Ohne störende Geräusche Entspannter einkaufen

Wer lärmempfindlich ist, für den kann Einkaufen zur Qual werden. Bei Rewe Quermann in Bielefeld gibt es jetzt das „Silent Shopping“. Ein Besuch.

Freitag, 04. November 2022 - Management
Manuel Glasfort
Artikelbild Entspannter einkaufen
Bildquelle: Manuel Glasfort

Es ist auffallend still bei Rewe Quermann in Bielefeld. Zwar ist der Kundenandrang an diesem Dienstagnachmittag überschaubar, doch selbst daran gemessen ist es leise in den Gängen zwischen Kaffee, Schokolade und Teigwaren. Das Brummen der Tiefkühlanlagen übertönt manches Kundengespräch. „Erst mit dem ‚Silent Shopping‘ ist mir klar geworden, wie laut eigentlich Kühltruhen sind“, sagt Geschäftsführerin Ines Quermann und lacht. Die 43-Jährige steht hinter dem „Silent Shopping“, das seit diesem Sommer jeden Dienstag zwischen 13 und 15 Uhr stattfindet.

Um den Lärmpegel im Laden so weit es geht abzusenken, haben Quermann und ihr Team eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Natürlich wird die Hintergrundmusik komplett abgeschaltet. Auf Lautsprecherdurchsagen wie „Frau Meyer bitte an Kasse 4“ wird bei Quermanns grundsätzlich verzichtet – zumindest bekommen die Kunden sie nicht mit, da die Mitarbeiter Headsets tragen. Auch die Geräusche an der Kasse wurden bestmöglich heruntergefahren. Am wichtigsten für einen stillen Betrieb ist allerdings etwas anderes: Während der zwei Stunden „Silent Shopping“ räumen die Mitarbeiter im Laden keine Ware in die Regale.

Entstanden ist die Idee einer „stillen Stunde“ in einem Supermarkt am anderen Ende der Welt: In Neuseeland führte eine Filialleiterin vor drei Jahren eine „silent hour“ ein. Den Anstoß gab dort ein Mitarbeiter mit einem autistischen Kind, das unter der Reizüberflutung beim Einkaufen litt. Von Neuseeland aus verbreitete sich die Idee um den Globus. Ines Quermann erfuhr allerdings erst im Nachhinein von den Vorreitern in Neuseeland. Sie war durch eine Kundenbeschwerde auf die Idee zu der Aktion gekommen. Der Kunde habe sich online über den Lärm beschwert, der beim Einräumen der Ware entstand. Quermann trommelte ihre Markt- und Abteilungsleiter zusammen, und gemeinsam beratschlagten sie, wie man Abhilfe schaffen könnte. „Ich wollte vor allem die Warenverräumung nicht auf der Fläche haben“, sagt Ines Quermann.

Schnell war klar: An kundenstarken Samstagen oder Freitagen auf das Verräumen der Ware zu verzichten, war illusorisch. Der ohnehin ruhige Dienstagnachmittag bot sich dagegen für einen Versuch an. So entstand das „Silent Shopping“, das seit dem ersten Probelauf im Juli fest im Kalender verankert ist.

Kunden sind angetan
Die Kundschaft freut’s. Lisabeth Taylor kommt aus Bielefeld. Sie kauft häufiger bei Quermann ein und versucht, Einkäufe am Wochenende zu vermeiden. Ihr Urteil zum „Silent Shopping“ ist eindeutig: „Ich finde es jetzt sehr angenehm.“ Allerdings störe es sie auch nicht, wenn im Hintergrund Musik laufe. „Ich kann mich nicht erinnern, dass es hier besonders laut ist.“

Auch Andreas Kofski lobt die Aktion, räumt aber ein, dass ihm die Stille im Markt von selbst nicht aufgefallen sei. Der 55-jährige Bielefelder hält kurz inne und schiebt lachend hinterher: „Wenn es mir zu Hause zu laut ist, komme ich hierher.“ Dass eine Geräuschkulisse auch alles andere als störend sein kann, berichten sowohl Taylor als auch Kofski. Beide erzählen sehr angetan von der Live-Klaviermusik, die ab und zu bei Rewe Quermann zu hören ist.

Mittlerweile hätten sich die Abläufe beim „Silent Shopping“ eingeruckelt, berichtet Quermann. „Es hat sich in den letzten Wochen gut eingespielt bei den Mitarbeitern. Sie wissen: Bis 13 Uhr muss ich meine Ware reinkriegen.“ Während des „Silent Shoppings“ würden sie entweder Pausen machen oder seien anderweitig beschäftigt, etwa mit Reinigung oder Bestellungen.

Quermann will das Konzept weiterentwickeln, um für noch mehr Ruhe im Laden zu sorgen. Genauer gesagt: an der Kassenzone. Denn dort piepen die Kassen beim Einscannen der Ware weiter vor sich hin. „Ich bin mit der Rewe-Zentrale in Köln in Kontakt und lote Möglichkeiten aus, das Piepen an der Kasse ganz auszuschalten.“ Das Piepen signalisiert dem Kassierer, dass ein Artikel eingescannt wurde. „Mein Traum ist es, dass das vielleicht durch ein anderes Geräusch ersetzt wird“, sagt Quermann.

Das „Silent Shopping“ soll in jedem Fall eine dauerhafte Institution bleiben. Sie sei gerne Entwicklerin und reagiere auf starke Kritik mit Verbesserungen, sagt Quermann. Der Kunde, der mit seiner Kritik den Anstoß gab, habe aber leider noch nicht wieder von sich hören lassen.

Zur Person Ines Quermann
Ines Quermann

Ines Quermann leitet Rewe Quermann zusammen mit ihrem Mann Rainer Quermann. Der breiten Öffentlichkeit bekannt ist die gebürtige Gelsenkirchenerin aber vor allem als Schauspielerin. So spielte sie beispielsweise in den TV-Serien „Unter uns“ und „Nachtschwestern“ mit.


Stolz worauf?
„Besonders stolz bin ich auf das Vertrauen meiner Mitarbeiter zu mir. Ich habe das Gefühl und bekomme es auch zurückgemeldet, dass meine Mitarbeiter mir vertrauen und mit Sorgen, Nöten und Fragen zu mir kommen können.“

Hoffnungen?
„Für unsere Zukunft hoffe ich, dass wir die kommende Rezession heil überstehen werden und unsere Gäste durch unsere außergewöhnliche Performance weiterhin begeistern können. Wir wollen weiterhin der ‚Laden des Vertrauens‘ der Bielefelder sein.“

Handel oder TV?
„Ich habe großes Glück, dass ich mich nicht zwischen Handel und TV entscheiden muss, sondern beides machen darf. Ich möchte mich auch gar nicht entscheiden. Das Fernsehen allein würde mir nicht reichen. Der Handel als ausschließliche Lebensaufgabe wäre für mich aber auch nichts. Meine Arbeit als Künstlerin brauche ich, um mich vollständig als Mensch zu fühlen.“