Vorständin Dr. Büchel im Interview Warum der Frauenanteil in Führungspositionen bei Rewe noch immer niedrig ist

Hintergrund

Die Rewe Group soll diverser werden. Warum noch zu wenige Frauen führen, erklärt Vorständin Dr. Daniela Büchel.

Donnerstag, 17. April 2025, 05:40 Uhr
Bettina Röttig
Daniela Büchel 
verantwortet als Mitglied des Vorstands der Rewe Group die Bereiche HR und Nachhaltigkeit als Chief People and Sustainability Officer. Sie ist die einzige Frau im siebenköpfigen Gremium. Bildquelle: Santiago Engelhardt

Die US-Regierung fordert von Unternehmen, ihre Programme zur Förderung der Vielfalt und Gleichberechtigung einzustellen. Hierzulande äußert sich Friedrich Merz kritisch zu Frauenquoten. Wie ist Ihr Blick auf diese Entwicklung?
Dr. Daniela Büchel: Wir erleben aktuell Rufe vor allem aus den USA nach mehr männlicher Energie in der Wirtschaft und Kritik an Frauenquoten und Diversitätsprogrammen. Ich persönlich halte das für sehr gefährlich, rückwärtsgewandt und bedenklich – auch mit Blick auf die Nachhaltigkeitsthemen. Denn das, was gerade in den USA passiert, schwappt auch auf andere Länder über. Daher ist es wichtiger denn je, Haltung zu zeigen.

Was bedeutet Diversität aus ökonomischer Sicht für die Rewe Group?
Gleichberechtigung und Diversität sind ein wesentlicher Bestandteil unseres wirtschaftlichen Erfolgs. Daran glauben der Vorstand der Rewe Group und hoffentlich auch unsere gesamte Belegschaft sehr fest. Es ist nachweislich so, dass Vielfalt in Teams dafür sorgt, dass bessere Entscheidungen getroffen werden, dass man innovativer ist, weil alle unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen einbringen können. Wir als Rewe Group sind in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld unterwegs, für uns ist daher Vielfalt ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Wenn da lauter gleichförmige Menschen sitzen würden, bekämen wir nur gleichförmige Ergebnisse. Gerade jetzt, in Zeiten zum Teil chaotischer Veränderungen, die auf vielen Ebenen stattfinden, brauchen wir Menschen und Teams, die wirklich breit auf die Dinge schauen damit wir zu den richtigen Lösungen kommen. Allein mit Blick auf den Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung in Deutschland sollte klar sein: Ohne Diversität kein Business. Mir ist ein Vortrag der Bundesagentur für Arbeit von Anfang des Jahres deutlich in Erinnerung, der aufzeigte, was passiert, wenn wir auf die Arbeitskraft von Frauen, älteren Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund verzichten. Es blieben dann nur noch sieben Prozent der verfügbaren Arbeitskräfte übrig.

Sie investieren in Maßnahmen für mehr Vielfalt und Chancengerechtigkeit. Wo stehen Sie aktuell?
Für die Rewe Group arbeiten Menschen aus rund 160 Nationen, das ist ein Schatz. Diversität geht natürlich über die Herkunft hinaus: Es geht um gleiche Chancen, egal welchem Geschlecht, welcher Kultur, Religion, Altersgruppe oder sexuellen Orientierung ein Mensch zugehörig ist. Wir arbeiten seit vielen Jahren intensiv am Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf und haben im neuen Re-Zertifierungszyklus des Audits „berufundfamilie“ auch erstmals den Zusatz Vielfalt durchlaufen – als erster Lebensmittelhändler in Deutschland.

Was ist Voraussetzung für das erweiterte Audit Beruf und Familie plus Vielfalt?
Die Zertifizierung ist nach vorne gerichtet. Voraussetzung ist, dass Programme zu Vielfalt und Inklusion festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass alle die gleichen Chancen erhalten, unabhängig von Alter, Geschlecht, geschlechtlicher Identität, Herkunft, Religion/ Weltanschauung, ethnischer oder sozialer Herkunft sexueller Orientierung oder Behinderung. Auch unsere Mitarbeiter können dann nachlesen, was wir uns konkret vorgenommen haben für die kommenden Jahre. Die Ergebnisse liegen Ende Mai vor.

Studien sagen, mehr Frauen in Führungsetagen und Aufsichtsräten bedeuten höhere ESG-Scores. Können Sie bei der Rewe Group ableiten, was diversere Führungsteams für die Nachhaltigkeitsperformance bedeuten?
Es ist schwierig, KPIs abzuleiten. Wir wissen ja nicht, welche Entscheidungen möglicherweise anders ausgefallen wären, wenn keine Frau mitentschieden hätte. Nach einer Studie von McKinsey haben europäische Unternehmen mit gemischten Führungsteams eine über 60 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein.

Die Rewe Group hat sich das Ziel gesetzt, bis 2025 Parität auf den Führungsebenen zu erreichen. Die Zahl war aber eher leicht rückläufig in den letzten drei Jahren. Sie sind die einzige Frau im Vorstand, im Aufsichtsrat gibt es – ausgenommen der Arbeitnehmervertreter – keine einzige Frau. Was sind die Gründe?
In der Tat stehen wir auf den Leitungsebenen eins und zwei, also Vorstand und leitenden Angestellten mit insgesamt knapp 250 Kolleginnen und Kollegen, bei einem Frauenanteil von unter 15 Prozent. Die Frage, warum wir nicht mehr Frauen in hohen Führungspositionen haben, stellen wir uns regelmäßig. Voll umfänglich kann ich diese noch immer nicht beantworten. Wir konnten auch bei den Selbstständigen den Frauenanteil noch nicht signifikant erhöhen. Bei den Rewe und Penny Marktleitern stehen wir zusammengerechnet bei 47 Prozent Frauen. Bei Penny alleine ist die Quote noch deutlich höher als bei Rewe. Wir versuchen gerade herauszufinden, woran das liegt. Bei Rewe sind die Teams größer, vielleicht trauen sich dies Frauen weniger zu oder wir brauchen mehr Förderung.

Der Frauenanteil insgesamt beträgt bei der Rewe Group 65 Prozent. Da ist noch Luft nach oben.
Richtig, daher haben wir auch das Potenzial, besser zu werden. Grundsätzlich wollen wir unsere Führungspositionen möglichst aus den eigenen Reihen besetzen. Jedes Unternehmen hat ja eine eigene Kultur und es ist nicht unerheblich, dass man im Unternehmen auch schon über ein Netzwerk verfügt. Studien zeigen: Wenn man als einzige Frau von extern in einen Vorstand kommt, niemanden richtig kennt, dann ist es äußerst schwierig, einen Unterschied zu machen und sich langfristig zu behaupten. In dem Fall braucht es dann mindestens zwei oder drei Frauen.

Unter den Selbstständigen Rewe-Kaufleuten sind rund 20 Prozent Kauffrauen, die in der Branche auch sichtbarer werden. Kommt hier mehr Drive rein?
In jedem Fall bemühen sich die zuständigen Kollegen sehr darum, mehr Frauen für die entsprechenden Programme zur Vorbereitung auf die Selbstständigkeit zu gewinnen. Aber leider stagniert der Anteil der Kauffrauen.

Woran liegt dies?
Wir haben mit dem OHG-Modell eine abgesicherte Finanzierung, dies ist eine der besten Varianten sich selbstständig zu machen. Im freien Markt haben Gründerinnen sehr viel höhere Risiken, daran kann es also nicht liegen. Viele Bewerbungen kommen aus dem Vertrieb. Wenn wir den Frauenanteil unter den Marktmanagern, Gebietsmanagern und Vertriebsleitern erhöhen können, könnten wir perspektivisch auch mehr Bewerberinnen für die Selbstständigkeit bekommen. Wenn wir mehr Kauffrauen hätten, könnten wir auch im Aufsichtsrat und in den regionalen Gremien deren Anteil erhöhen. Da hängt viel zusammen. Dass die Selbstständigkeit offenbar doch nicht für alle attraktiv ist, liegt sicher auch wieder am Thema Familie. Noch immer richtet sich vieles nach der Karriere des Mannes.

Oft heißt es, Frauen trauen sich zu wenig, sind zu selbstkritisch. Wie sehen Sie dies?
Dass Männer in ihren Karriereentscheidungen mutiger und Frauen vielleicht risikoaverser sind, wenn es um neue Aufgabenbereiche geht, das ist nicht nur ein Klischee. Frauen machen sich meist sehr viele Gedanken. Daher ist es besonders wichtig, dass Führungskräfte Frauen ermutigen, ihnen den Rücken stärken, Lösungen finden und auch sagen: wenn es eine Rückfahrkarte braucht, dann haben wir einen gemeinsamen Plan B. Es ist wichtig, dass wir starke Führungskräfte haben, die sich für Frauen – auch mal Quereinsteigerinnen – einsetzen, in denen sie Potenzial sehen, auch wenn es vielleicht zunächst mal ein vermeintlich größeres Risiko bedeutet.

Was tun Sie, um mehr Frauen für Führungsrollen zu gewinnen?
Wir haben Mentorenprogramme wie Women’s drive für Frauen in Führungspositionen und solche, die zeitnah eine solche Position übernehmen wollen. Dieses haben wir 2017 ins Leben gerufen und daraus bilden sich dann auch Netzwerke. Mittlerweile haben wir das Programm aufgeteilt. Women‘s drive Start richtet sich an Frauen mit ein bis zwei Jahren Führungserfahrung und jene mit Führungspotenzial in naher Zukunft. Women‘s drive advanced spricht erfahrene weibliche Chefs an. Es gibt Themen, die speziell die weibliche Belegschaft betreffen, daher braucht es solche Räume, um darüber zu sprechen.

Welche Themen sind das?
Es geht unter anderem um Persönlichkeitsentwicklung und die Erhöhung der Sichtbarkeit für den Einstieg in eine Führungsrolle oder andere Entwicklungsmöglichkeiten. Aber auch darum, wie Frauen einander unterstützen können und welche Hürden es immer noch gibt, auch in unserem Unternehmen. Nach wie vor ist das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein ganz großes Thema. Das hat natürlich die bekannten gesellschaftlichen Hintergründe: Frauen übernehmen nach wie vor den Hauptteil der Care Arbeit. Übernimmt ein Mann die Kindererziehung, kommen häufig noch entsprechende Kommentare. Wir haben daher in den letzten Jahren viel unternommen, um die Vereinbarkeit zu fördern. Das ist in den Zentralen natürlich einfacher als in den Märkten. Wir bieten zum Beispiel Top-Positionen in Teilzeit und Job-Sharing an. Seit rund fünf Jahren ist auch die Marktleitung in Teilzeit möglich – damit sind wir der einzige Händler.

Was bedeutet in dem Fall Teilzeit?
80 Prozent. Dabei ist dann wichtig, dass die restlichen 20 Prozent von Kollegen aufgefangen und auch gehaltsmäßig ausgeglichen werden. Wir haben dies alles in Betriebsvereinbarungen geregelt.

Wie gut wird diese Möglichkeit des Chefs in Teilzeit angenommen?
Auf Executive Ebene sind es ausschließlich Frauen, die dies nutzen. Hier müssen wir noch mit Mythen und Schranken im Kopf aufräumen, damit dies auf allen Ebenen und auch von Männern stärker genutzt wird. Das Modell Marktchef in Teilzeit wird in den Regionen gut angenommen, in denen es mehr Sichtbarkeit und Best Practices gibt, wie beispielsweise in der Rewe Süd.

Wo sind Sie persönlich aktiv, um Frauen zu fördern?
Ich biete Kolleginnen bei jeder Gelegenheit an, dass sie mich persönlich ansprechen können. Im Mai ist wieder ein Frühstück mit Kolleginnen des oberen Managements, also Leitungsebene eins und zwei, geplant, um in einer ganz vertraulichen Atmosphäre zu erfahren, was die Kolleginnen brauchen, um den nächsten Schritt zu schaffen. Ich bin Patin unseres Frauennetzwerks „f.ernetzt“ mit mittlerweile rund 1.200 Mitgliedern und bin regelmäßig bei den Treffen dabei. Ich halte es für wichtig, dass Frauen Netzwerke besser nutzen. Dafür braucht es entsprechende Anlässe. Ich begleite auch intensiv das Audit „berufundfamilie“ plus Vielfalt und die dort vereinbarten Programme und Maßnahmen.

Mir wurde in meinen Gesprächen unter anderem gesagt, Frauen bremsen sich gegenseitig aus. Überspitzt gesagt: Frauen sind selbst schuld daran, dass sie nicht vorankommen. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Ich erlebe das nicht wirklich. Natürlich ist es immer abhängig von der Persönlichkeit. Ab und an fragt man sich schon, gönnt ihr einander den Erfolg nicht. Das habe ich selbst aber noch nicht erlebt und ist meiner Erfahrung nach auch nicht der Normalfall. Ich persönlich freue mich für jede Frau, die den nächsten Karriereschritt macht. Und in unseren Programmen erlebe ich ebenfalls immer eine sehr positive Unterstützung.

Gerechtigkeit heißt auch gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Wie groß ist das Gender-Pay-Gap bei der Rewe Group?
Wir haben ein großes Projekt aufgesetzt, um die Stellen so zu definieren, dass wir die Löhne auch differenziert auswerten und ein mögliches Gender-Pay-Gap ermitteln können. Dies geschieht auch in Vorbereitung auf das Entgelttransparenzgesetz. Mehr als 90 Prozent der Kollegen bekommen Tariflöhne, da sollte es keinen Unterschied geben. Ab Leistungsebene drei schauen die Betriebsräte mit drauf. Aber wir bleiben hier auf jeden Fall dran.

Die Quote der Schwerbehinderten liegt bei der Rewe bei 3,1 Prozent, also nach wie vor unter der 5 Prozent-Marke. Was tun Sie, um mehr Menschen mit Einschränkungen zu gewinnen?
Die Quote der Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung wird bei uns nach Köpfen berechnet und hat damit eine andere Berechnungsgrundlage als die Pflichtbeschäftigungsquote von Menschen mit Schwerbehinderung nach Paragraph 154, auf die Sie sich hier beziehen – die Gegenüberstellung ist also etwas irreführend. Inklusion ist für uns ein wichtiges Thema. Wir haben diesen Teil des Arbeitsmarktes noch nicht in Gänze ausgeschöpft. Unsere Kollegen der Rewe West sind hier zum Beispiel bereits sehr aktiv. Mehr als 90 Menschen mit Behinderungen wurden dort allein im letzten Jahr eingestellt und die allermeisten sind auch noch dabei. David Hegemann, Kaufmann aus Düsseldorf, hat den ersten Azubi im Rollstuhl, der perspektivisch Kaufmann werden will. Dietmar Tönnies, Kaufmann aus Odenthal, hat eine gehörlose Kollegin beschäftigt – und so gibt es viele weitere positive Beispiele. Wir sehen in allen diesen Märkten zahlreiche positive Effekte, eine tolle Atmosphäre unter den Mitarbeitenden und auch von den Kunden erfahren die Teams nur wertschätzendes Feedback. Das werden wir weiter vorantreiben.

Was haben Sie gelernt?
Gelernt haben wir zum Beispiel, dass es schwierig ist, nur einen Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Es ist immer besser, wenn es drei oder vier sind, auch aus einem Community-Gedanken heraus. Daher liegt der Fokus bei den Kollegen von Billa in Österreich bei der Umsetzung zum Beispiel auf größeren Märkten.

Wo sind die größten Herausforderungen?
Es gibt einen unglaublichen Verwaltungsaufwand. Um die Märkte nicht zu sehr zu belasten, kümmert sich hier Roderich Dörner, bei der Rewe West verantwortlich für Personal und Inklusion. Die Händler machen sehr positive Erfahrungen, menschlich, aber auch wirtschaftlich, denn sie bekommen finanzielle Unterstützung. Im April haben wir einen Workshop geplant, um zu schauen, wie wir das Konzept national ausrollen können. Es gibt schon eine Liste mit sehr vielen Kaufleuten, die mitmachen möchten. Auch die Kunden melden zurück, dass sie eine ganz tolle Atmosphäre im Markt erleben, wenn dort Inklusion gelebt wird. Wichtig ist, Menschen grundsätzlich da einzusetzen, wo ihre Stärken liegen. Eine stärkeorientierte Führung ist wichtiger Bestandteil unserer Führungsprogramme.

Wo sind noch die größten To-dos?
Wir sind bei der Rewe Group schon auf einem guten Weg, der aber noch lange nicht zu Ende ist. Im IT-Bereich, der noch männerdominiert ist, ist es noch schwierig, genderdiverse Teams zu bilden und vor allem mehr Frauen in Führungspositionen zu haben. Der Bereich Vertrieb ist traditionell ebenfalls recht männlich, aber hier haben wir nun auch Beispiele von Vertriebschefinnen wie Elisabeth Promberger der Rewe Süd. Es braucht diese Beispiele mit Strahlkraft. Und es braucht Mentorinnen und Mentoren wie meinen Vorstandskollegen Peter Maly, dem es ein großes Anliegen ist, Frauen in der Geschäftsleitung wie auch auf den vertrieblichen Ebenen zu fördern. Wir haben noch viele Baustellen. Und vielleicht hilft ja die aktuelle Debatte, so verrückt sie ist, auch dabei.

Das Interview führte Bettina Röttig.