Frauenquoten in Führungsetagen, Gender-Pay-Gap, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es wird an vielen Fronten gekämpft, um Frauen in der Arbeitswelt eine gerechtere Teilhabe zu ermöglichen. Eine große Herausforderung mit direkter Verknüpfung zum sich verschärfenden Fachkräftemangel wurde bisher totgeschwiegen oder schlimmer noch: übersehen. Die Rede ist von den Wechseljahren und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft und Karriereentwicklung von Frauen.
Wer an dieser Stelle meint „Das betrifft mich nicht“, der irrt. In unserer alternden Gesellschaft sind wir darauf angewiesen, dass mehr Frauen länger arbeiten. Dies gilt umso mehr für den Lebensmitteleinzelhandel mit einem Frauenanteil von rund 71 Prozent.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) betont das Potenzial von Frauen für den Arbeitsmarkt. DIW-Vorstandschef Marcel Fratzscher hält Diskussionen um die Rente ab 70 und 42 Stunden Wochenarbeitszeit für nicht zielführend, wohl aber „eine in der aktuellen Debatte häufig übersehene Maßnahme: eine strukturelle Stärkung der Erwerbstätigkeit von Frauen.“ Es sei an Politik, Unternehmen und Gesellschaft, die unzähligen Hürden für Frauen auf dem Arbeitsmarkt aus dem Weg zu räumen.
Eine dieser Hürden stellt die Menopause dar, wie Studien aus Großbritannien zeigen. Sie schlägt in der am schnellsten wachsenden Altersgruppe im Arbeitsmarkt zu. „Und das zu einer Zeit, in der Frauen, die zum Beispiel aus familiären Gründen Teilzeit gearbeitet haben, nun wieder neu durchstarten und all ihr Know-how einbringen könnten“, erklärt Dr. Natalie Lotzmann, Global Vice President People & Operations und Chief Medical Officer bei SAP. Sie setzt sich dafür ein, dass der „Business Case“ der Menopause am Arbeitsplatz auch in Deutschland erkannt wird. Denn die Vielzahl an Symptomen wie Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen oder Depressionen wirken sich negativ auf die Arbeitsfähigkeit aus.
Bisher würden die Zusammenhänge zwischen den Wechseljahren und Problemen auf dem Arbeitsmarkt nicht gesehen, moniert Susanne Liedtke, Gründerin der Plattform Nobodytoldme: „Es wird nicht gesehen, welches Kosteneinsparungspotenzial darin liegt, sich ausführlich mit den Wechseljahren zu beschäftigen: weniger Ausfalltage, weniger Arbeitszeitreduktion, weniger vorzeitige Kündigungen, höhere Arbeitszufriedenheit und Produktivität, mehr Diversität, mehr weibliche Führungskräfte.“
Exodus an Talenten
Dabei bezieht sie sich auf verschiedene Studien aus England. Demzufolge haben bereits rund 1 Millionen britische Frauen ihre Arbeit aufgrund von Wechseljahresbeschwerden aufgegeben oder gewechselt. Und 14 Millionen Krankheitstage pro Jahr gehen allein in UK Schätzungen zufolge auf das Konto der hormonellen Umstellungsphase.
Der Exodus an erfahrenen Mitarbeiterinnen droht sich fortzusetzen. 18 Prozent der Frauen, die sich aktuell in den Wechseljahren befinden, erwägen zu kündigen. Im Finanzsektor liegt die Zahl sogar bei 25 Prozent. Andere reduzieren ihre Arbeitszeiten und verzichten darauf, sich um Beförderungen zu bemühen – entgegen ihrer ursprünglichen Pläne. Britische Regierung, Behörden wie die Polizei und Wirtschaftsunternehmen wie Tesco (siehe links) haben die Problematik erkannt und Maßnahmen ergriffen.
Die Zielgruppe findet statistisch nicht statt
Hierzulande fehlen bisher vergleichbare Studien. Bekannt ist jedoch: Rund 9 Millionen Frauen in Deutschland befinden sich derzeit in den Wechseljahren. In den Personalabteilungen von Lebensmittel- und Drogeriehandel sowie Konsumgüterproduzenten ist das Thema bisher kaum auf der Agenda. Ausnahmen bilden zum Beispiel Kellogg, L’Oréal und SAP. „Auch wenn wir das von Ihnen beschriebene Thema für relevant und wichtig halten, können wir aktuell nichts zu den von Ihnen gestellten Fragen beitragen.“ So oder ähnlich heißt es auf Nachfrage der Lebensmittel Praxis. Verwiesen wird auf allgemeine Maßnahmen zur Förderung der mentalen Gesundheit, auf flexible Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten – wenn es das Arbeitsgebiet zulasse.
Die fehlende Auseinandersetzung mit dem Thema Menopause ist nicht verwunderlich, liegen doch nicht einmal dem Bundesverband des Lebensmittelhandels aktuelle Zahlen zu Frauenquote oder Altersstruktur im LEH vor, und selbst Forschungseinrichtungen, die sich mit Genderthemen und dem Arbeitsmarkt beschäftigen wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung, müssen auf Anfrage passen.
Engagement kontraproduktiv ?
„Generell halte ich es für notwendig, dass Unternehmen auch geschlechterspezifische Herausforderungen wie die Menopause in den Blick nehmen“, meint Annemarie Leniger, Geschäftsführerin der Ostfriesischen Teegesellschaft (OTG). Für andere ist dies noch fraglich. „Rationalisieren ist für mich in der Sache die Königstugend. Faktisch gibt es die Arbeitsunfähigkeit, die neutral und üblich ist. Das Problematisieren von geschlechtsspezifischen Phänomenen fördert Klischees und Stereotype. Frauen brauchen das nicht“, meint Prof. Dr. Ulrike Detmers, geschäftsführende Gesellschafterin der Mestemacher Gruppe.
Diese Meinung ist Liedtke nicht neu. Auch hört sie öfter, Frauen hätten so lange dafür gekämpft, um auf Augenhöhe mit den Männern zu sein, „warum sollten wir jetzt wieder Argumente liefern, die die Frau als anfälliges Wesen zeigen?“ Diese Gegenargumente höre sie gerne auch von den Frauen, die sich privatärztliche Leistungen von Topärzten leisten könnten. Doch: „Erklären Sie das mal einer Kassiererin, die von Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen und abnormalen Blutungen betroffen ist“, wendet Liedtke ein. Bei der Beschäftigung mit den Wechseljahren gehe es im Kern nicht um das Problematisieren geschlechtsspezifischer Unterschiede. „Es geht darum, zu erkennen, was uns verloren geht, wenn wir uns nicht damit beschäftigen, und was wir zugewinnen, wenn wir uns damit besser auskennen. Es geht darum, Fachkräfte zu behalten, zu gewinnen und mehr weibliche Führungskräfte im Unternehmen zu haben“, stellt sie klar.
Auch SAP-Managerin Lotzmann sieht die Enttabuisierung als Schlüssel: „Jemand, der damit beschäftigt ist, seine Symptome zu verstecken, kann eben nicht sein ganzes Potenzial einbringen.“ Dazu kommt: „Frauen sind zu den Wechseljahren sehr schlecht informiert und fühlen sich auch von Frauenärzten oft nicht ausreichend aufgeklärt“, berichtet Birgit Langebartels, Head of Gender & Generation beim Rheingold Institut aus Umfragen der Marktforscher unter Frauen in der Lebensmitte. Da das Thema noch immer tabuisiert werde, gebe es auch keinen Austausch unter „Mitstreiterinnen“ oder unterschiedlichen Generationen dazu. „Unternehmen können dieses Defizit durch Informationsangebote mit auffangen“, rät sie.
Dies meint auch Liedtke, die ergänzt: „Über 80 Prozent der Frauen über 45 sind erwerbstätig. Wie viel produktiver wären wir, wie viel Kosten würden wir einsparen und wie viel mehr an weiblicher Perspektive hätten wir in der Führung, wenn wir Frauen schneller die richtige Hilfe anbieten könnten?“ Die Beschwerden seien in der Regel gut behandelbar. Solange die Menopause ein Tabuthema bleibe, brauche es Jahre, bis Frauen geholfen werde, und es koste das Gesundheitssystem und Arbeitgeber viel Geld. Frauen in den Wechseljahren seien nicht automatisch weniger leistungsfähig oder belastbar, betont OTG-Geschäftsführerin Leniger: „Vielmehr verändern sich die Bedürfnisse und Anforderungen an eine Arbeitsumgebung, die sie optimal fördert.“ Die Unternehmenskultur der OTG fördere einen offenen und vertrauensvollen Umgang mit solchen Themen – „schließlich geht es bei den Wechseljahren mit ihren körperlichen und mentalen Auswirkungen auch ganz konkret um die Mitarbeitendengesundheit, die für uns an oberster Stelle steht.“
Tesco: Maßnahmen-Paket verabschiedet
Der britische Lebensmittelhändler Tesco will Mitarbeiterinnen aktiv unterstützen, die unter Wechseljahresbeschwerden leiden, und für Aufklärung sorgen. Emma Taylor, Tesco Chief People Officer: „Wir möchten unsere Kolleginnen während dieser Lebensphase unterstützen, ohne ihnen zusätzliche Sorgen oder Druck aufzubürden.“
Die Maßnahmen:
Neue, angepasste Arbeitskleidung: Oberteile werden nun aus einem leichten, atmungsaktiven Material gefertigt, das sich kühler anfühlt und mehr Bequemlichkeit bietet.
Virtuelles Menopausen-Café: Zum thematischen Austausch wird digital eingeladen, damit jeder Kollege und jede Kollegin teilnehmen kann. Zu jedem Termin wird ein neuer Aspekt rund um die Menopause diskutiert.
Offizielle Verpflichtung von Tesco: Als einer der größten Arbeitgeber im privaten Sektor in Großbritannien hat Tesco die Menopause Workplace Pledge unterzeichnet und sich dazu verpflichtet, Kollegen dabei zu helfen, die Wechseljahre zu verstehen und offen darüber sprechen zu können.
Richtlinien: Tesco hat einen Menopause Guide erstellt und ermutigt Mitarbeiter, diesen weiterzugeben. Auch andere Unternehmen können ihn nutzen.
Informationsplattform: Tesco hat alle Informationen und Ansprechpartner zum Thema Wechseljahre auf einem Portal gebündelt. Webinare zum Thema Wechseljahre sowie Aufzeichnungen von Events und Erfahrungsberichte sollen anderen helfen.
Hot@Tesco: Diese Gruppe bietet Mitarbeitern die Möglichkeit zum Vernetzen und zur gegenseitigen Unterstützung.
Erste Branchenunternehmen handeln
Einen ersten Schritt zur Enttabuisierung ist L’Oréal im Herbst letzten Jahres mit der Durchführung einer Verbraucherumfrage zum Thema Menopause gegangen. Im November 2022 hat der Konzern ein digitales Mitarbeiterevent unter anderem dem Thema Frauengesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz, inklusive des Themas Menopause, gewidmet. Astrid Hauser, Head of HR Communication & Employee Engagement L’Oréal DACH: „Wir wollten das Bewusstsein und Verständnis dafür schaffen, dass die Wechseljahre viele Frauen betreffen und die körperlichen Auswirkungen, die mit dieser Phase einhergehen, auch das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Frauen und Mitarbeiterinnen am Arbeitsplatz betreffen können.“ Aus gutem Grund: Der Frauenanteil unter den rund 3.000 Mitarbeitern des Beauty-Konzerns in der DACH-Region liegt bei 60 Prozent. Etwa 20 Prozent von ihnen sind zwischen 45 und 54 Jahren. Die Resonanz auf die Informationsveranstaltung war sehr positiv, berichtet Hauser. Weitere Maßnahmen sind vorerst nicht geplant. Der Fokus im Gesundheitsmanagement liege vor allem auf Themen der mentalen Gesundheit. So haben Mitarbeiter die Möglichkeit, sich in schwierigen persönlichen Situationen beim Fürstenberg Institut Hilfe zu holen, mit dem L’Oréal seit vielen Jahren zusammenarbeitet.
„Kleine Veränderungen des Arbeitsumfelds helfen oft schon, die Beschwerden zu lindern“, weiß Daniela Cocirta, Human Resources Lead bei Kellogg DACH. Gerade hat das Unternehmen für seine Mitarbeiter ein „Recht auf Rückzug“ in mental belastenden Phasen etabliert, vom Schwangerschaftsverlust bis zu Wechseljahresbeschwerden. „Maßnahmen wie das Recht auf Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten tragen dazu bei, dass wir qualifizierte Beschäftigte länger halten können, aber auch ihre Zufriedenheit steigern und damit zu langfristigem Wohlbefinden beitragen“, meint Cocirta. Sie will damit sicherstellen, dass Frauen, die unter Wechseljahresbeschwerden leiden, keine Scham haben, um Anpassungen zu deren Linderung zu bitten.
Begriffe erklärt
Die Menopause ist die letzte durch die körpereigenen Hormone gesteuerte Menstruationsblutung im Leben einer Frau. Sie tritt im Schnitt im Alter von 51 Jahren ein. Die Lebensphase davor und kurz danach wird „Perimenopause“ genannt. Diese kann bereits zehn Jahre vor Ausbleiben der Menopause einsetzen. Ein Jahr nach der letzten Blutung beginnt die Postmenopause. Diese Phasen zusammengenommen bilden die Wechseljahre.
Die Beschwerden
Acht von zehn Frauen erleben in den Wechseljahren Beschwerden, vor allem Hitzewallungen und Schweißausbrüche, Schlafstörungen oder Gelenkschmerzen, Trockenheit der Schleimhäute. Angst, Reizbarkeit und Depression, Herzklopfen oder Herzrasen, Hauttrockenheit, Müdigkeit und Reizbarkeit sind ebenfalls häufig. Diese Beschwerden können schon Jahre vor der Menopause einsetzen und bis zu 13 Jahre andauern. (Quelle: Deutsche Menopause Gesellschaft e. V.)
Kellogg verankert neue Strategie
„Wir wollen eine offene Unternehmenskultur fördern, in der auch Tabuthemen angesprochen werden können.“ Flexibilität für alle, die unter den Wechseljahren leiden, sei von entscheidender Bedeutung. So will das Unternehmen flexibles Arbeiten in Bezug auf Arbeitszeiten, Arbeitsort oder Freistellung für Termine ermöglichen. Kellogg biete auch Ventilatoren am Schreibtisch oder Wohlfühlräume an. Die Managerin sieht die Notwendigkeit zur Aufklärung. „Nicht die Menopause sollte über die Karriere einer Person entscheiden“, sagt sie.
Aufmerksamkeit durch Aufklärung auf allen Ebenen sehen auch Lotzmann und Liedtke als wichtigsten ersten Schritt für Unternehmen, um Frauen in dieser Phase zu unterstützen und die erfahrenen Mitarbeiterinnen zu halten. Mehr verrät die SAP-Managerin im diesem Interview und Liedtke im Podcast Regalplatz der Lebensmittel Praxis.