Bundeskartellamt Neue Leitlinien

Mehr Transparenz und Spielraum für Unternehmen, die in ein Kartell verstrickt sind: Das sollen die neuen Leitlinien des Bundeskartellamtes zum Kronzeugenprogramm und zur Bußgeldzumessung bringen, wie Anwältin Dr. Daisy Walzel (Foto) im Interview erläutert.

Montag, 15. November 2021 - Management
Jens Hertling
Artikelbild Neue Leitlinien
Bildquelle: Kümmerlein

Das Bundeskartellamt hat neue Leitlinien zum Kronzeugenprogramm und zur Bußgeldzumessung verabschiedet. Was hat es damit auf sich?
Dr. Daisy Walzel:
Das Bundeskartellamt (BKartA) hat in seinen neuen Leitlinien allgemeine Verwaltungsgrundsätze über die Ausübung seines Ermessens bei der Anwendung des Kronzeugenprogramms festgelegt. Die bisherige sogenannte Bonus-Bekanntmachung Nr. 9/2006 aus dem Jahr 2006 ist zum 19. Januar dieses Jahres mit Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle aufgehoben worden. Der Gesetzgeber hat erstmalig Vorschriften zur Bonusregelung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verankert. Anders als vorher ergänzen die jetzigen Leitlinien also „nur“ die seit Januar ohnehin geltenden gesetzlichen Regelungen.

Gibt es damit nicht auch neue Leitlinien für Bußgeldvorschriften?
Weiterhin hat das BKartA vor wenigen Tagen Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren veröffentlicht. Auch diese Neuerungen sind dadurch erforderlich geworden, dass der deutsche Gesetzgeber Anfang des Jahres Einzelaspekte der Bußgeldzumessung, nämlich einen Katalog von möglichen Zumessungskriterien, nun gesetzlich geregelt hat. Der deutsche Gesetzgeber kam damit der Verpflichtung zur Umsetzung einer europäischen Richtlinie – der Richtlinie (EU) 2019/1 – nach.

Wen sollen die Leitlinien erreichen?
Die neuen Leitlinien zum Kronzeugenprogramm tragen vor allem zur besseren Verständlichkeit der gesetzlichen Regelungen bei. Sie sind auch und gerade für „juristische Laien“ gedacht, die selbstverständlich den – teils aufgrund der „Gesetzestechnik“ durchaus verwirrenden – gesetzlichen Rahmen nicht kennen, sich aber gleichwohl einen Überblick über die Voraussetzungen für die Anwendung des Kronzeugenprogramms verschaffen wollen.

Was sollen die Leitlinien bewirken?
Gerade die gesetzlichen Regelungen zur Bußgeldzumessung sind trotz der letzten Gesetzesänderungen nach wie vor wenig konkret. Die neuen Leitlinien ermöglichen demgegenüber – im Sinne eines Rechenmodells – eine vergleichsweise genaue Bestimmung eines möglichen Bußgeldes auf Basis der im Einzelfall zutreffenden Fakten, also beispielsweise der Dauer und Schwere des Kartells und der Gesamtumsätze der betreffenden Unternehmensgruppe. Sie berücksichtigen zudem stärker die bisherige gerichtliche Praxis.

Was bleibt der maßgebliche Gesichtspunkt in der Verfahrenspraxis?
Dreh- und Angelpunkt der Bestimmung des Bußgeldes ist nach wie vor der Umsatz, wobei einerseits zwischen dem Gesamtumsatz der betreffenden Unternehmensgruppe und andererseits dem sogenannten tatbezogenen Umsatz zu unterscheiden ist.

Können Sie das näher erläutern?
Der Gesamtumsatz ist stets eine wesentliche Größe für das Bußgeld: Das Bußgeld darf 10 Prozent des gruppenweiten Gesamtumsatzes als äußerste Grenze nicht überschreiten, egal wie schwerwiegend der Verstoß war. Dies ist schon seit Längerem gesetzlich vorgegeben. In der Regel liegt das verhängte Bußgeld natürlich deutlich niedriger. Insoweit kommt es wie auch bislang auf den sogenannten tatbezogenen Umsatz an, also denjenigen Umsatz, der während der Dauer des Kartells mit den kartellbefangenen Produkten oder Dienstleistungen erwirtschaftet worden ist. Das BKartA lehnt sich damit an die Bußgeldleitlinien der Europäischen Kommission an.

Wer wird davon profitieren?
Gegebenenfalls profitieren kleine Unternehmen etwas stärker von der Neuregelung als von der Vorgänger‧fassung. Das Bußgeldniveau dürfte sich jedoch nicht substanziell ändern. Dies entspricht auch der Einschätzung des Kartellamtspräsidenten, Andreas Mundt, anlässlich einer Pressemitteilung vom 11. Oktober 2021.

Außerdem soll sich die Installation von Compliance-Regeln für Unternehmen lohnen. Können Sie darauf bitte näher eingehen?
Das Bestehen eines Compliance-Systems war bislang kein relevantes Kriterium für die Bußgeldzumessung unter den Vorgängerleitlinien und/oder der gesetzlichen Ausgangslage. Ein wichtiger Grund hierfür war, dass die Berücksichtigung von Compliance-Systemen bei der Bußgeldzumessung die schwierige Frage beinhaltet, wie „gut“ („wirksam“) oder „schlecht“ („unwirksam“) ein Compliance-System tatsächlich ist. Auch dies ist mit der 10. GWB-Novelle geändert worden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen seit circa Mitte Januar 2021 vor und nach dem Kartellverstoß getroffene angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verstößen bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden.

Gibt es im Moment Fälle, wo diese neuen Leitlinien eine Rolle spielen?
Die Regelungen zur Bußgeldzumessung und das Kronzeugenprogramm sind seit circa Mitte Januar 2021 geltendes Recht. Bei Verstößen, die vor Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle beendet wurden, kann es im Einzelfall jedoch sein, dass weiterhin das alte Recht fortgilt, jedenfalls wenn es „milder“ ist als das jetzt ‧geltende Recht. Entsprechend hat das BKartA angekündigt, auch Kronzeugenanträge, die vor Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle auf der Basis der früheren Bonusregelung eingereicht wurden und noch nicht abgeschlossene Fälle betreffen, auf Grundlage einer „Günstigerprüfung“ zu behandeln.

Gibt es noch aktuelle Fälle, wo die Kronzeugenregelung zur Anwendung kommt?
Das Bundeskartellamt veröffentlicht natürlich nicht, welche Kronzeugenanträge aktuell bearbeitet werden; diese Information wird regelmäßig erst beim Verfahrensabschluss veröffentlicht. Insgesamt hat die Menge der Kronzeugenanträge in den letzten Jahren zudem stetig abgenommen. Im Jahr 2019 wurden nur 16 und im Jahr 2020 sogar nur 13 Kronzeugenanträge beim Bundeskartellamt eingereich