Beliebte Kennzahl Wie die Flächenproduktivität in die Irre führt

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Wenn es um die Flächenproduktivität geht, liegen ­Warengruppen wie Tabak und das Pressesortiment ganz ­
vorn. Was die Kennzahl sagt – und was nicht.

Montag, 27. Januar 2025, 06:40 Uhr
Matthias Mahr
Rewe Berlin Ackerhalle
Bildquelle: Mirco Moskopp, Matthias Mahr

Das Presseregal kann zum Aufreger werden. Vor Weihnachten sollte unbedingt die Sonder­edition der „Landlust“ mit den besten Ideen zum Fest in den Einkaufskorb. Eigentlich müsste die führende Zeitschrift aus dem Lebensstil-Segment auf einen Blick im Regal der Publikumsblätter zu finden sein. Schließlich bietet sie mit ihrer hohen Nachfrage echtes Potenzial. Auch das freundliche Personal auf der Fläche war keine Hilfe. Das Special lag doch tatsächlich auf dem untersten Regalboden unter der „Bild“-Zeitung versteckt. Nur die kleine obere linke Ecke des Magazins schien wie zufällig zu rufen: „Hier bin ich!“

„Das ist kein Einzelfall“, weiß Carsten Kortum. Der Hochschullehrer von der DHBW in Heilbronn hat durch den Impuls der Initiative „Presse-Pioniere“, bei der Verlage und Händler an der Zukunft des Sortiments feilen, vor dem Jahreswechsel ein Whitepaper zu den Entwicklungen am Point of 
Sale veröffentlicht. Der Gesamtumsatz, der in Deutschland 2023 mit Presseerzeugnissen erzielt wurde, lag bei rund 2 Milliarden Euro. Auf den Lebensmitteleinzelhandel entfielen laut Erhebungen der DHBW annähernd 1,1 Milliarden Euro. Nach Aussagen Kortums ist das ein Anteil von nur 0,54 Prozent des Gesamtumsatzes. Besser liest sich da die Flächenproduktivität dieser Warengruppe. Sie erreicht mit 14.300 Euro pro Quadratmeter bei den Discountern und 13.000 Euro pro Quadratmeter bei Supermärkten Höchstwerte. Nur Tabakwaren schlagen im Lebensmittelhandel diesen Wert. Pressegrossisten greifen deshalb gerne auf diese Kennziffer zurück, um ihre Unverzichtbarkeit zu unterstreichen.

Die Flächenproduktivität, definiert als der Umsatz pro Quadratmeter Verkaufsfläche, gilt als zentrale Kennzahl im Lebensmitteleinzelhandel. „Sie ermöglicht einen Vergleich zwischen Märkten unterschiedlicher Größen und bietet Hinweise auf die Effizienz der Flächennutzung“, erläutert Edeka-Kaufmann Jan Habig aus Büdingen auf LP-Nachfrage. Doch wie aussagekräftig ist diese Kennzahl, wenn das Presseregal scheinbar in vielen Fällen wenig Beachtung und Liebe bei Marktleitungen erfährt?

Für DHBW-Professor Stephan Rüschen bietet die Flächenproduktivität zahlreiche Einblicke: Sie ermögliche unter anderem die Planung von Verkaufsflächen und die Optimierung einzelner Warengruppen. Insbesondere Abteilungen mit hohen Umsätzen auf kleiner Fläche (Kassenbereiche oder bestimmte Warengruppen wie Obst und Gemüse) tragen nach seinen Aussagen überproportional zum Erfolg eines Marktes bei. Gleichzeitig könnten Bereiche mit niedriger Produktivität als Optimierungsziele identifiziert werden.

Grenzen der Flächenproduktivität

Allerdings: Die Flächenproduktivität allein gibt keinen Aufschluss über den wirtschaftlichen Erfolg. So zeigt die hohe Produktivität von Tabakwaren durch die geringe Flächenbeanspruchung in Verbindung mit hohen Umsätzen, dass diese Kennzahl isoliert betrachtet irreführend sein kann. Bekanntlich sind Tabakprodukte kaum profitabel. Ridvan Tekdemir, Marktmanager im Rewe-Center in Rodgau, verweist auf zwei wesentliche Faktoren: „Wenn die Marge gering ist und die direkt zurechenbaren Kosten hoch sind, bleibt letztlich nichts übrig.“ Als Beispiel kann auch das Pressesortiment dienen. Hier fallen wöchentliche Kosten für das Verräumen und Aussortieren von Restanten an, was die Personalkosten etwa im Vergleich zum Dosenfutter deutlich erhöht. Das erklärt auch, warum sich nicht alle Vollsortimenter mit Hingabe ihrem Presseregal widmen.

Die fixe Handelsspanne bei preisgebundenen Presseprodukten ist unterdurchschnittlich, aber mit 20 Prozent nicht schlecht. „Das ist für uns durch das vollständige Warenrückgaberecht ein risikoarmes Geschäft“, sagt ein Marktleiter von Netto. Zusätzliche Anstrengung führe da eigentlich zu nichts, macht er aus seiner Sichtweise auf Zeitungen und Zeitschriften keinen Hehl.

Innenstadtlagen oder hoch frequentierte Standorte erzielen naturgemäß höhere Flächenproduktivitäten als Filialen auf der grünen Wiese. Äußere Bedingungen können gewichtiger als die operative Effizienz sein. Das sind Erfahrungswerte, die Rewe-Kaufmann Tekdemir gesammelt hat. Er hebt die Widersprüchlichkeiten hervor, die in der isolierten Betrachtung der Flächenproduktivität entstehen können. Produkte mit hoher Marge wie Fleisch, Backwaren oder Feinkostartikel liefern bessere Erträge pro Quadratmeter als Artikel mit eher niedriger Marge wie die Eigenmarke aus dem Basis-Sortiment. Jedoch haben diese margenstarken Warengruppen oft eine geringere Flächenproduktivität, da sie eine größere Präsentationsfläche und aufwendigere Pflege erfordern. Die Bedienungstheke liefert hohe Deckungsbeiträge, erfordert jedoch viel Personal und führt so zu höheren Kosten. Margenstarke, aber flächenintensive Sortimente (Wein und Spirituosen) bieten hohe Gewinnspannen, doch ihre Lagerung und Präsentation benötigen mehr Raum und lassen die Flächenproduktivität sinken. Ähnlich verhält es sich mit Bio-Produkten, die zwar eine treue Kundschaft anziehen, aber wegen des höheren Preises seltener drehen.

Leistungskennzahlen

Das Zusammenspiel ist entscheidend

Wichtige Kennzahlen im Handel sind heute Marge und Durchschnittsbon. Hinzu kommen die klassischen Erfolgsdaten aus dem Category Management wie Penetrations- und Wiederkaufsrate. „Diese Kennzahlen sind besonders relevant, weil das Category Management an Bedeutung gewonnen hat“, sagt DHBW-Studienleiter Carsten Kortum. Zur Flächenoptimierung verweist er auf das einfache Ampelsystem: Grün für überdurchschnittliche Marge, Gelb für durchschnittliche und Rot für unterdurchschnittliche. Bei Zweitplatzierungen soll so vermieden werden, dass Artikel mit geringer Marge prominent platziert werden.

Alternative Kennzahlen einbeziehen

Damit eine umfassende Bewertung der Effizienz gelingt, müssen Händler weitere Kennzahlen betrachten. „Der Rohertrag pro Quadratmeter berücksichtigt die Marge sowie unter anderem Personal- und Mietkosten. Er gibt somit einen besseren Einblick in die Rentabilität“, sagt Professor Rüschen. Eine EHI-Studie aus dem Jahr 2022 hat den Ertrag der Obst- und Gemüseabteilungen auf 15,5 Prozent beziffert, die Bedienungstheken erreichen gar 19,6 Prozent.

Und auch die Personalproduktivität (Umsatz pro Mitarbeiterstunde) zeigt, wie effizient Personalressourcen genutzt werden. Besonders Discounter wie Lidl oder Aldi optimieren durch Konzepte wie Doppelkassen, die eine um bis zu 20 Prozent höhere Scan-Leistung ermöglichen, die Effizienz ihrer Beschäftigten. Kundenfrequenz und Durchschnittsbon sind weitere unverzichtbare Messgrößen: Die Anzahl der Kunden und der durchschnittliche Einkaufswert sind entscheidend für die Umsatzentwicklung. Besonders auf Großflächen mit hohem Personalaufwand sind diese Kennzahlen unverzichtbar.

Ein häufiger Trugschluss im regiebetriebenen Lebensmittelhandel sei es, dass eine hohe Flächenproduktivität automatisch zu einem hohen Ertrag führe, sagt DHBW-Studienleiter Kortum. Dies führt zu Verzerrungen, wenn etwa Produkte mit geringer Marge prominent platziert werden, während margenstarke Artikel vernachlässigt werden. Selbstständige Edeka- und Rewe-Händler stehen vor Herausforderungen: Sie müssen nicht nur die Flächenproduktivität, sondern auch die Rentabilität einzelner Sortimente kennen, um Fehlallokationen zu vermeiden. Selbstständige Kaufleute profitieren hier von ihrer Kenntnis der Einkaufskonditionen.

Die Flächenproduktivität spielt auch künftig eine zentrale Rolle. Moderne Technologien und veränderte Verbraucherbedürfnisse werden ihre Bedeutung aber relativieren. Verkaufsflächen müssen zunehmend multifunktional sein, um digitale und stationäre Services zu verbinden. Ein weiteres Thema ist die Automatisierung: Selbstbedienungskassen oder KI-gestützte Regaloptimierungen könnten die Effizienz steigern, jedoch zulasten der Kundenbindung gehen. Während Discounter durch ihre hohe Produktivität glänzen, haben Vollsortimenter die Chance, durch Sortimentsvielfalt und Service zu punkten – wenn sie die richtigen Kennzahlen im Blick behalten.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen „Für mich gibt es nicht die Kennzahl, die alles sagt. Wir denken in Regalachsen und identifizieren jene, die eventuell nicht zum Standort passen.“ 
Jan Habig, selbstständiger Edeka-Kaufmann

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