Lieferdienst Knuspr „Nächstes Jahr profitabel“

Lieferdienst Knuspr ist letztes Jahr angetreten, um die „Nummer eins im E-Food-Markt“ zu werden. Warum das gelingen kann und welche Folgen das für den stationären Handel hat, zeigt ein Besuch im Lager in Mainz-Bischofsheim.

Freitag, 09. September 2022 - Management
Heidrun Mittler
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Bildquelle: Peter Montermann

Totales Chaos: Die Flasche Weißbier steht neben dem Shampoo für trockenes Haar im Regal, die Dose Mais neben dem Geschirrspülmittel. Was im Supermarkt unmöglich wäre, ist beim Online-Händler Knuspr im Industriegebiet Mainz-Bischofsheim gewollt. Hier errechnet der Computer, was wo eingelagert wird – mit dem Ziel, dass die „Picker“ die Ware möglichst schnell entnehmen können.

Picker heißen die Mitarbeiter, die Kundenbestellungen bearbeiten: Ein kleines Tablet gibt ihnen vor, in welchem Regal und auf welchem Regalbrett das Produkt steht. Nehmen (oder auf Englisch: pick), scannen und in die Transportkiste. Dann ab damit aufs Rollband, wo an einer Packstation andere Mitarbeiter die Ware in Tüten räumen und schließlich mit anderen Tüten der gleichen Bestellung „verheiraten“. Kühlpflichtige und tiefgekühlte Lebensmittel sind in einem anderen Teil des Lagers untergebracht, sie kommen erst unmittelbar zur Rampe, wenn der Auslieferungsfahrer startet. In weniger als drei Stunden kommt die Ware so zum Kunden.

Jan Gerlach, Commercial Director und damit bei Knuspr für den Einkauf zuständig, läuft gern durch den „Hub“, wie das Lager intern heißt. Menschen aus vielen Nationen arbeiten hier – in Festanstellung –, alle sprechen Englisch, der Umgangston ist entspannt. In anderen, neu gebauten Hubs jedoch braucht Knuspr kaum noch Picker – immer dann, wenn ein Lager neu gebaut wird, übernehmen Roboter weitgehend das Zusammenstellen der Ware.

Zahlenmensch Gerlach weiß: Das Geschäftsmodell funktioniert nur, wenn alle Abläufe optimiert und aufeinander abgestimmt sind. Dann kann man mit E-Food Geld verdienen. In Tschechien, wo das Mutterunternehmen Rohlik vor acht Jahren gestartet ist, befinde man sich in der Gewinnzone, ebenso in Ungarn, wo Knuspr seit drei Jahren aktiv ist. Gerlach zweifelt nicht: „In München, wo wir letztes Jahr ins Rennen gegangen sind, arbeiten wir ab nächstem Jahr profitabel.“ Das Unternehmen kenne „die Stellschrauben, an denen man drehen muss“.

Die letzte Meile ist teuer
Knuspr sieht sich auf Augenhöhe mit dem Rewe-Lieferdienst oder der Edeka-Tochter Picnic. Mit Schnell-Lieferdiensten wie Gorillas, Flink oder Wolt will Knuspr gedanklich nicht in einen Topf geworfen werden, diese arbeiten nach einem völlig anderen Geschäftsmodell. Dort sind die Anbieter „zu schnell gewachsen, man hat dabei überhaupt nicht auf Rentabilität geachtet“, ordnet Gerlach ein. Es scheint ihm unmöglich, die letzte Meile zum Kunden profitabel zu gestalten, wenn man nur Ware für den sofortigen Bedarf liefert. Anders Knuspr: „Wir sind die Alternative zum Wocheneinkauf.“ In München liegt der Durchschnittsbon bei über 80 Euro pro Bestellung.

Gerlach hat über zehn Jahre bei der Metro gearbeitet, er kennt sich also in den Sortimenten bestens aus. Er hält das Knuspr-Angebot für attraktiv, weil es die aktuellen Kundenwünsche bedient: frisch, regional, nachhaltig, oft in Bio-Qualität. Hersteller und Landwirte liefern ihre Erzeugnisse direkt ans Lager, Groß- und Zwischenhändler entfallen.

Gerade hat der Online-Händler ein Programm für kleine Landwirtschaftsbetriebe aufgesetzt, es beinhaltet einfache Verträge und ein verkürztes Zahlungsziel für die Bauern. So finden noch mehr frische Kräuter vom „Erzeuger um die Ecke“ ihren Weg auf die Homepage. Apropos neue Produkte: Der Online-Händler ist deutlich schneller bei der Listung eines neuen Artikels als der stationäre Handel. „Heute gelistet, morgen verfügbar“, erklärt der Commercial Director. Und falls das Produkt nicht läuft, ist es nach vier Wochen wieder ausgelistet.

Abschriften von 0,7 Prozent
Das Geschäftsmodell basiert nicht auf Sonderangeboten. Allerdings werden Lebensmittel im Preis reduziert, wenn der Tag des Mindesthaltbarkeitsdatums näher rückt. So verbilligt der Online-Händler zum Beispiel die Tafel Schokolade sechs Wochen vor Erreichen des MHDs um 35 Prozent. Am Tag, wo die Ware abläuft, kostet sie nur noch 15 Prozent des Originalpreises. So freuen sich einige wenige Kunden über ein Schnäppchen. Und man hält die Abschriften gering, Gerlach spricht von nur 0,7 Prozent Ware, die entsorgt werden muss.

Ein hervorragender Wert, der im Supermarkt kaum zu realisieren ist: Bei Knuspr überwacht das Computerprogramm die Preisanpassung, im stationären Geschäft muss dazu hingegen jeder Artikel einzeln angefasst werden. „Unsere Aktion ‚Rette Lebensmittel‘ macht in der Rendite einige Prozentpunkte aus“, ordnet Gerlach die automatisierte Anpassung ein.

Aktuell erreicht das Unternehmen an zwei Standorten einen Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro – in etwa so viel, wie ein guter Lebensmittelmarkt jährlich umsetzt. Der traditionelle Handel sollte sich aber nicht in Sicherheit wiegen: Der Umsatz an jedem Knuspr-Standort wächst derzeit um rasante 50 bis 100 Prozent. Hinzu kommen neue Standorte: Noch in diesem Jahr startet ein Hub in Hamburg. Weitere Städte wie Köln und Essen stehen für nächstes Jahr auf dem Plan. „Wir kommen schnell in den Bereich von einer Milliarde“, prognostiziert Gerlach. Umsatz, der den stationären Händlern an den betreffenden Standorten entgeht.

Der Online-Umsatz bei Lebensmitteln beträgt in Deutschland nach Schätzungen zurzeit ein Prozent, vielleicht etwas mehr. In anderen Konsumbranchen, wie bei Bekleidung oder Elektroartikeln, liegt der Anteil heute schon bei 30 bis 50 Prozent. Knuspr sieht noch „viel Luft nach oben“.