Intelligente Einkaufswagen Smartes Shoppen

Einkaufswagen werden immer intelligenter und vernetzter. Das hat einige Vorteile – vor allem dann, wenn die neuen „Fuhrwerke“ von Praktikern aus dem Lebensmittelhandel selbst entwickelt werden.

Donnerstag, 02. Dezember 2021 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild Smartes Shoppen
Bildquelle: EXPRESSO Deutschland GmbH

Zwei junge Kerle kommen in den Supermarkt. Sie hätten da so eine Idee, sagen sie dem Chef. Den Einkauf wollten sie für die Kunden leichter machen – irgendwas, was das Anstehen an der Kasse minimiert, eingekaufte Produkte sofort erfasst und so …

An der Stelle wäre wahrscheinlich bei den meisten Supermarkt-Chefs Schluss gewesen. Zu unklar, zu viele Probleme, etwas konfus. Nicht so bei Robert Aschoff, einem technikinteressierten (technikverliebten?) Edekaner aus Kassel mit rund 2.000 m2 Markt, dessen Interesse geweckt war. Der engagierte Händler ist sich mit dem Geschäftsführer „seiner“ Edeka Hessenring (Hans-Richard Schneeweiß) nämlich einig: „Einkaufen soll so einfach wie möglich sein.“ Er kommt mit den beiden Studenten aus Kassel ins Gespräch.

Was die Jungs vorgeschlagen hatten – das war 2016 –, bedurfte einer ganzen Reihe von Tests, Kundenbefragungen, Irrwegen, Prototypen, Korrekturen und Anpassungen, bis am Ende der „Smartshopper“ stand. Im Prinzip läuft der Einkauf wie immer. Mit ein wenig Zuarbeit geht es schneller, und es gibt keine Schranken für den Kunden. Und für den Kaufmann gehört natürlich die Praxistauglichkeit dazu: Schutz vor Diebstahl und Betrug, simple Anwendung, Schnelligkeit, Fehlervermeidung, von Anfang an hohe Akzeptanz beim Kunden.

Und was kam letztlich raus? Ein Einkaufswagen mit integrierter Scan- und Wiegeeinheit. Der reduziert den Aufwand fürs Kassieren und vermindert Diebstahl und Bestandsabweichung. Für Einkaufende wird es viel einfacher und schneller. Optisch unterscheidet sich der smarte Wagen nicht von anderen. Funktional ist er auch: leise laufende Rollen, gegebenenfalls mit Magnetsperren gegen Diebstahl gesichert, 143-Liter-Gitterkorb, Ablage für Getränkekisten.

Hardware von Expresso
Das Spannende schlummert im Inneren: Im Rahmen sind drei sensorgesteuerte Wägezellen verbaut, die das Gewicht der eingelegten Waren kontrollieren. Hinter dem Griff finden Kunden ein 10,1-Zoll-Display mit kabelgebundenem Scanner. Damit wird Ware eingelesen und erscheint auf dem Display. Die Preise werden automatisch erfasst und addiert – steter Überblick über das Einkaufsvolumen garantiert.

Hinter allem steckt ein ordentliches Stück Entwicklungsarbeit, in die Robert Aschoff neben Jan Kraus und Niels Becker (die beiden „jungen Kerle“) auch seinen Sohn Max einbezogen hat. Ihnen gehört die KBST GmbH in Kaufungen bei Kassel – die Aschoffs haben eine Minderheitsbeteiligung. Das Wagengestell inklusive der Wiegeeinheit und der Wägezellen, also die Hardware, wurde komplett vom Spezialisten Expresso entwickelt. Dessen Ingenieure waren auch sehr früh in den kompletten Entwicklungsprozess eingebunden.

„Für uns war die Sicherheit ganz entscheidend“, erklärt Max Aschoff. Wie hält man die Diebstahlquote niedrig? Klar ist: Bei vergleichbaren Systemen ist Verlust stets eingepreist, da nur sporadisch kontrolliert werden kann. Leider steigt die Diebstahlquote in solchen Systemen, weil sich das unter einschlägigen „Kunden“ herumspricht. Aschoff hält ein solches System spätestens dann für gescheitert. Und hier kommt die Wiegetechnik während des Einkaufs ins Spiel. „Dafür brauchen wir höchste Fertigungspräzision, aber auch Stabilität“, sagt Aschoff.

Und die liefert die bereits genannte Firma Expresso, ebenfalls aus Kassel, Stadtteil Waldau. Die ist eigentlich auf Intralogistik und Hebewerkzeuge spezialisiert und stellt Handtransportgeräte, Hubwagen, Stapelkarren, Flurförderzeuge, Ladelifte und vieles mehr her. Auch hier kamen Aschoff, KBST und Expresso eher zufällig zusammen. Der Expresso-Geschäftsführer Dr. Alexander Bünz kaufte bei Aschoff ein, beobachtete die ersten Tests mit der Scanbox am Einkaufswagen, sprach Aschoff an und brachte sein Unternehmen und das entsprechende Know-how ein. Letztlich habe man noch einige Spezifikationen entwickelt, sagt Aschoff. So sei das System selbstlernend, was zum Beispiel bei Onpacks oder Verpackungsvarianten sinnvoll sei. Wenn ein neuer Artikel mehrmals gescannt und das Gewicht von der Waage registriert ist, akzeptiere das System das Produkt: Dahinter steht ein selbstlernender Algorithmus. Gottlob können neue Artikel auch noch per Hand eingepflegt werden.

Kunden werden zufriedener
Wie funktioniert’s nun wirklich? Der Kunde nimmt sich einen Einkaufswagen mit Scanbox und startet sofort ohne Anmeldung den Einkauf. Er scannt seine Artikel mit dem Scanner selbst, die Ware wird seiner Einkaufsliste hinzugefügt. Soll ein Artikel wieder zurück ins Regal, kann er, obwohl schon eingescannt, problemlos wieder gelöscht werden. Wenn der Einkauf abgeschlossen ist, wird das am Display durch Knopfdruck bestätigt. Bezahlt werden kann an jeder dafür eingerichteten Kasse – das kann die „normale“ Kasse mit Kassiererin genauso sein wie eine Self-Scanning-Kasse. Das Aus- und Wiedereinräumen des Einkaufswagens entfällt, Wartezeiten sind kurz, Stress wird vermieden. Ergebnis: Steigerung der Kundenzufriedenheit. Diebstahl oder Übersehen von Artikeln ist ausgeschlossen.
Wenn beispielsweise zwei Artikel aus dem Regal in den Einkaufswagen gelegt werden, aber nur einer gescannt wird, gibt es eine akustische Fehlermeldung, und über das Display wird der Kunde zur Korrektur aufgefordert. Das funktioniert auch bei gewichtsabhängigen Artikeln. Nimmt die Kundin eine SB-Verpackung mit 420 g aus dem Kühlregal und scannt diese ein, legt aber eine Packung mit 490 g in den Korb, wird das registriert, denn Scan- und Gewichtsdaten passen nicht zusammen. Erst muss das „richtige“ Produkt im Wagen liegen oder eine Korrektur durch erneutes Scannen erfolgen. Dann setzt wieder der Normalmodus ein, und der Einkauf kann fortgesetzt werden.

Alle Wagen seien per WLAN untereinander und mit dem Kassensystem verbunden. „Das System weiß, was die Kasse weiß. Und lernt selbstständig dazu.“ Der Smartshopper kann so auch an das Warenwirtschaftssystem angebunden werden.

Und es gebe noch ein paar Nebenvorteile, sagt Max Aschoff. In welchem Gang werde viel, wo weniger gekauft? Wo ist die meiste Frequenz? Wie sollten Sortimente umgestellt werden? Wie kann der Kundenlauf verbessert werden? Das seien nur einige Beispiele für die Möglichkeiten des Systems.

Durchschnittsbon höher
Aschoffs Kunden akzeptieren den neuen Einkaufswagen inzwischen, etwa 30 Prozent der Einkäufe werden mit dem Smartshopper erledigt, Tendenz steigend. Und der Durchschnittsbon ist beim Smartshopper deutlich höher als bei anderen Kunden.

Die Einkaufswagen werden übrigens mit Akku betrieben, in Aschoffs Laden sind sie von 7 bis 24 Uhr im Einsatz, dazwischen werden sie mit Ladestation an normaler Steckdose geladen. Die Wagen seien sehr wartungsarm, sagt Aschoff, das gelte für Hard- und Software. Da alle Module austauschbar seien, werde der Austausch per Post und in zentraler Werkstatt erledigt. Limitierender Faktor seien derzeit nur die fehlenden Chips aus Asien. Klauen kann die Wagen keiner, sie sind mit Magnetsperrrolle von Expresso ausrüstbar. Auch die Ortung per GPS kann eingerichtet werden.

Zwar wollen die Partner nicht groß über die Preise der Wagen reden, bei ungefähr 1.500 Euro dürfte der Wert für eine Box aber liegen. Das sei jedoch günstiger als vergleichbare Systeme. „Das amortisiert sich nach einem Jahr“, sagt Edekaner Robert Aschoff und verspricht sich einen Return on Investment in dieser Zeit.