Tierwohl Damit sich Schwein & Co pudelwohl fühlen

Den Deutschen ist nicht nur wichtig, was sie essen. Sie wollen auch wissen, wie die Lebensmittel produziert werden. Besonders am Herzen liegt den Menschen dabei das Tierwohl. Noch selten beeinflusst diese Herzensangelegenheit allerdings auch das Kaufverhalten.

Mittwoch, 19. Februar 2020 - Management
Friederike Stahmann
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Bildquelle: Armin Weigel

Schauplatz Berlin im Rahmen der Grüne Woche 2020: NGOs und Bauern demonstrierten Seit an Seit. Alte Feindbilder scheinen wie weggeblasen. Wenn es um ein- und dasselbe Ziel geht – mehr Tierwohl in heimischen Ställen –, werden Kontrahenten zu Verbündeten. Das Gros der Landwirte ist wie Tierschützer tieraffin – Landwirte zugegebener Weise mit der Prämisse, gleichzeitig damit wirtschaftlich erfolgreich zu sein (sie wollen und müssen davon leben). Und sind damit scheinbar nicht allein, sondern mit einem Großteil der Bevölkerung im Background. In einer eben durchgeführten, repräsentativen Umfrage der Meinungsforscher von Kantar Emnid im Auftrag von Greenpeace sprechen sich 85 Prozent für eine Steuer oder Abgabe auf Fleisch und Wurst aus. Und zwar, um es damit den Tieren in den deutschen Ställen angenehmer zu machen. Landwirte, Tierschützer und Verbraucher sagen „ja“ zu einer tierfreundlicheren Haltung von Huhn, Schwein, Rind und Pute.

Ein Mehr, das kostet
Das Thema der Verantwortung gegenüber der Umwelt nimmt in unserer Gesellschaft immer mehr an Fahrt auf. Egal ob es sich um fair hergestellte Textilien, die Inhaltsstoffe von Kosmetika oder um die umweltfreundliche Herstellung von Lebensmitteln handelt – Konsumenten legen einen immer größeren Wert auf Nachhaltigkeit. Eine Botschaft, die auch im LEH angekommen ist. Der reagiert mit einer Erweiterung des Sortiments um nachhaltige Produkte und kommuniziert dies auch ganz aktiv. Neben Labels der ökologischen Anbauverbände, wie Bioland oder Demeter, stehen dafür mehrere privat organisierte Tierwohl-Kennzeichnungen zur Verfügung.

Mehr Platz pro Tier im Stall, Bewegung an frischer Luft, offene Tränkebecken, Kastration unter Betäubung, Beschäftigungsmöglichkeiten – das alles kostet. Dass hohe Standards in der der Produktion auch ihren Preis haben, sei den Kunden bewusst. So jedenfalls nachzulesen im Ernährungsreport 2019 des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Die Hälfte der dafür von Forsa befragten Bundesbürger wäre demnach bereit, bis zu fünf Euro pro Kilogramm Fleisch mehr zu bezahlen, wenn es besonders tierfreundlich produziert werden würde.

Moral endet am Geldbeutel
Zwischen Moral und Marktverhalten klafft aber offenbar eine Lücke. Ansonsten müsste ja schon die Hälfte der verkauften tierischen Waren aus Tierwohlställen – die Forsa-Befragung zugrunde gelegt – stammen. „In der Realität spüren wir eine andere Entwicklung. Wir bemerken, dass die Kunden in der Regel eher zu Fleisch von konventionell gehaltenen Tieren greifen“, heißt es bei Aldi Süd, wie über dpa vermeldet wird.

Also alles nur Lippenbekenntnisse? Wissenschaftler der Hochschule Osnabrück sind genau dieser Frage auf den Grund gegangen. In insgesamt 18 Märkten der Edeka-Gruppe, jeweils zur Hälfte Edeka-Märkte zur anderen Hälfte NP-Discounter, konnten Kunden drei Monate (Oktober bis Dezember 2018) lang Bratwurst, Minutensteaks und Gulasch aus Schweinefleisch parallel in drei Versionen kaufen: in der „Gut und Günstig“ ohne Tierwohl-Anspruch, als teures Bio-Fleisch sowie als neu eingeführtes Tierwohl-Produkt im mittleren Preissegment.

Das Ergebnis des Tests überraschte die Forscher. Nur rund 16 Prozent der Kunden griff tatsächlich zu den Tierwohl-Artikeln. Elf Prozent kauften die Bio-Produkte. Doch fast drei Viertel der Kunden bevorzugten das Billigangebot. Daran änderten auch große Hinweisschilder, die auf das Tierwohlangebot hinwiesen, nichts. Mehr noch: Die Kunden akzeptieren lediglich Preisaufschläge von etwa 30 Cent für einen mittelpreisigen Schweinefleisch-Artikel, der nach Tierwohl-Standards produziert wurde (das entspricht einem Plus von 9 bis 13 Prozent). Bei merklich höheren Preisaufschlägen gingen die Absätze deutlich zurück.

Eine gleichzeitig im Kassenbereich durchgeführten Face-to-Face-Befragung offenbarte die Diskrepanz zwischen Moral und Marktverhalten. Als wichtigstes Kriterium beim Fleischeinkauf nennen die Kunden mit 96 Prozent Frische, gefolgt von 91 Prozent für gutes Aussehen. Erst an dritter Stelle rangiert das Kriterium „artgerechte Tierhaltung“.

Tierwohl: bei Gulasch ja, bei Bratwurst nicht unbedingt
Zwischen Umfragen, in denen sich die deutschen Verbraucher als Tierschützer sehen, und der Realität des Kaufverhaltens scheinen Welten zu liegen. Prof. Enneking, Initiator der Studie, fasst es so zusammen: „Die grundsätzliche Bereitschaft, im Test mehr Geld für solches Fleisch auszugeben, ist nur bedingt ausgeprägt.“

Wenn ein Wissenschaftler „grundsätzlich“ sagt, zeigt er, dass es auch Zwischentöne gibt. So zeigt ein Blick in die Details der Ergebnisse, dass beispielsweise bei Gulasch eher zu Tierwohlware gegriffen wird als bei Bratwurst (Stichwort: höherwertige Produktgruppen). Auch Kunden in kaufkräftigeren Regionen sind tierwohlaffiner. Und – wen wundert´s – das Thema Tierwohl funktioniert in E-Centern besser als in Discountern.

Sind Versuche, die Lebensbedingungen für Nutztiere mit Hilfe von Tierwohllabeln zu verbessern, also zum Scheitern verurteilt? Nicht unbedingt, glaubt Enneking. „Die Zahl der Verbraucher, die tatsächlich Tierwohl-Produkte kaufen, kann in den nächsten Jahren sicher noch deutlich gesteigert werden“, meint er. Heute entschieden sich rund 25 Prozent der Verbraucher für Tierwohl- oder Bio-Produkte. „Es ist wahrscheinlich möglich, diese Zahl auf 40 bis 50 Prozent zu steigern. Darüber hinauszukommen dürfte aber schwer werden.“

Dreh- und Angelpunkt für die Akzeptanz von Tierwohllabels ist – neben dem Preis – Glaubwürdigkeit. Für Konsumenten ist dies selbst nicht verifizierbar. War die Kuh glücklich, als sie die Milch für die Tüte gab? Stammt das Frühstücksei von einer Henne, deren Bruder nicht als Eintagsküken geschreddert wurde? Tierwohl basiert auf Vertrauen und Fakten. Forscher der Uni Göttingen fanden heraus, dass der Wunsch nach mehr Informationen hoch korreliert ist mit der Zustimmung zu der Aussage „Ich bin bereit mehr Geld für Fleisch zu bezahlen, wenn ich sicher wäre, dass die Haltungsbedingungen für die Tiere wirklich besser sind.“

Verzerrte Wirklichkeit
Nutztiere sind heute in der Welt vielen Menschen kaum noch präsent. Seit den 1970er-Jahren haben immer weniger Verbraucher direkte Berührung mit der Landwirtschaft. Medial aufbereitet, flattern Negativbilder über den Äther, wie beispielsweise gequälte Milchkühe im Allgäu oder schwer verletzte Schweine in engen Boxen im Münsterland.

Gleichzeitig ist die Landwirtschaft zu einer Projektionsfläche der Antimoderne geworden. Siehe: die RTL-Sendung „Bauer sucht Frau“. Viele Verbraucher nehmen es Bauern übel, wenn sie technisch innovativ, effizient und standardisiert arbeiten. „Die Deutschen lieben Landwirtschaft, wenn sie klein und kuschelig ist“, bringt es der Tierethiker Prof. Kunzmann von der TU Hannover in einem Interview auf den Punkt.
Wie muss aber Landwirtschaft funktionieren, damit sich Tiere wohlfühlen? Klein und kuschelig? Nicht unbedingt. Denn: „Du kannst auch zehn Kühe scheiße halten“, wie es der Grünen-Politiker und ehemalige Landwirtschaftsminister Robert Habeck einmal ausdrückte.

Wann fühlt sich also ein Tier wohl? Direkt erfragen lässt sich das nicht. Dazu braucht man Hilfsmittel, sogenannte Tierwohlindikatoren. Die basieren auf drei Punkten: der Gesundheit der Tiere, ihr Wohlbefinden sowie die Möglichkeit, ihren natürlichen Verhaltensweisen nachzugehen. Ob eine Tierhaltung tiergerecht ist, lässt sich mit Hilfe der Indikatoren messen. Ganz konkret: wie viel Platz hat jedes Tier? Wie und oft kann das Tier Wasser trinken? Also ressourcenbezogene Daten. Daneben lässt sich das Management des Betriebes überprüfen. Wieder ganz konkret: Wie oft werden die Klauen gepflegt? Wie wird enthornt? Was und wie wird gefüttert? Wie sieht das Handling aus? Der dritte Indikatorenblock, das Animal-Welfare-Protocol, beleuchtet tierbezogene Kriterien. Wieder ganz konkret: Wer lahmt wie schlimm? Wer ist wie stark verschmutzt? Kann sich eine Kuh frei bewegen, ein Schwein suhlen, ein Huhn scharren?

Summa sumarum ein ganzes Bündel von Mess- und Kontrollmöglichkeiten. Auf Basis der Ergebnisse lässt sich Haltung tiergerechter gestalten. Teilweise sogar preisgekrönt (Bayerischer Tierwohlpreis 2019), wie der Schweinemaststall von Familie Naß aus dem Landkreis Donau-Ries. Die Buchen für ihre Schweine sind in drei Zonen unterteilt und mit Stroh eingestreut. Im Außenbereich gibt es eine Aktivitäts- und Auslauffläche, die mehrfach täglich gereinigt wird. Im Sommer macht eine Wassersprühanlage den Tieren die Temperaturen erträglich. Da fühlt sich die Sau wohl.

Zuerst war das Huhn...
Weil so viele Faktoren vonnöten sind, damit sich ein Tier wohlfühlt, ist es schwierig, dem Verbraucher mit einem einfach gestrickten Label, das nur wenige Kriterien impliziert, glaubhaft zu machen, dass sich der Lebensmittellieferant bei der Erzeugung seines Produktes wohl gefühlt hat. Aber besser nur wenige Kriterien als keine. Einen Schritt in diese Richtung macht beispielsweise die Molkerei Hochland. Seit Herbst 2019 wird der Käse „Grünländer“ ausschließlich aus Milch von Kühen hergestellt, die in Laufställen gehalten werden, also in Ställen, in denen sie sich jederzeit an 365 Tagen im Jahr frei bewegen können.
Im Falle von Eiern aus Käfighaltung führte die Kennzeichnung binnen kurzer Zeit zum gesetzlichen Aus für diese Haltungsform. Der überwiegende Teil der deutschen Hühner kann sich heute freibewegen, scharren und ihre Eier in Nester legen.