Vegan und vegetarisch Vegan mit Mehrwert

Clean-Label-Rezepturen, eingebauter Klimaschutz, eigenständige Kreationen: Produktentwickler setzen im vegetarisch-veganen Sortiment heute auf mehr als reine Imitation etablierter tierischer Produkte.

Freitag, 22. Oktober 2021 - Strategie
Bettina Röttig
Bildquelle: Mirco Moskopp

Vegetarische und vegane Produkte zählen mittlerweile zu den Aushängeschildern in den Sortimenten des Lebensmittelhandels. Landauf, landab wurden in den vergangenen Monaten die Angebote in den Kühlbereichen und im Trockensortiment ausgebaut und erwiesen sich als Wachstumsmotoren. Das gaben nahezu alle Bewerber um die Auszeichnung Supermarkt des Jahres 2021 der Lebensmittel Praxis preis. Geht es nach der Marktforschung, wird das Sortiment Industrie und Handel noch lange klingende Kassen bescheren. So prognostiziert The Business Research Company für den globalen Markt der pflanzlichen Lebensmittel ein Wachstum von 12 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf 18,83 Milliarden Euro im Jahr 2025 mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 9 Prozent jährlich.

Zahlreiche Innovationen und neue Player kämpfen aktuell um Marktanteile. Dabei verstärkt sich der Trend zu komplett pflanzlichen Rezepturen. Zusatzargumente für Klima- und Umweltschutz werden stärker in den Fokus der Kommunikation gerückt.

So kombiniert Rewe das Thema Vegan mit Bio-Qualität und Klimaneutralität. Mitte September wurde das erst im Mai eingeführte 30 Artikel starke Sortiment von Rewe Bio + vegan klimaneutral gestellt. Mit der Umstellung der Produkte kompensiert Rewe für den Anfang rund 32.600 Tonnen CO2 über ein Klima- und Waldschutzprojekt in Peru. Zudem pflanzt der Kölner Handelskonzern einen Baum je ausgeglichener Tonne CO2 in der Region rund um Köln. Auch das Sortiment der seit Herbst 2020 bestehenden veganen Penny-Eigenmarke „Food for Future“ wurde klimaneutral gestellt.

Nicht Fisch, Nicht Fleisch
Auf Seite der Markenhersteller widmet sich die Produktentwicklung aktuell verstärkt Alternativen zu Fisch und Meeresfrüchten, die über vegane Fischstäbchen hinausgehen. Argumente wie Klimaschutz und Schutz der Artenvielfalt stehen im Zentrum der Kommunikation. So bringt die Berliner Veganz Group nach veganem Räucherlaxs für das Kühlregal nun einen Ersatz für Thunfisch in der Konserve in die Regale des Handels. Hauptzutat ist Erbsenprotein. Für den authentischen Geschmack sorgt die Zutat Knotentang. Im Vergleich zu echtem Thunfisch sollen Verbraucher laut Veganz pro Portion knapp ein Viertel an CO2-Emissionen einsparen. Fisch und Garnelen sowie weitere Alternativprodukte aus pflanzlichen Rohstoffen will das Unternehmen künftig in einer neuen 10.000 Quadratmeter großen Produktionsstätte in Brandenburg herstellen.

Auch die Produktentwickler von Nestlé haben Fischersatz als lukratives Feld für sich definiert. Nach Einführung von Garden Gourmet Thun-Vish aus Erbsen- und Weizenprotein hat der Konzern nun mit „Vrimp“, einer Alternative zu Garnelen, ein weiteres Produkt vorgestellt, das dabei helfen soll, der Überfischung der Meere vorzubeugen. Vrimp soll in diesem Jahr als Test für kurze Zeit in ausgewählten Supermärkten in verschiedenen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, auf den Markt kommen. Das Produkt wird im Nestlé Produkt- und Technologiezentrum in Singen hergestellt.

Neu auf dem deutschen Markt ist die Marke Unfished von Prefera Foods aus Rumänien. Pflanzliche Produkte seien die Zukunft, meint Raul Ciurtin, Geschäftsführer von Prefera Foods: „Bei den Fischalternativen stehen wir im Vergleich zu Fleischalternativen noch am Anfang.“ Die Range PlanTuna umfasst neben pflanzlichem Thunfisch in der 150-Gramm-Dose zwei verzehrfertige Salate (California und Mexican) sowie Fischcremes aus der Tube mit Thunfischgeschmack (PlanTuna Spread, klassisch oder mit Chili) sowie Lachsaroma (PlantZalmon).

Dynamik zeigt nach wie vor der Bereich der Fleischalternativen. Allein zwischen Juli 2020 und Juni 2021 legte der Absatz mit Fleischersatzprodukten im deutschen Handel laut Nielsen um mehr als 50 Prozent zu. Davon profitiert unter anderem die Marke Valess. Um mehr als 86 Prozent wuchs der Absatz mit den Produkten auf Basis von Milch und Pflanzenfasern im gleichen Zeitraum. Weiteres Potenzial sieht Hersteller Friesland Campina in den Trends zum Snacking und Ganzjahresgrillen. Valess Smoked BBQ Chicken Style, Happen in Form von kleinen Hähnchenkeulen, sollen für Zusatzumsätze sorgen.

Ein Stück vom alternativen Fleischkuchen hierzulande möchte sich die Marke Meatless Farm sichern. Mitte Oktober ist das gleichnamige Unternehmen, das bereits in rund 20 Ländern mit verschiedenen Produktlinien vertreten ist, in den deutschen Markt eingestiegen. Der Platz in den Kühlregalen der deutschen Händler sei zwar umkämpft, doch in dieser Phase bräuchte es starke Marken, um die Kategorie weiter aufzubauen und Wachstum zu ermöglichen. „Als Meatless Farm haben wir dieses Wachstum in anderen Märkten nachweislich vorangetrieben. Das wollen wir auch in Deutschland tun“, sagt Geert van der Velden, Commercial Director Europa bei Meatless Farm.
Den Anfang machen pflanzliche Burger, Hackfleisch, Schnitzel, pflanzliche Bratwurst, Nuggets und Fleischbällchen, die aussehen, sich so zubereiten lassen und genau so schmecken sollen wie die fleischigen Vorbilder. Ein wichtiger Vorteil im Wettbewerb: „Wir verwenden Erbsenprotein in unseren Produkten, das in unserer eigenen Fabrik hergestellt wird. Dadurch können wir den gesamten Prozess unserer Produkte in Bezug auf die Beschaffung, Formulierung und Produktion kontrollieren“, so van der Velden.

Stark auf den Faktor Klima- und Umweltschutz setzt auch das Start-up Greenforce mit Fleisch- und Fischersatz auf Erbsenbasis in Pulverform. Die mittlerweile 13 Produkte werden mit Wasser und Öl gemischt. Im Vergleich zu gekühlten Veggie-Buletten oder -Würstchen werde wenig Wasser benötigt, die sonst übliche energieintensive Kühlkette bei Transport und Lagerung falle weg, zudem kommen die Artikel mit einem langen Mindesthaltbarkeitsdatum, so die Vorteile. Wie viel CO2, Wasser und Ackerfläche mit den Produkten im Vergleich zur Rindfleischproduktion eingespart werden, zeigt ein Liveticker auf der Webseite. Neu im Portfolio ist eine Hafermilch in Pulverform zum Selbstanrühren. Keine Imitationen von Rindfleisch sondern neue Geschmacksprofile bietet die junge Marke Bunte Burger. Gemüse und Hülsenfrüchte machen mehr als 75 Prozent an den Burger Patties aus, die mit einer ganzen Reihe an Auslobungen auf sich aufmerksam machen. Bunte Burger dürfen mit den Health Claims „reich an Ballaststoffen“, „zuckerarm“, sowie „arm an gesättigten Fettsäuren“ werben, sowie mit einem Nutri-Score von A“, zudem sind die Patties „Free-From“ (ohne Gluten, Soja, Palmöl), halal und klimapositiv, erklärt Ulrich Glemnitz, Geschäftsführer der Bunte Burger GmbH. Seinen Ursprung hat die Marke in der Gastronomie. Seit 2015 bestehen Restaurant und Cateringbetrieb. Mehr und mehr Gäste fragten nach, ob sie die Kreationen nicht auch im Supermarkt kaufen könnten. Seit rund einem Jahr gibt es die Marke auch im Lebensmittelhandel. Nach und nach bringt das Unternehmen weitere Produkte auf den Markt für einen bio-veganen Burger-Baukasten. In Kürze folgen die dritte Patty-Variante, eine vegane Käsesoße und ein veganer Bacon. Alle Handelsprodukte werden von den Köchen des eigenen Kölner Restaurants entwickelt und mit den Gästen getestet.

Auch anderen Produkten soll auf dem Grill oder in der Pfanne mehr Raum gegeben werden. Grillido will mit Grillknödeln in verschiedenen Variationen die Kartoffel auf den Rost bringen. Knödelspezialist Burgis rückt ebenfalls stärker die veganen Rezepturen und vielfältige wie kreative Verarbeitungsmöglichkeiten seiner Produkte in den Vordergrund, um die wachsende Zielgruppe zu erreichen.

Der Feinkost-Experte Rila setzt in der Entwicklung neuer vegetarischer und veganer Produkte unter der Marke Bio Rinatura und der Ethno-Marken auf Convenience und die Crossoverküche, zwei Trends, die durch die fehlenden Urlaubsreisen während der Corona-Pandemie und den Wunsch nach schnellen, hochwertigen und gesunden Lebensmitteln an Bedeutung gewonnen hätten. „Die Experimentierfreude der Deutschen steigt und gibt immer mehr Länderküchen Raum, die vorher einen Nischenmarkt darstellten“, weiß Ann-Kristin Welk, Produktmanagerin bei Rila. Für mehr Abwechslung lässt sich das Unternehmen von den Ecken der Welt inspirieren, in denen der Anteil der Vegetarier an der Bevölkerung besonders hoch ist, beispielsweise Indien oder Vietnam. In diese lädt die Marke Bio Rinatura unter anderem mit vier neuen exotischen Suppen und Eintöpfen im Glas ein: Daal Indian Style Rote Linse, Soup Oriental Style Karotte-Ingwer, Curry Sri Lanka Style Jackfrucht und Soup French Style Lila Kartoffel.

Zusatzgeschäfte
Sind zunächst traditionelle Fleischverarbeiter im Veggie-Segment aktiv geworden, ziehen nun im Bereich der Käse- und Milchalternativen zunehmend Molkereien nach. Gerade hat das Deutsche Milchkontor (DMK) den Einstieg in das pflanzliche Segment angekündigt. „Wir sehen, dass ein Nebeneinander von Dairy- und Non-Dairy-Produkten gut funktionieren kann und dynamische Wachstumschancen birgt. Deswegen sehen wir in diesem Markt auch keine Konkurrenz, sondern eine Chance, weitere Verbraucher zu erreichen“, so die Genossenschaft gegenüber der LP. Ein Jahr lang tüftelte DMK an einer veganen Käsealternative auf Basis von Kokosfett, die zunächst für die weiterverarbeitende Industrie auf den Markt kommt. Die Alternative soll sich unter anderem durch eine kurze Zutatenliste und gute Raspelfähigkeit auszeichnen. „An all unsere Käseprodukte haben wir insbesondere in der Heißanwendung hohe Anforderungen: Sie sollen schmecken, schmelzen, bräunen und Fäden ziehen. All diese Funktionalitäten erfüllt auch unsere neue vegane Käsealternative“, heißt es weiter. Damit eigne sie sich besonders für Anwendungen aus dem Bereich Convenience, Pizza und Bakery. Zudem erweitert der Milram Food Service sein Gastronomie-Sortiment um vegane Desserts auf Hafer- und Reisbasis. Auch für den Lebensmitteleinzelhandel kündigt DMK für Ende des ersten Quartals 2022 pflanzliche Produkte an – im ersten Schritt Desserts und Getränke. Aktuell kommt die Haferkomponente für die Produkte von externen Rohstofflieferanten. Künftig sollen DMK-Landwirte jedoch auch direkt in die pflanzliche Wertschöpfungskette eingebunden werden und nicht „nur über die Erlösseite, die selbstredend in den Milchauszahlungspreis der Genossenschaft einfließt“, so die Ankündigung gegenüber der LP.