Resistente Keime Nichts wirkt mehr

Die Zahl Antibiotika-resistenter Keime nimmt stetig zu und bedroht Mensch und Tier. Die Weltgesundheitsorganisation, Forschung und Wissenschaft warnen.

Freitag, 27. Juni 2014 - Management
Christina Steinheuer
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Immer wieder wird die konventionelle, Antibiotika verabreichende Massentierhaltung in Zusammenhang mit der stetig steigenden Zahl von Antibiotika-resistenten Keimen gebracht. Indizien sprechen für eine Verbindung, Beweise gibt es nicht, eine im September 2013 von Alison Mather in der Fachzeitschrift Science veröffentlichte Studie setzt ein Fragezeichen hinter die übliche Argumentation. Und dafür, dass die Weltgesundheitsorganisation in ihrem ersten globalen Bericht zur Antibiotika-Resistenz vor „einer post-antibakteriellen Zukunft“ warnt und davor, „dass simple Infektionen und kleine Verletzungen, die seit Jahrzehnten behandelbar waren, erneut tödlich werden können“, dafür sind belastbare Zahlen und Faktenwissen dünn gesät.

Während manche Experten davon ausgehen, dass in Deutschland jährlich 30.000 Patienten sterben, weil ihnen bei Infektionen Antibiotika nicht mehr helfen, gehen andere von jährlich 25.000 Todesfällen in der EU aus. Trotzdem ist klar: 1990 galten in Deutschland weniger als 2 Prozent der registrierten Infektionserreger als Antibiotika-resistent, heute sind es mehr als 20 Prozent. Spanien, Italien, Griechenland, Frankreich, Japan und die USA sind bei 50 Prozent und mehr angekommen. Was die Lage zusätzlich erschwert: Die Entwicklung und Zulassung neuer Antibiotika ist stark rückläufig. Zwischen 1990 und 2000 kamen in Deutschland 21 neue Antibiotika auf den Markt, in der Dekade danach waren es nur noch 8. Die Forschung war ins Stocken geraten, denn die Entwicklung von neuen Antibiotika ist aufwendig und extrem teuer, sodass sich Investitionen in dem Bereich schlicht nicht nur nicht rentieren, sondern als Verlustbringer gelten. Da Pharmakonzerne aber Wirtschaftsunternehmen sind, war logisch, dass sie sich aus der Antibiotika-Forschung zurückziehen.

Seit Kurzem stellt sich der französische Sanofi-Konzern (mit knapp 35 Mrd. Euro Umsatz der weltweit viertgrößte Anbieter) gegen diesen Trend. In Kooperation mit der renommierten Forschungsorganisation Fraunhofer-Gesellschaft sollen neue Antibiotika und Wirkstoffe gefunden werden. Die EU hat zusätzlich mit fünf Pharmakonzernen (Sanofi, Glaxo-Smith-Kline, Astra-Zeneca, Janssen, Basiela) die Initiative „New Drugs for Bad Bugs“ („Neue Medikamente gegen schlechte Keime“) ins Leben gerufen und mit 200 Mio. Euro gefördert.

Zwei Fragen drängen sich auf und beschäftigen viele Forscher:

1. Ist der hohe Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung verantwortlich für die hohe Keimbelastung von Fleisch?

2. Kann sich die Antibiotika-Resistenz durch den Verzehr von Fleisch und Wurstwaren (vor allem Rohwurst und Rohschinken) auf den Menschen übertragen?

Vor wenigen Wochen wurden im Rahmen einer Studie in 13 deutschen Städten in Supermärkten und Bäckereien 63 Proben von Schinken- und Wurstprodukten (Mett, Teewurst, Salami, Schinken) genommen und auf ihre Keimbelastung untersucht. Bei 16 Prozent wurden ESBL-bildende Bakterien nachgewiesen. Die Abkürzung ESBL steht für „extended spectrum betalactamases“. ESBL-produzierende Bakterien sind resistent gegen Penicilline, Cephalosporine und Monobactame. Hauptsächlich tragen E. coli und Klebsiellen ESBL-Gene. Bei den im Mai genommenen Schinken- und Wurstproben war die Keimbelastung vor allem bei Mett- (22 Prozent) und Putenprodukten (66 Prozent) hoch.

Das Bundesamt für Risikoforschung (BfR) sieht im Auftreten von ESBL-bildenden Bakterien in Lebensmitteln sowie in der Nutztierhaltung ein Problem für den gesundheitlichen Verbraucherschutz. Denn bei Mensch und Tier fördere die häufige Einnahme von Antibiotika die Verbreitung von ESBL-Bakterien.


2012 wurden in Deutschland 1.619 t Antibiotika an Tierärzte abgegeben, 87 t weniger als 2011. Zugenommen hat hingegen die Verwendung von Wirkstoffen, die eigentlich nur als Reserve gelten, wenn normale Antibiotika bereits nicht mehr wirken. Diese Wirkstoff-Klasse der Fluorchinolone nahm um 2 auf 10 t zu. Es handelt sich um Stoffe, die auch bei Menschen als Reserve-Antibiotika für schwere Fälle verwendet werden.

Antibiotika dürfen laut Arzneimittelgesetz nur zur Behandlung kranker Tiere eingesetzt werden. Als Wachstumsförderer oder um hygienebedingte Krankheiten zu überdecken, sind sie verboten. In großen Mastanlagen mit tausenden Tieren werden Arzneien jedoch meist nicht einzeln, Tier-individuell, verabreicht, sondern an Gruppen oder gar ganze Tierbestände gegeben. Laut einer Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover sowie der Uni Leipzig erhält ein Masthähnchen in Deutschland durchschnittlich an 10 seiner 39 Lebenstage Antibiotika . Ein Schwein werde während seiner 115-tägigen Mast an im Schnitt 4 Tagen mit einem antibiotischen Wirkstoff behandelt. Bei den Kälbern erhält jedes dritte Tier pro Jahr eine Behandlung von drei Tagen.

Seit 1. April gelten schärfere Regeln: Landwirte müssen nun alle sechs Monate für Hühner, Puten, Schweine und Rinder melden, welche Stoffe und Arzneien sie wie vielen Tieren in welchen Mengen und über welchen Zeitraum verabreicht haben. Registriert wird der Zahlenberg in einer bundesweiten Datenbank. Liegt eine Mastanlage verglichen mit gleichen Betriebstypen im oberen Viertel, muss künftig gegengesteuert werden. Das kann Hygienemaßnahmen, bauliche Gegebenheiten oder eben auch die Abgabe von Arzneien und Antibiotika betreffen.

Belgischer Plan

Die belgische Tierhaltung will mittels eines 10-Punkte-Plans , den das Wissenszentrum „Antimicrobial Consumption and Resistance in Animals“ (AMCRA) jetzt verabschiedet hat, den Antibiotikaeinsatz deutlich senken. Die AMCRA-Initiative findet Unterstützung bei Veterinären, Agrarorganisationen, Mischfutterherstellern, der Pharmabranche sowie wissenschaftlichen Gremien. René Maillard , Manager von Belgian Meat Office in Brüssel, wertet den Plan als wichtigen belgischen Beitrag zur internationalen Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen. Belpork, Standardgeber des belgischen Certus-Prüfsiegels für Schweinefleisch, erfasst die Therapiehäufigkeitsdaten seit Januar digital.

  • 50 Prozent weniger Antibiotika bis 2020
  • 75 Prozent weniger kritisch eingestufte, wichtige Antibiotika bis 2020
  • 50 Prozent weniger Antibiotika in Futtermischungen bis 2017
  • Aufbau flächendeckenden Datensammelsystems auch für Geflügel, Fleischkälber, Rinder bis 2016
  • betriebsindividuelle Pläne erstellen
  • Benchmark (Viehhalter/Veterinäre)
  • keine antibiotischen Prophylaxe-Therapien mehr
  • permanente Sensibilisierung
  • Transparenz/Kontrolle bei Antibiotika-Lieferanten und -nutzern
  • Monitoring Antibiotika-Resistenz