Recht Mindestlohn in vier Stufen

Bis zum 1. Juli 2022 soll der gesetzliche Mindestlohn auf 10,45 Euro brutto steigen – so die Empfehlung der Mindestlohnkommission. Was man als Arbeitgeber dabei beachten muss, erläutert Fachanwalt Dr. Johannes Schipp.

Sonntag, 03. Oktober 2021 - Management
Jens Hertling
Artikelbild Mindestlohn in vier Stufen
Bildquelle: Aldi Süd

Wann steigt der Mindestlohn auf zwölf Euro?
Dr. Johannes Schipp: Der letzte Vorschlag zur Erhöhung des Mindestlohns stammt vom 30.6.2020 und gilt für die Jahre 2021 und 2022. Alle zwei Jahre wird von der Mindestlohnkommission ein neuer Vorschlag unterbreitet. Der nächste Vorschlag wird im Sommer 2022 abgegeben werden. Dann lässt sich sagen, in welchen Schritten eine Steigerung des Mindestlohns angedacht ist und ob ein Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde erreicht werden soll. Aktuell gibt es lediglich politische Forderungen, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben.

Wer legt die Höhe des Mindestlohns fest?
Die Höhe des Mindestlohns kann durch die Bundesregierung per Rechtsverordnung angepasst werden. Grundlage dieser Verordnung ist dabei ein Vorschlag der Mindestlohnkommission. Die Mindestlohnkommission ist eine ständige Kommission bestehend aus neun Mitgliedern. Drei der Mitglieder sind Vertreter der Arbeitnehmer- und drei andere Vertreter der Arbeitgeberseite. Der Rest besteht aus einem Vorsitzenden und wissenschaftlichen Mitgliedern. Die Kommission prüft in einer Gesamtabwägung, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen und Beschäftigung nicht zu gefährden.

Was gilt für Branchenmindestlöhne?
Der Branchenmindestlohn gilt nur für eine bestimmte Branche. In der Regel wird dann ein Tarifvertrag ausgehandelt, der dann für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Dieser Tarifvertrag gilt dann für alle Unternehmen der entsprechenden Branche, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist oder dem Tarifvertrag zugestimmt hat. Auch hierbei handelt es sich dann um eine unterste Lohngrenze, die in dieser Branche nicht unterschritten werden darf. Zugleich muss diese branchenweite Untergrenze mindestens dem gesetzlichen Mindestlohn entsprechen. Ansonsten gilt für die Arbeitnehmer in dieser Branche auch der gesetzliche Mindestlohn als Untergrenze.

Wie ist das Verhältnis von Tariflohn zum Mindestlohn?
Nach § 3 Mindestlohngesetz ist der Mindestlohn unabdingbar. Das heißt, die jeweils geltende Höhe darf nicht, auch nicht durch abweichende Regelung in einem Tarifvertrag, unterschritten werden. Damit markiert der geltende Mindestlohn die untere Grenze einer Vergütungsregelung. Möglich ist es jedoch, dass in einem Tarifvertrag positiv abweichende, also höhere Stundenvergütungen geregelt werden. Dann gilt für die Arbeitnehmer, auf die der Tarifvertrag anwendbar ist, die für sie günstigere Regelung. Sie haben damit einen Anspruch auf den Tariflohn, sofern dieser höher ist als der Mindestlohn.

Wer profitiert vom Mindestlohn am meisten?
Am meisten profitieren die Beschäftigtengruppen, die vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns überdurchschnittlich häufig eine Vergütung unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns verdienten. Dazu zählen insbesondere Frauen, Arbeitnehmer aus den neuen Bundesländern, geringfügig Beschäftigte (sog. Minijobber), Personen ohne Berufsausbildung sowie Beschäftigte in kleineren Unternehmen.

Was haben Minijobber davon?
Auch für Beschäftigte auf 450-Euro-Basis gilt der Mindestlohn. Bei ihnen wird also die Anzahl der maximal möglichen Stunden pro Monat durch die Höhe des Mindestlohns begrenzt. Das bedeutet, dass bei einem Mindestlohn von beispielsweise zehn Euro pro Stunde im Monat maximal 45 Stunden Arbeit möglich sind. Mit jeder Steigerung des Mindestlohns reduziert sich diese maximal mögliche monatliche Stundenanzahl. Ab dem 1.7.2022 werden dann noch maximal 43,06 Stunden bei einem Stundenlohn von 10,45 Euro möglich sein. Das heißt also, dass Minijobber durch den Mindestlohn nicht insgesamt mehr verdienen können, aber sie müssen für den gleichen Verdienst weniger Stunden leisten. Arbeitgeber, die Arbeitnehmer geringfügig beschäftigen, trifft zudem gemäß § 17 MiLoG die gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung dieser Arbeitnehmer.

Was müssen Arbeitgeber beim Mindestlohn beachten?
Paragraf 3 MiLoG erklärt den Mindestlohnanspruch für zwingend und vertraglich unabdingbar. Vertragliche Ausschlussfristen erfassen den Anspruch auf den Mindestlohn daher nicht. Zu berücksichtigen ist, dass vertragliche Ausschlussfristen in vorformulierten Arbeitsverträgen, die ab dem 1.1.2015 abgeschlossen wurden, intransparent und damit insgesamt unwirksam sind, wenn der Arbeitnehmer nicht erkennen kann, dass Ansprüche auf den Mindestlohn nicht erfasst sind. Insofern ist der Vertragspraxis unbedingt anzuraten, Ansprüche aus dem MiLoG explizit auszuklammern.

Was ist außerdem wichtig zu wissen?
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Nichteinhaltung der Vorgaben des MiLoG ordnungswidrigkeits- und sogar strafrechtliche Konsequenzen haben kann. Zu berücksichtigen ist auch, dass für Minijobber eine Verdienstobergrenze von 450 Euro gilt, die im Fall einer Erhöhung des Mindestlohns bei gleichbleibender Stundenzahl gegebenenfalls mit der Folge überschritten wird, dass ein reguläres sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet wird.

Der gesetzliche Mindestlohn

Der gesetzliche Mindestlohn ist die Vergütung, die nahezu jedem Arbeitnehmer mindestens für eine Arbeitsstunde brutto zu zahlen ist. Von vereinzelten Ausnahmen abgesehen bildet der Mindestlohn somit die minimale Basis der Stundenvergütung in Deutschland. Aktuell beträgt der Mindestlohn 9,60 Euro pro Stunde. Er wird sich jedoch zum 1.1.2022 auf 9,82 Euro und ab dem 1.7.2022 auf 10,45 Euro pro Stunde erhöhen.

Bei Verstößen gegen den Mindestlohn drohen Sanktionen. Können Sie das näher erläutern?
Paragraf 21 MiLoG führt die bußgeldbewährten Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem MiLoG auf. Zentrale Norm ist der § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig den gesetzlichen Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Gemäß § 21 Abs. 2 MiLoG kann auch dann eine Ordnungswidrigkeit gegeben sein, wenn Werk- oder Dienstleistungen in erheblichem Umfang an Subunternehmer vergeben werden und der Auftraggeber weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass der Subunternehmer den Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig zahlt.

Wie teuer kann das werden?
Ordnungswidrigkeiten nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 und Abs. 2 MiLoG können mit einer Geldbuße bis zu 500.000 Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu 30.000 Euro geahndet werden. Wird der Arbeitgeber wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 21 MiLoG mit einer Geldbuße von 2.500 Euro belegt, soll er zudem für eine angemessene Zeit bis zur nachgewiesenen Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit von der Teilnahme an einem Wettbewerb um Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträge öffentlicher Auftraggeber ausgeschlossen werden. Bei Verstößen gegen das MiLoG besteht auch ein Strafbarkeitsrisiko, insbesondere im Hinblick auf § 266a StGB (Untreue).

Es gilt die Generalunternehmerhaftung: Betriebe haften auch für Subunternehmer. Können Sie das kurz erklären?
Das Mindestlohngesetz regelt in § 13 durch einen Verweis auf § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz die Haftung für die Zahlung des Mindestlohns. Danach ist auch derjenige, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, dafür haftbar, dass der Mindestlohn gezahlt wird. Damit könnte grundsätzlich ein Arbeitnehmer des beauftragten Unternehmens die Zahlung des Mindestlohns auch vom beauftragenden Unternehmen verlangen. Insoweit entsteht für das beauftragende Unternehmen ein erhöhtes Haftungsrisiko. Das Bundesarbeitsgericht hat mit einem Urteil von 2019 (BAG – 5 AZR 241/18) insoweit jedoch klargestellt, dass dieser Haftungstatbestand einschränkend auszulegen ist. Wenn eine Beauftragung eines fremden Unternehmens erfolgt, um einen betrieblichen Eigenbedarf zu befriedigen, so entsteht für das beauftragende Unternehmen keine Haftung. Dies gilt etwa für Reinigungskräfte oder Gärtner. Wird jedoch ein echter Subunternehmer beauftragt, um übernommene eigene Verpflichtungen zu erfüllen, so haftet das beauftragende Unternehmen gegenüber den Angestellten dieses Subunternehmers auch auf Zahlung des Mindestlohns.

Wer ist für die Kontrolle zuständig?
Zuständig für die Kontrolle und die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten sind – wie bereits bei den Branchenmindestlöhnen – die Behörden der Zollverwaltung.