Die bereits schwierigen Zeiten könnten sich für den Handel zukünftig noch verschärfen. „Der russische Krieg in der Ukraine und Corona-Lockdowns in Asien stören die Lieferketten, die Inflation steigt und die Energiekosten erreichen ungeahnte Höhen“, erklärt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE). „Die Lage ist alles andere als einfach, die Zukunftsaussichten in vielerlei Hinsicht schwierig zu beurteilen.“
Eine aktuelle HDE-Umfrage unter 800 Unternehmen bestätigt die eher düsteren Perspektiven. Demnach rechnen 44 Prozent der Befragten für das Gesamtjahr 2022 mit sinkenden Umsätzen. In der Nahrungs- und Genussmittel- sowie Getränkebranche sehen es sogar zwei Drittel der Befragten so, nur ein Drittel rechnet mit wachsenden Umsätzen.
„Die steigende Inflation schmälert die Kaufkraft der Kunden massiv“, betont Stefan Genth. „Gleichzeitig geraten die Gewinne der Unternehmen durch stark steigende Kosten unter Druck.“ Insgesamt prognostiziert der HDE für 2022 ein nominales Umsatzwachstum von 3 Prozent auf 607,1 Milliarden Euro, inflationsbereinigt entspräche das einem Minus von 2 Prozent.
Die Verringerung der Gaslieferungen der russischen Regierung an Deutschland ist nach Einschätzung des HDE aktuell die gravierendste Folge des Krieges für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und bestimme maßgeblich die Konjunkturaussichten des Landes. Die Energiepreise schnellten in bisher unbekannte Höhe. Für einen modernen Supermarkt mit 1.000 Quadratmetern Verkaufsfläche seien die Stromkosten, aufs Jahr gerechnet, von 80.000 Euro auf über 140.000 Euro angesprungen, (HDE-Konjunkturbericht Juli 2022).
„In dieser Zeit der Krisen sind die hohen Energiepreise eine zusätzliche Belastung für viele Handelsunternehmen“, so Stefan Genth. „Sie verschärfen die Unsicherheit in der Branche.“ Laut einer HDE-Umfrage spüren bereits 89 Prozent der befragten Händler die Auswirkungen des Krieges in Form höherer Energie- und Lieferantenpreise.
„Wer in den vergangenen Wochen einen neuen Energievertrag abschließen musste, hat deutliche Preiserhöhungen zu verkraften“, betont Genth. Noch hätte die Hälfte der Befragten jedoch laufende Energieverträge und sei bisher nicht zu einem Wechsel von Tarif oder Anbieter gezwungen gewesen. Auf viele Händler kämen die mit einem neuen Energievertrag verbundenen Preiserhöhungen demnach also noch zu. „Sie blicken daher mit großer Sorge auf einen bevorstehenden Tarif- oder Anbieterwechsel“, erklärt Genth.
Autonome Energieversorgung
Einen Ausweg aus dieser Situation sehen Händler laut HDE-Umfrage darin, in Fotovoltaik-Anlagen sowie Energieeffizienzmaßnahmen zu investieren und Wärmeprozesse zu elektrifizieren. Doch gerade beim Fotovoltaik-Ausbau sieht der HDE dringenden Handlungsbedarf, da das Engagement vieler Handelsbetriebe in der Praxis auf unnötige bürokratische Hürden stoße. „Statt der komplexen Regelungen für Planung, Inbetriebnahme und Betrieb der Solaranlage müssen schlanke, praxisgerechte Prozesse aufgesetzt werden, um jetzt den Solarturbo zu zünden“, fordert Genth.
Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer des Mittelstandsverbunds, mahnt, dass Betriebe mit hohem Energiebedarf wie Bäckereien in ihrer Existenz gefährdet seien, wenn die Politik nicht entschlossen handle. Er fordert ein Belastungsmoratorium, um neue gesetzliche Auflagen für Unternehmen so lange nach hinten zu verschieben, wie die Frühwarnstufe Gas gelte. Dazu müsse es spürbare Entlastungen geben und die öffentliche Verwaltung durch Digitalisierung weiter verbessert werden.
Viele Handelsunternehmen setzen im Zuge von Nachhaltigkeitsprogrammen schon auf energieeffiziente Maßnahmen. Die Rewe Group etwa beteiligt sich am Windpark Borkum Riffgrund 3, der 2025 ans Netz geht. 100 Megawatt Windstrom bezieht die Kölner Handelsgruppe dann jährlich von dort und deckt so fast 20 Prozent ihres Strombedarfs in Deutschland. In den Märkten sollen die Höchsttemperatur gesenkt und im Sommer die Klimaanlagen gedrosselt werden – soweit das die Arbeitsstättenverordnung erlaubt.
Aber nicht nur Rewe will Strom sparen. „Auch wir drehen jetzt jeden Stein um, um zu sehen, wo wir noch Energie sparen können“, sagt Michael Radau, Vorstandsvorsitzender der Ladenkette Superbiomarkt.