und wo und bitte wie soll das gehen?
Driessen: Das besprechen wir gerade mit dem Berliner Senat. Noch gibt es ja Platz in der Stadt. Aber das ist uns wichtig, wir wollen die Produktion wieder ins Zentrum holen. Raus aus der Anonymität.

Gibt es schon einen Namen?
Driessen: Werkhof Neun.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Die Drei hinter dem Konzept Markthalle Neun:
(v. l.) Florian Niedermeier, Bernd Maier und
Nikolaus Driessen.
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