Handzettel oder App Werben ohne Druck

Kündigt Netto leise den Abschied des Handzettels an? „Du willst mit Coupons in der App extra sparen, dann geh doch zu Netto“, heißt es im aktuellen TV- Spot des Discounters. Fest steht: Gedruckte Werbung wird teuer.

Freitag, 08. April 2022 - Social Media
Elena Kuss
Artikelbild Werben ohne Druck
Bildquelle: Carsten Hoppen

Von einem Preisanstieg für Papier von über 70 Prozent seit Jahresbeginn 2021 berichtet Fastmarkets Foex, ein Unternehmen, das Indizes für den Papiermarkt erstellt. Großhandelspreise für gemischtes Altpapier hatten sich im September gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als verdreifacht, so eine Erhebung des Shopper-Netzwerks Offerista. Und der Anstieg geht weiter. Der Rohstoff macht knapp 80 Prozent der Papierproduktion aus. Handzettel sowie auch Zeitungen werden meist auf Altpapier gedruckt. Entsprechend groß ist der Effekt auf die Kosten der unadressierten Werbung. Stefan Bien, Chief Revenue Officer bei Offerista, beobachtet: „Einige Händler kompensieren den massiven Preisanstieg durch Reduktion der Auflagen oder des Handzettelumfangs, andere stornieren die Printverteilung. Der gestiegene Mindestlohn belastet die Distributionskosten gerade bei Wochenblattverlagen. Sowohl rechtliche als auch Nachhaltigkeitsgesichtspunkte setzen die Entscheider in puncto Printstrategie zusätzlich unter Handlungsdruck. Wie weit sich der Ukrainekrieg auswirkt, bleibt abzuwarten; Russland ist einer der größten Holzexporteure der Welt.“

Heiliger Handzettel
Laut EHI werden 2024 nur noch 23 Prozent des Bruttowerbeaufkommens in die spezifischen Handelsmedien wie Prospekte, Handzettel, Flyer und Anzeigen fließen. Im Lebensmittel-Einzelhandel verläuft die Entwicklung verhaltener. Warum? Die Praxis zeigt: Der Handzettel funktioniert, so die Hypothese einiger Händler. Edeka Hessenring hat zu Beginn der Pandemie 2020 zwei Wochen auf Handzettel verzichtet, um die Nachfrage nicht unnötig anzuheizen. Die Wettbewerber haben das nicht getan. Die Folge war ein Umsatzeinbruch für Hessenring-Märkte. Bien warnt aber davor, zu schnelle Schlüsse zu ziehen: „Die vielfältigen Einflussfaktoren in der Corona-Pandemie können nur schwer isoliert werden, vielleicht war einfach nur das Toilettenpapier ausverkauft.“

Die Transformation ins Digitale sei unausweichlich, wie viele Händler durch Budgetumverteilungen bereits seit Jahren bestätigen. „Viele unserer internationalen Kunden testen in Piloten, wie ein effizienter Marketing-Mix aus Print und Online gestaltet werden kann“, so Bien. Gegenbeispiele zu Hessenring gebe es zahlreiche. So teste Rewe aktuell in Stuttgart und Dresden das Aussetzen der Printverteilung und massiver Bewerbung der Online-Handzettel sowohl über digitale Kanäle als auch Out-of-Home. Die Superbiomarkt-Kette testete den Shift auf Digitalkanäle, indem Versuch- und Kontrollmärkte unterschiedlich behandelt wurden. Die Digitalkampag‧ne sorgte im Testgebiet für einen signifikanten Umsatz-Uplift. Gemessen wurde der Erfolg unter anderem durch Kassenbonanalysen, Warengruppen und Couponing-Daten.

Auf internationaler Ebene scheint man leichter vom gedruckten Prospekt Abschied nehmen zu können. Lidl druckt – nach einer erfolgreichen Testphase im Herbst letzten Jahres – in Kopenhagen keine Handzettel mehr.

Was ist aber die Alternative? Bien stellt die Gegenfrage: „Wo verbringen wir denn unsere Zeit? Auf dem Smartphone und im Netz, alles andere ist Augenwischerei.“