Vor der Wahl Entscheidungsjahr 2025 – was die Lebensmittelwirtschaft wirklich braucht

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In diesem Jahr zeigt sich, wo die Wirtschaft steht: am Tiefpunkt eines Konjunkturzyklus oder am Beginn einer Strukturkrise. Womit die Branche rechnet. Was sie fordert.

Donnerstag, 23. Januar 2025, 06:40 Uhr
Tobias Dünnebacke
Entscheidungsjahr 2025
 „Wir erwarten von einer neuen Bundesregierung ein Bekenntnis zur unternehmerischen Freiheit.“
John Galvin, Coca-Cola Europacific Partners
Bildquelle: Getty Images

Das Jahr 2025 wird ein Jahr des Wandels sein. Die zweite Präsidentschaft von Donald Trump in den USA, die Wahl einer neuen Bundesregierung nach dem unwürdigen Ende der Ampelkoalition in Deutschland, der Fall des Assad-Regimes in Syrien. Wohin man in die Welt blickt, die Karten werden neu verteilt. In jeder Krise steckt eine Chance – an die Binse erinnern derzeit viele. Echte Aufbruchstimmung will bei Lebensmittelhändlern und -herstellern ebenso wie in der übrigen deutschen Industrie gleichwohl nicht aufkommen. Für viele Verantwortliche in den Unternehmen ist 2025 das Jahr der Entscheidung: Befindet sich Deutschland am Tiefpunkt eines üblichen Konjunkturzyklus? Oder untergraben die globalen Umbrüche Deutschlands Stärken für lange Zeit?

Billiges Gas aus Russland, eine an die USA ausgelagerte Sicherheitspolitik und ein schier unermesslicher Absatzmarkt in China: Vieles, das die Unternehmen der Bundesrepublik die letzten Jahrzehnte florieren ließ, steht auf einmal infrage. „Dieses langjährige Geschäftsmodell funktioniert so nicht mehr“, brachte es Christoph Werner, Chef der Drogeriemarktkette dm, kürzlich in der Lebensmittel Praxis auf den Punkt. Andere begründen ähnlich, was die Zahlen zeigen: Die EU-Kommission sagte Ende vorvergangenen Jahres für 2024 einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland von 0,1 Prozent voraus. Zusammen mit Österreich, Irland, Finnland und Estland bildet die Bundesrepublik die wirtschaftliche Schlussgruppe in der Europäischen Union. Für das laufende Jahr erwartet die EU-Kommission ein mageres Wachstum von 0,7 Prozent in Deutschland.

Das Münchener Ifo-Institut bezeichnet 2024 als „das fünfte Jahr der Stagnation für Deutschland“ und nennt eine schwache Nachfrage und „tiefgreifende strukturelle Herausforderungen wie Digitalisierung, Dekarbonisierung, den demografischen Wandel und die Deglobalisierung“ als Gründe für das schlechte Abschneiden. Weltweit erholten sich die Volkswirtschaften und ziehe die Nachfrage an, davon profitiere die exportorientierte deutsche Industrie aber nur wenig. Insbesondere die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes leiden laut den Forschern unter dem spürbaren Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser sagt: „Es bleibt noch unklar, ob die aktuelle Stagnation nur eine vorübergehende Schwäche ist oder den Beginn einer schmerzhaften, dauerhaften Transformation der Wirtschaft markiert.“ Die Münchener stellen denn auch Prognosen für zwei Szenarien auf: Läuft es eher schlecht, erwarten sie für 2025 ein moderates Wachstum von 0,4 Prozent. Ein optimistischeres Szenario sieht Wachstumsraten von bis zu 1,1 Prozent vor. Für Verbesserungen brauche es aber Veränderungen, sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Ernährungsindustrie (BVE): „Der Standort Deutschland wird für viele Unternehmen zunehmend unattraktiv.“

Immer wieder die Bürokratie

Manager aus der Ernährungsindustrie beschreiben eine überbordende Bürokratie als einen ihrer größten Schmerzpunkte. John Galvin, Vorsitzender der Geschäftsführung von Coca-Cola Europacific Partners Deutschland, hofft denn auch auf die neue Regierung. „Die Diskussionen in der Ampelkoalition über staatliche Eingriffe wie Werbeverbote oder Mehrwegverpflichtungen haben wir mit Sorge verfolgt. Wir erwarten von einer neuen Bundesregierung ein klares Bekenntnis zur unternehmerischen Freiheit“, sagt der Chef der deutschen Coke-Abfüllorganisation zur Lebensmittel Praxis. Bürokratische Hürden seien auch bei Investitionen in klimaneutrale Technologien hinderlich – was die Transformation der Branche erschwere.

Auch Holger Eichele hofft auf Tempo und Effizienz im Kampf gegen regulatorische Fesseln. Es geht dem Chef des Deutschen Brauer-Bundes nicht nur um neue Gesetze: Ziel müsse es auch sein, alle Berichts-, Dokumentations- und Überwachungspflichten auf den Prüfstand zu stellen und wo immer möglich zu reduzieren. Dr. Carsten Bernoth, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI), bezeichnet die deutsche Bürokratie als eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit seiner Branche. Er fordert verbindliche Bürokratiechecks vor der Verabschiedung neuer Gesetze und plädiert für eine stärkere Einbindung der Wirtschaft – nach dem Vorbild der Niederlande.

„Wir brauchen eine Politik, die zuhört und vertraut“, fordert Sebastian Kühn, Geschäftsführer von Eberswalder Wurstspezialitäten. Durch die vielen politischen Wechsel in den vergangenen Jahren auf Landes- und Bundesebene falle es den Unternehmen zunehmend schwer, sich auf die regulatorischen Anforderungen einzustellen. „Denn was heute noch gilt, kann morgen oder übermorgen schon wieder über Bord geworfen werden“, so der Manager. Deutschland sei zwar das Wurstland Nummer eins. Doch das Beispiel der Automobilindustrie zeige, wie schnell sich ein Markt drehen könne.

BIP

Löhne, Strom und Gas – alles teuer

Auch hohe Lohnkosten empfinden Unternehmenslenker als Hindernis für erfolgreiche Geschäfte. Oliver Mans von der Obst- und Gemüse-Erzeugergenossenschaft Landgard sieht den Druck auf die Unternehmen weiter steigen: „Besonders bei Blumen und Pflanzen stehen wir im Wettbewerb mit anderen Ausgaben der Verbraucher, wie Reisen oder Lifestyle-Produkte. Das zwingt uns, die Kosten weiter zu senken, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Es brauche eine Balance zwischen fairen Löhnen und wirtschaftlich Machbarem, sagt Sebastian Kühn.

Die Energiekosten sind und bleiben eine der größten Sorgen der deutschen Wirtschaft: Zwar sind die Preise seit dem heftigen Ausschlag nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs wieder deutlich gesunken – doch lägen etwa die Kosten für Erdgas heute noch immer um 192 Prozent über dem Niveau von Anfang 2020, beklagt der Industrieverband BVE. Besonders diejenigen, die viel Strom und Gas für ihre Produktion brauchen, blicken nervös auf diesen Zustand, beispielsweise die Bierbrauer, die sowohl erhitzen als auch abkühlen müssen. „Große Sorgen bereitet uns der zu erwartende starke Anstieg der Netzumlagen, ebenso die Kosten zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität“, sagt Holger Eichele vom Brauer-Bund.

All diese Faktoren trüben die Laune in der Wirtschaft. Aktuell gehen 31 Prozent der vom Ifo-Institut im Rahmen einer Umfrage angesprochenen Unternehmen von einem wirtschaftlich schlechten Jahr 2025 aus. Die Optimisten sind mit 12,6 Prozent deutlich in der Minderheit. „Vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft 2024 schon schlecht gelaufen ist, sind diese Zahlen bedenklich“, sagt Ifo-Umfrageleiter Klaus Wohlrabe. Keine Branche blicke wirklich optimistisch in die Zukunft.

Gut ist: Deutschland kann Krise

Dass es sich bei diesem Pessimismus nicht nur um ein Gefühl handelt, zeigen die vielen Unternehmen, die Insolvenz anmelden müssen. Seit Monaten steigt die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland deutlich. Mit Ausnahme des Juni 2024 lag die Zuwachsrate bei den Insolvenzanmeldungen seit Juni 2023 im zweistelligen Bereich, wie aus Daten des Statistischen Bundesamtes hervorgeht. „Mit einiger Verzögerung schlagen die Krisen der vergangenen Jahre durch“, erläutert Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung. Bald seien wieder Zahlen nahe an den Höchstwerten der Jahre 2009 und 2010 in Sichtweite, als mehr als 32.000 Unternehmen in die Insolvenz gingen.

Trotzdem: Es gibt Lichtblicke. „Die Teuerungsraten haben sich stabilisiert und die Reallöhne sind gestiegen. Das gibt Grund zur Hoffnung“, sagt Coke-Chef Galvin. Benno Mauerhahn, Deutschland-Chef von Ritter Sport, glaubt: Gerade Mittelständler seien agil und flexibel, um sich in bewegten Zeiten schnell den Bedürfnissen des Marktes anzupassen. BVE-Chef Christoph Minhoff hält die Ernährungsindustrie für besonders widerstandsfähig: „Wir haben schon viele Krisen gemeistert. Wenn die Politik uns endlich unterstützt, statt zu behindern, dann schaffen wir auch das. Innovation und Unternehmertum sind unsere Stärken – wir sollten sie nutzen.“

Holger Eichele vom Brauer-Bund setzt für die Zukunft ausgerechnet auf die so viel gescholtene Generation Z. Das politische Interesse junger Menschen sei laut der Shell-Jugendstudie gestiegen, die Bereitschaft zu politischem Engagement gewachsen, viele junge Menschen in Deutschland hätten ein hohes Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Gesellschaft und identifizieren sich positiv mit der Demokratie und den staatlichen Institutionen in Deutschland. „Ich denke, das ist ein wichtiges und erfreuliches Signal“, sagt 
Eichele.

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Bild öffnen  „Wir erwarten von einer neuen Bundesregierung ein Bekenntnis zur unternehmerischen Freiheit.“
John Galvin, Coca-Cola Europacific Partners
Bild öffnen „Wir müssen davon ausgehen, dass der Preisdruck in unserer Branche weiter zunehmen wird.“
Oliver Mans, Landgard eG
Bild öffnen  „Wir sind für die zu erwartenden Herausforderungen 2025 gut aufgestellt.“
Benno Mauerhan, Ritter Sport
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gezeigt, wie schnell sich ein 
Markt drehen kann.“
Sebastian Kühn, Eberswalder Wurstspezialitäten
Bild öffnen  „Der Bürokratieabbau muss 
wesentlich schneller und konsequenter vorangetrieben werden.“
Holger Eichele, Deutscher Brauer-Bund