Handelsmarken Auf dem Vormarsch?

Die Ausnahmejahre 2020 und 2021 haben eine ganz eigene Dynamik in die Relation von Hersteller- und Handelsmarken gebracht. Doch Gewinner und Verlierer lassen sich nur vorläufig ausmachen. Was bleibt, ist die Frage nach den kurzfristigen und langfristigen Folgen der Krise.

Sonntag, 12. September 2021 - Management
Stefanie Aue
Artikelbild Auf dem Vormarsch?
Bildquelle: Carsten Hoppen

Mitte 2020 wähnte eine Studie von Mintel Private-Label-Marken, zu deutsch Handelsmarken, bereits als die Gewinner der Corona-Krise. Demnach blickten die deutschen Konsumenten pessimistisch in die Zukunft und hielten daher ihr Geld eher beisammen, was Handelsmarken Aufschwung verleihen sollte, da diese im Vergleich zu Herstellermarken oft erschwinglicher seien. Dies, so erwartete das Marktforschungsunternehmen, sollte sich kurz- bis mittelfristig daher in einem erhöhten Marktanteil der Handelsmarken niederschlagen.

Dass diese Entwicklung nicht so eindeutig und unmittelbar war, wie angenommen, zeigen nun, ein Jahr später, Daten anderer Marktforschungsunternehmen. Demnach setzte sich der Negativ-Trend bei Handelsmarken im Jahr 2020 eher fort. „Grundsätzlich ist der Marktanteil der Handelsmarken in den letzten drei Jahren von 37,6 Prozent auf 35,3 Prozent gesunken“, beschreibt Prof. Dr. Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel/Food Retail an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn, die gegenwärtige Entwicklung. Damit hätten die Handelsmarken signifikant an Marktanteil gegenüber den Herstellermarken verloren, so Rüschen. Wie immer lohnt sich dabei allerdings ein Blick auf die Details: „Dieser Rückgang zeigt sich jedoch nur im Discount-Segment, nicht aber bei den Vollsortimentern. Außerdem verlieren die Preiseinstiegs-Handelsmarken, während die Mehrwert-Handelsmarken stabil bleiben“, differenziert Rüschen.
Aus dem Consumer Index der GfK vom Juni 2021 geht hervor, dass bereits eine Verschiebung von Handels- zugunsten von Herstellermarken stattgefunden hat. Schon für das Jahr 2020 sprach das Marktforschungsunternehmen vom Jahr der Herstellermarken. Im ersten Halbjahr 2021 haben demnach die Herstellermarken noch einmal sehr deutlich Marktanteile hinzugewonnen. „Damit gehen die Herstellermarken gestärkt aus der Pandemie hervor“, heißt es in dem Marktforschungsbericht. Sie hätten eine stabile Vertrauensbasis für weiteres Wachstum aufbauen können. Jedoch müsse weiterhin im Detail zwischen den unterschiedlichen Markentypen – von Funktions- bis Visionsmarke bzw. Preiseinstiegs- vs. Mehrwerthandelsmarke – unterschieden werden. Vor allem die Discounter, die ja traditionell einen größeren Anteil an Eigenmarken besitzen, müssten einen Weg finden, Marktanteile, die sie nicht nur im Jahr 2020 verloren hätten, zurückzugewinnen.
Im ersten Halbjahr 2021 sei ihnen dies noch nicht geglückt, laut GfK haben sie weiter an Boden verloren.

Da insbesondere Preiseinstiegs-Eigenmarken an Marktanteil eingebüßt haben, scheint eine Ausdifferenzierung in unterschiedliche Markentypen für Händler ein klarer Vorteil zu sein. „Händler versuchen, mit zunehmender Differenzierung ihrer Eigenmarken die gesamte Bandbreite der vielfältigen Kundenbedürfnisse mit Eigenmarken abzudecken“, erklärt Prof. Dr. Stephan Rüschen. „Neben den schon seit Langem existierenden Eigenmarken im Preiseinstieg, klassischen Eigenmarken, Premium und Bio können wir eine zunehmende Differenzierung der Eigenmarken auch in kleinere und neue Segmente feststellen, zum Beispiel auch bei Veggie, To-go, Laktosefrei und Regional“, so Rüschen.

Innovationsdruck
Auf der anderen Seite der Skala freuen sich die Hersteller über die Zuwendung der Verbraucher. „Insbesondere im Corona-Zeitraum beobachten wir eine steigende Bedeutung der Marke“, bestätigt Hans-Wilhelm Beckmann, Sprecher der Geschäftsleitung von Dr. Oetker Deutschland, die Marktforschungsergebnisse der GfK. Attraktive und innovative Produkte mit einer verlässlichen Qualität seien der Schlüssel zum Erfolg. Dazu stecke das Unternehmen unter anderem einen großen Aufwand in die Qualitätssicherung, aber auch in die Marktforschung sowie in die Entwicklung seiner Produkte. „Wir beobachten kontinuierlich aktuelle Trends und stehen mit Verbrauchern im direkten Austausch. Das Resultat sind ständige Neuheiten sowie eine große Produktauswahl für verschiedenste Verzehranlässe und Gelegenheiten“, so Beckmann.

Dennoch ist die Stärkung der Handelsmarken vonseiten der Händler auch für das Bielefelder Traditionsunternehmen präsent. „Die Forcierung und das vielfältige Angebot an Handelsmarken seitens der verschiedenen Händler verfolgen wir natürlich aufmerksam“, sagt Beckmann. Ebenso beobachte das Unternehmen die Entwicklung, dass sich viele Händler mit ihren Handelsmarken als „Marke“ positionieren und von Konsumenten auch zunehmend als solche wahrgenommen würden.

„Eine strikte Trennung zwischen Handels- und Herstellermarken wird es zukünftig vermutlich nicht mehr geben“, so Beckmanns Einschätzung.

Doppelgleisige Strategie
Neben Markenprodukten produzieren viele Hersteller schon lange parallel auch Eigenmarken für den Handel. „Dies ist für die Kapazitätsauslastung der Produktion hilfreich, häufig sogar notwendig“, erläutert Stephan Rüschen das Vorgehen. So auch das Familienunternehmen Bahlsen aus Hannover. Der Gebäck-spezialist produziert sowohl Traditions- als auch Handelsmarken. „Im Vergleich zu Handelsmarken erweisen sich Herstellermarken – sobald einmal etabliert – tendenziell als robuster und weniger anfällig für Marktvolatilitäten“, erklärt Sebastian Biedermann, Manager Group Communications bei Bahlsen.

„Herstellermarken verfügen in der Regel über eine ganz andere Positionierung und schaffen eine emotionale Bindung zu Konsumenten, die über funktionale Faktoren wie den Preis und die Verfügbarkeit hinausgeht.“

Für Konsumgüterhersteller könne es deshalb von Vorteil sein, auf beiden Beinen zu stehen. „Als Unternehmen mit starken Traditionsmarken und Handelsmarkengeschäft sehen wir die Entwicklungen rund um das Private-Label-Geschäft gelassen“, so Biedermann.

Qualität und Transparenz
Bei der Weiterentwicklung der Kernmarken fokussiere sich das Unternehmen neben Qualität zunehmend auf Fragestellungen in den Bereichen Nachhaltigkeit und Innovation. Generell steigen laut dem Bahlsen-Experten die Ansprüche der Kunden an die Produktqualität und Nachhaltigkeit.

Bisher traf die Prognose von Mintel, Handelsmarken würden an Marktanteil gewinnen, also noch nicht zu. Und Unternehmen, die ihre Standbeine sowohl im Hersteller- als auch im Handelsmarkengeschäft aufgebaut haben, können die Marktdynamik entspannt beobachten. Wie aber geht es in Zukunft weiter? Und welche längerfristigen Auswirkungen der Krise werden wir in den kommenden Monaten sehen?

Wie Prof. Dr. Martin Fassnacht, Direktor des Lehrstuhls für Strategie und Marketing an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf, im LP-Interview auf Seite 35 betont, haben sich die Verbraucher in den vergangenen Monaten eher verwöhnt. Das würde auch den Verlust des Marktanteils der Discounter, die Abnahme im Bereich der Preiseinstiegs-Handelsmarken und die Stabilität der Premium-Handelsmarken erklären. Bis heute scheinen die Portemonnaies der Konsumenten also noch gut gefüllt und der Wunsch, sich gerade in schwierigen Zeiten etwas Gutes zu tun, sehr ausgeprägt zu sein.

Folgen noch nicht absehbar
Dennoch sprechen einige Anzeichen dafür, dass die Verbraucher ihr Geld zukünftig eher beisammenhalten werden. Je mehr sich die ökonomischen Folgen der Corona-Krise abzeichnen werden, desto mehr werden die Konsumenten versuchen, qualitativ hochwertige Produkte für das ihnen zur Verfügung stehende Geld zu bekommen. Finanzielle Unsicherheit aufgrund von Arbeitsplatzverlust und anhaltender Kurzarbeit wird die Verbraucher wieder mehr auf den Preis schauen lassen, was die Händler dazu bewegen wird, ihren Anteil an Eigenmarken auszubauen, so Mintel. Insbesondere hat sich das Bewusstsein der Verbraucher für die Herkunft der Produkte, Gesundheit und Sicherheit in der Krise verstärkt.

Damit gewinnen gerade regionale Eigenmarken, Transparenz und Qualität an Bedeutung. Mintel empfiehlt daher, dass sich Einzelhändler stärker auf die Kommunikation der Herkunft ihrer Produkte konzentrieren sollten, zum Beispiel durch ausgewählte Partnerschaften mit lokalen Produzenten oder durch Werbung, welche die deutsche Herkunft à la „made in Germany“ herausstellt.

Mehr als nur Nachahmer
Darüber hinaus geht aus der Mintel-Studie hervor, dass 69 Prozent der Verbraucher der Meinung sind, dass sich das Handelsmarken-Sortiment in den letzten Jahren verbessert habe. Gleichzeitig gehen mit der verstärkten Anerkennung der Handelsmarken jedoch auch höhere Erwartungen einher, was dazu führt, dass die Verbraucher vom Handel in Zukunft weit mehr als nur kostengünstige Nachahmerprodukte erwarten. Vor allem Premium-Handelsmarken bieten Konsumenten daher die Möglichkeit, Wert und Qualität der Produkte bestmöglich zu vereinen, gerade auch im Vergleich zu Herstellermarken. „Das Premium-Handelsmarken-Sortiment wird ein wichtiger Schwerpunkt sein und den Händlern daher viele Möglichkeiten für Innovationen bieten“, so die Mintel-Studie.