Bio Company Die Software lernt vom Mitarbeiter

Künstliche Intelligenz erleichtert den Bestellprozess an der Backtheke in den Berliner Filialen der Bio-Company. Und spart Zeit und Geld. Spannend wird es bei den Retouren.

Montag, 10. Oktober 2022 - Management
Susanne Klopsch
Artikelbild Die Software lernt vom Mitarbeiter
Bildquelle: Food-Tracks

Retouren vermeiden, Bestellprozesse verbessern, optimale Warenverfügbarkeit auch später am Tage: Die Vorgaben der Bio-Company für die 51 Berliner Filialen ans Team von Food-Tracks waren klar formuliert. Das Münsteraner Start-up Food-Tracks hat sich auf Softwareentwicklungen für handwerklich arbeitende Bäckereien spezialisiert. Die Bio-Company verwendet das Tool „Bestell Tuning“. Dieses ist direkt an das Warenwirtschaftssystem angebunden. Die algorithmengestützte Software nutzt künstliche Intelligenz (KI), um einen effizienten und für die Mitarbeiter über ein Tablet leicht abzuwickelnden Bestellprozess zu schaffen.

Und das nicht nur in der Theorie, wie Boris Frank, Vorstand Einkauf und Sortiment bei der Bio-Company, betont: „Die App hat vieles vereinfacht, vor allem weil direkt über ein Tablet bestellt werden kann, das die Mitarbeiter am Backstand bedienen können. Signifikant ist, dass wir dadurch eine halbe bis Dreiviertelstunde Zeitersparnis im Bestellprozess haben, auch weil Bestellvorschläge automatisch erscheinen.“ Das Backwarensortiment in den Bio-Company-Filialen umfasst jeweils durchschnittlich rund 100 Produkte.

KI an der Theke für Brot- und Backwaren? Das klingt wesentlich weniger fremd oder gar bedrohlich, wenn man sich KI als lernende Software vorstellt: Sie greift auf die Daten vorheriger Abverkäufe zurück, erkennt wiederkehrende Muster.

In die Prognose fließen auch Wochentage und das Wetter ein. Die Software lernt im Einsatz im Verkauf an der Theke dann immer besser, welche Produkte die Filiale zu welchem Zeitpunkt am besten verkaufen kann, und macht Bestellvorschläge.

Die Daten sind das A und O für die KI. „Wir haben unser System an die Daten der Bäckereien und Backtheken angepasst und viel Liebe und Entwicklungsarbeit in eine einfache und übersichtliche Oberfläche investiert“, berichtet Dr. Tobias Pfaff, Gründer und Geschäftsführer Produktentwicklung bei Food-Tracks. Der Nutzer könne sofort erkennen, wo potenzielle Datenfehler liegen könnten – etwa wenn beim Kassieren versehentlich die Taste für den Kirsch- statt der für den gleich teuren und auch verkauften Erdbeerkuchen gedrückt werde. „Und man kann sofort sehen und verstehen, wie unsere Prognosen zustande kommen.“

Etwa 2.000 Filialen arbeiten inzwischen mit Food-Tracks-Software. Zur Entwicklung inspiriert wurde Tobias Pfaff übrigens von Bildern und Berichten von entsorgten Lebensmitteln, vor allem Bergen von Brot und Backwaren. Er wollte sein gesammeltes Wissen in Datenanalyse und Statistik für ein gesellschaftlich relevantes Thema nutzen – und machte die Vermeidung von Lebensmittelabfällen zur Herzenssache.

Bedienung ist intuitiv
Wichtig sei dem Team von Food-Tracks gewesen, „dass sich eine in Bestellplanung erfahrene Person auf der Bedienoberfläche des Programms intuitiv zurechtfindet“, sagt Pfaff.

In einer einstündigen Schulung werde das System mit den darüber hinaus wissenswerten Feinheiten vorgestellt. So könne der Vorgesetzte die Verantwortung schon nach relativ kurzer Zeit an den Mitarbeiter übergeben. „Bei erfahrenen Mitarbeitern geht die Einarbeitung zügig“, resümiert Pfaff. Während sich das Team bei der Bio-Company über den verkürzten Bestellprozess freut, sticht für Bastian Reeke von der Bäckerei Geiping ein weiterer Effekt hervor. „Die Verfügbarkeit bei den Top-Produkten hat sich verbessert, mit spürbarer Auswirkung auf die Mitarbeiterzufriedenheit“, sagt der Leiter Verkauf und Verwaltung. In Zeiten einer angespannten Personallage und erheblicher Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden, durchaus von Vorteil.

In der täglichen Arbeit sind „saubere Daten“ (Pfaff) wesentlich, also etwa korrektes Bonieren oder die genaue Bestandserfassung bei der Inventur. Doch die Software „Bestell Tuning“ lernt auch von der Thekenfachkraft, die vielleicht schon lange im Geschäft tätig ist, Umfeld und Kundschaft kennt. „Darüber hinaus gibt es lokale Ereignisse wie ein Schulfest oder Baustellen, über die die Filiale die Zentrale informieren sollte“, sagt Pfaff. Je mehr Daten die KI hat, umso besser sind die Prognosen für Menge und Sorte im Sortiment.

Retouren richtig planen
Die hohe Schule der KI ist das Thema Retouren. Gerade in Zeiten teurer Rohstoffe, hoher Energie- und Logistikkosten ein Dauerbrenner in der Branche. Tobias Pfaff: „Die Kunst ist es, Retouren an der richtigen Stelle zu reduzieren.“ „Bestell Tuning“ erkenne filialgenau, welches die wichtigsten Artikel sind, wo die Verfügbarkeit sehr wichtig und eine begrenzte Retoure akzeptabel ist.

Genauso erkenne die Software, welche Artikel weniger relevant sind und wann eine Retoure vermieden werden sollte. „Wichtig ist also, dass das Unternehmen für sich definiert, wo im Sortiment man Retouren haben möchte und wo nicht.“

Mit der „Bestell Tuning“-Software habe die Bäckerei die Zügel dann in der Hand und könne die Retoure in die gewünschte Richtung steuern. Dabei arbeite die KI dort automatisch, wo es möglich sei. „Die Software zeigt dem Nutzer dann die Fälle an, wo ein Risiko besteht, dass die KI die falschen Entscheidungen trifft. So arbeitet die KI am Ende Hand in Hand mit dem Menschen“, sagt Pfaff. Und das sei sogar wissenschaftlich belegt: Eine Studie der Universität Stuttgart und dreier Bäckereien habe gezeigt, „dass man mit unserer Software 4.000 bis 8.000 Euro Retoure pro Jahr und Filiale einsparen kann“.

Bestellen hat immer etwas von „in die Glaskugel schauen“. Mit KI ist die Glaskugel wenigstens nicht mehr aus Milchglas.

Drei Fragen an Tobias Pfaff, Geschäftsführer Food-Tracks

Ab welcher Betriebsgröße lohnt sich künstliche Intelligenz?
Tobias Pfaff:
Wir haben Kunden, die mithilfe unserer Software 4.000 Euro mehr Umsatz pro Monat und Filiale erreicht haben. Aktuell liegen unsere Mindestlizenzgebühren bei 500 Euro pro Monat, um Softwareentwicklung und Support decken zu können. Wenn man 4.000 Euro Umsatzplus mit 500 Euro Softwarelizenz vergleicht, kann es sich also schon ab einer Filiale rechnen, unsere Software einzusetzen. Unser derzeit kleinster Kunde hat vier Filialen.

Welche Investitionen kommen auf den Nutzer zu?
Unser Modul zur Bestelloptimierung kostet 40 Euro pro Filiale und Monat. Dazu kommt eine einmalige Gebühr für die Anbindung in Höhe von 1.990 Euro.

Wie hoch ist der Aufwand für das Nachrüsten technischer Schnittstellen?
Wir haben Schnittstellen zu den gängigsten Warenwirtschafts- und Kassensystemen in der Bäckerbranche. Mit der Bio-Company haben wir schon ein Unternehmen aus dem Lebensmitteleinzelhandel mit deren Warenwirtschaft angebunden. Eine komplett neue Warenwirtschaft können wir innerhalb von ein bis zwei Wochen anbinden.