Interview mit Prof. Dr. Jörg Becker „Modelle im Einkauf vereinfachen“

Erfolgreicher Handel braucht gute IT-Lösungen, hieß es bei der HIS-Tagung in Münster. Interview mit Gastgeber Prof. Dr. Jörg Becker.

Donnerstag, 02. August 2012 - Management
Lebensmittel Praxis
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Bildquelle: Universitu00e4t Mu00fcnster

Sie kritisieren, dass der Handel zu viel Kreativität im Einkauf entfaltet. Was meinen Sie damit, und was ist daran falsch?
Prof. Dr. Jörg Becker: Kreativität im Einkauf ist natürlich nicht per se schlecht. Ich glaube aber, dass viele Preis- und Konditionsmodelle im Einkauf drastisch vereinfacht werden könnten, ohne dass daraus negative Auswirkungen für die Beteiligten resultieren. Allein 63 unterschiedliche Arten von nachträglichen Vergütungen, die ich bei einem Handelsunternehmen beobachtet habe, überfordern Mitarbeiter und auch die IT-Systeme, die diese „Kreativität" verarbeiten müssen. Wie überall, gilt auch hier: erst weglassen, dann vereinfachen, dann automatisieren. Wird Unsinn automatisiert, führt dies zu automatisiertem Unsinn, aber es bleibt Unsinn. Neben einer besseren Verständlichkeit von Vereinbarungen, einer drastischen Vereinfachung von Dispositionstätigkeiten und erheblichen Einsparungen in der Entwicklung und Nutzung der IT würden die Händler Zeit und Kosten sparen, um sich mit dem wesentlichen Element eines Handelsunternehmens zu beschäftigen: dem Verkauf.

Können Sie Beispiele geben, wie der Handel seine Kreativität im Verkauf Ihrer Meinung nach verbessern kann?
Indem er zum Beispiel versucht, seine Kunden besser anzusprechen und mit zielgenauen Angeboten zu versorgen. Die dazu verfügbaren analytischen Informationssysteme haben in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht was die Leistungsfähigkeit betrifft. Außerdem gibt es neue moderne IT-Technologien, die das Einkauferlebnis verbessern können. Die Händler, denen es als erstes gelingt, eine neue IT-affine Generation durch innovative Ansätze an sich zu binden, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil. Nachzügler werden es dagegen schwer haben. In jedem Fall ist eine einfache und verständliche Beschreibung der Verkaufsprozesse zwingend notwendig. Nur vernünftig dokumentierte Prozesse können auch verbessert werden.

Welche Optimierungsmöglichkeiten sehen Sie speziell fu?r den Lebensmittel-Einzelhandel?
Der Lebensmittel-Einzelhandel kämpft mit knappen Verkaufsmargen, die in Händler haben das zum Teil selbst zu verantworten, weil sie das Marketing seit Jahren auf den Preis fokussieren und die Kunden dadurch noch preissensitiver geworden sind. Zur Erhöhung von Margen sehe ich vor allem zwei Chancen: Erstens sollten Lebensmittelhändler ihr Marketing stärker als Konzept zur Abschöpfung von Zahlungsbereitschaften interpretieren und bei weniger preissensitiven Produkten Margen erhöhen. Auch hier stehen Informationssysteme bereit, die dies wirkungsvoll unterstützen. Zweitens könnten die Händler zusätzliche produktbezogene
Dienstleistungen entwickeln und diese in das Gesamtangebot integrieren.