Vegan und vegetarisch Wie tierfrei ist vegan?

Hersteller von Kosmetik und Körperpflege entwickeln neue vegane Produktformeln und Alternativen zu tierischen Inhaltsstoffen. Fallstricke liegen auch in der Ernte pflanzlicher Rohstoffe.

Freitag, 22. Oktober 2021 - Management
Bettina Röttig

Das Attribut vegan dient auch in den Drogerieabteilungen immer häufiger zur Differenzierung. „Eine vegane Lebensweise ist nicht nur für viele Menschen in der Ernährung relevant, sondern auch für die Kosmetik. Vor allem jüngere Menschen achten bei der Auswahl der Produkte auf das Vegan-Label, wobei Naturkosmetik die bevorzugte Wahl ist“, weiß Naturkosmetik-Pionier Laverana. Bereits seit 2004 nutzt das Hannoveraner Unternehmen für seine Marke Lavera das Siegel der Vegan Society.

Konsumgüterhersteller Henkel hat seine Marke Schauma als vegan positioniert, zudem ist ein Großteil der Produkte der Marke Nature Box tierfrei. „Die bereits sehr große Marke Schauma entwickelt sich seit der Auslobung der veganen Formel auf der Verpackung stabil. Wir sehen jedoch, dass der Benefit einer veganen Formel gut bei den Konsumenten ankommt und auch aktiv danach gesucht wird“, berichtet Katharina Herzog, Geschäftsführerin Henkel Beauty Care Deutschland. Die Körperpflegeprodukte der Marke Nature Box verzeichneten seit dem Launch eine stark steigende Nachfrage und eine stetig wachsende Verwenderschaft.

Auch Johnson & Johnson setzt für die Zielgruppe der Marke Bebe stärker auf tierfreie Produkte. Die Verwendung von Inhaltsstoffen natürlichen Ursprungs sei weiterhin ein Fokus für die Marke Bebe. Ab Mitte Oktober werde das Sortiment um fünf Gesichtspflegen mit veganer Formel erweitert, die den Claim „Vegane Formel – ohne Inhaltsstoffe tierischen Ursprungs“ auf der Verpackung tragen, gibt das Unternehmen bekannt. Sie sind speziell für die unterschiedlichen Hautbedürfnisse entwickelt worden, bieten individualisierte Feuchtigkeitslevel für trockene, empfindliche, normale oder Mischhaut und beinhalten 84 Prozent Inhaltsstoffe natürlichen Ursprungs.
Für die Kunden der Marke Fair Squared sei der Aspekt vegan sehr bedeutend und werde konsequent umgesetzt, erklärt Geschäftsführer Oliver Gothe. Der Kölner Hersteller verwendet keinerlei tierische Inhaltsstoffe in seinen Produkten, die Formeln werden nicht an Tieren getestet und es werden auch keine Tiere bei der Ernte eingesetzt.

Doch für sich alleine ist die Auslobung „vegan“ für die Mehrheit der Verbraucher noch nicht das ausschlaggebende Kaufkriterium. „Wenn die Haut ein Produkt nicht mag, sind auch Siegel kein Kaufmotiv“, heißt es aus dem Hause Laverana. Verträglichkeit und der Verzicht auf bedenkliche Inhaltsstoffe in den Produkten sei Konsumenten am wichtigsten.

Diese Erfahrung hat auch Henkel gemacht. Herzog: „Das Thema Nachhaltigkeit steht für die Verbraucher auf Platz eins des Interesses.“ Im Kosmetikbereich wisse man aus Studien, dass die Aspekte „Unbedenkliche Inhaltsstoffe“ und „Umwelt- und Klimaschutz“ die oberen Plätze der Entscheidungskriterien bedeuteten – gefolgt von günstigen Preisen und schneller Lieferung. „Der Benefit ,vegane Formel‘ ist bei den Konsumenten sehr gefragt, wird aber nicht in der Häufigkeit genannt wie ‚unbedenkliche Inhaltsstoffe‘ – für sie fällt eine vegane Formulierung darunter“, erklärt Herzog. Dennoch setzt Henkel bei einer wachsenden Anzahl an Produkten auf die Auslobung vegan. So wirbt etwa das Nature-Box-Shampoo Argan-Öl einzig mit dem Claim „Nature Box Produkte sind vegan“ – „frei von Inhaltsstoffen tierischen Ursprungs“.

Zusatzargumente, die bei Verwendern der veganen Marke Fair Squared an Bedeutung gewönnen und Potenziale eröffneten, seien plastikfreie Verpackungslösungen und das Thema „Klimabilanz“, berichtet Gothe.

Vegan bis zum Rohstoffanbau
Wo liegen Herausforderungen in der Entwicklung veganer Kosmetik und Körperpflege? Für Fair-Squared-Geschäftsführer Gothe ist „eine vegane Formulierung nicht komplexer, als andere Formulierungen auch“. Allerdings sei die Beschaffung von Bio-Rohstoffen, die zeitgleich Fairtrade zertifiziert sind, die Qualitätsparameter erfüllen und zuletzt noch keine Tiere involvieren, in Corona-Zeiten nicht einfacher geworden. „Beispielsweise haben wir einen Produzenten von Kokosnussöl in Thailand durch einen anderen auf Sri Lanka ersetzen müssen, da dieser Affen zum Pflücken von sehr hoch hängenden Nüssen eingesetzt hat“, erläutert er.

Die meisten Rohstoffe in den Henkel Beauty Care Produkten sind frei von Inhaltsstoffen tierischen Ursprungs. Nur in bestimmten Fällen werden laut Herzog einzelne, nicht vegane Rohstoffe verwendet. Das hat Gründe: Ein Beispiel dafür sei Keratin. „Haare sind aus Keratin aufgebaut. Werden Haare geschädigt, können sie Keratin verlieren und die Struktur wird geschwächt. Um diese Strukturschäden zu beheben, kann Keratin wieder zugefügt werden“, so Herzog. Das bei Gliss Kur verwendete haaridentische Keratin stamme aus Schafswolle, die Tiere werden geschoren und nicht getötet. Pflanzliche Keratine aus Soja oder Reis seien in der Leistung zwar ähnlich, doch häufig durch die andere chemische Zusammensetzung auf nicht ganz dem gleichen Niveau. „Wir sind immer auf der Suche nach neuen, potenten Haaraktivstoffen“, betont die Geschäftsführerin.

Die Produktentwickler von Lavera haben für Lanolin, ein Fett, das aus Schafswolle gewonnen wird und früher in der Lavera-Kinderpflege eingesetzt wurde, eine alternative Lösung gefunden. Heute beinhaltet die Rezeptur ein Ölgemisch mit gleicher Wirkung. Details dazu unterliegen dem Rezepturgeheimnis. Bei Laverana ist man sich sicher: „Die Natur bietet eine Bandbreite an hervorragenden Inhaltsstoffen, die der synthetischen Kosmetik in nichts nachstehen.“ Der Naturkosmetik-Spezialist hält sich an die strengen Richtlinien für zertifizierte und kontrollierte Naturkosmetik. „Bei einigen Inhaltsstoffe gibt es jedoch aktuell noch keine veganen Alternativen, die auch in der zertifizierten Naturkosmetik zugelassen sind und für den Kunden die optimale Performance des Produktes gewährleisten“, so die Hannoveraner. Bienenwachs, Carmin oder Perlenextrakt sorgen beispielsweise für eine natürliche Farbgebung, Hautschutz und den gewünschten Pflegeeffekt. Die eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung erforsche stetig neue Inhaltsstoffe, auch in Zusammenarbeit mit Lieferanten werden Alternativen für nichtvegane Inhaltsstoffe getestet.