Künstliche Intelligenz Besser als ein Mensch?

Kann Künstliche Intelligenz das Category Management übernehmen? Preise, Sortimente und Werbung werden künftig von der KI gesteuert, schreibt Prof. Dr. Stephan Rüschen in seinem Gastbeitrag.

Dienstag, 12. Februar 2019 - Management
Prof. Dr. Stephan Rüschen
Artikelbild Besser als ein Mensch?
Bildquelle: privat

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Die Anwendungsmöglichkeiten scheinen unbegrenzt: in der Logistik, im Personalbereich, im Social Media und anderen Bereichen sollen Algorithmen die Steuerung eines Handelsunternehmens revolutionieren. KI wird auch vor Category Management, Sortiments- und Preisfindung sowie Werbung nicht Halt machen. Der E-Commerce stellt den stationären Handel vor große Herausforderungen und somit vor die Notwendigkeit, die Marketinginstrumente Sortiment, Preis und Werbung noch gezielter einzusetzen. Zum einen verlagern Kunden Einkäufe zum E-Commerce (Anteil über zehn Prozent), zum anderen verändern sich so die Ansprüche an den stationären Handel. Kunden können im E-Commerce ein unbegrenztes Sortiment („alles“), zu jeder Zeit („sofort“) und an jedem Ort über das Smartphone („überall“) erwerben. Außerdem sind die Angebote häufig personalisiert („ich“) und zugeschnitten auf den Kunden.

Wunderwaffe für stationären Handel?
Über Preise, Sortimente und Werbung entscheiden im stationären Handel (noch) Menschen. Der einzelne Category Manager ist standortübergreifend für alle Kunden des Händlers in seiner Category verantwortlich. Hieraus resultiert eine Komplexität (Vielzahl an Filialen und Artikel, viele Zielgruppen), die ein Mensch nur mit Vereinfachungsstrategien bewältigen kann, zum Beispiel:

  • Sortimentsbildung, die an regionalen Größenclustern orientiert ist
  • Preisdifferenzierungen lediglich auf Basis von wenigen Preisclustern (sogenannten Preisschienen)
  • Massenhandzettel-Werbung mit geringer regionaler Differenzierung und ohne Zielgruppendifferenzierung.

KI kann komplexe Zusammenhänge in Sekundenschnelle erfassen und (zumindest) auf Basis historischer Daten optimalere Entscheidungen treffen als ein Category Manager, der Vereinfachungsstrategien anwenden muss. Wenn es darum geht, mehrere Regeln zu beachten und eine Vielzahl an Informationen für eine optimale Entscheidung zu berücksichtigen, ist die KI dem Menschen überlegen – besonders, wenn es darum geht, die Konsequenzen oder Wirkung einer Entscheidung zu messen und daraus für zukünftige Entscheidungen zu lernen.

Hinzu kommt, dass die künstliche Intelligenz nicht nur das „Ist“ auf Basis historischer Daten optimieren kann. Durch „Predictive Analysis“ können zunehmend bessere Voraussagen über die Zukunft getroffen werden, als sie vom Menschen möglich wären. Hierfür werden zum Beispiel Analogien zu anderen Sortiments- und Preisentscheidungen genutzt.

KI entscheidet künftig über Preise
Die Preispolitik hat einen entscheidenden und direkten Einfluss auf den Gewinn eines Händlers. Bei einer Rendite von zwei Prozent (Umsatzrendite) würde sich der Gewinn um 50 Prozent (auf drei Prozent Umsatzrendite) erhöhen, wenn es mittels einer intelligenteren Preispolitik gelingen würde, ein nur um ein Prozent höheres Preisniveau durchzusetzen. Der Kunde zahlt in diesem Beispiel für einen Warenkorb statt 20 Euro dann 20,20 Euro (netto). Aufgrund der geringen Preiskenntnis der Kunden erscheint dies nicht unrealistisch.

KI kann die Preiselastizitäten (also die Absatzveränderung aufgrund einer Preisänderung) und insbesondere die Kreuzpreiselastizitäten eines Produktes (Absatzveränderung bei Produkt A aufgrund einer Preisveränderung bei Produkt B) in die Preisentscheidung miteinbeziehen. Die Auswirkungen einer Preisveränderung können auf Standortebene und auf Kundenebene unterschiedlich sein. Daher kann es für einen Händler wirtschaftlich sinnvoll sein, Preise standortgenau und zum Teil auch kundenspezifisch zu setzen. Der Preispunkt kann für die individuellen Preisbereitschaften der Kunden optimiert werden. Die Rentabilität des Händlers würde somit signifikant steigen. Variiert der Händler die Preise außerdem noch in der zeitlichen Dimension, so werden alle Parameter eines Dynamic Pricings genutzt.

Diese Preisvariationen werden im E-Commerce längst genutzt. Viele Händler halten dies jedoch im stationären Handel für nicht umsetzbar. Dabei unterstützen Electronic Shelf Labeling (ESL) und Apps mit kundenindividuellen Rabattsystemen heute bereits die effiziente Umsetzung einer KI-gesteuerten Preispolitik.

Sechs Prozent des Umsatzes stünde dem Händler zur Verfügung, wenn er auf Handzettelwerbung verzichten würde.

Sortimentsgestaltung durch KI
Die Kundenbedürfnisse werden zunehmend differenzierter: Regional, Bio, Glutenfrei, Laktosefrei, Convenience, Superfoods, Functional Food, Trusted Food et cetera. Ein simpler Sortimentsaufbau auf Basis des Preisniveaus (niedrig/mittel/hoch) kann schon lange nicht mehr den heutigen Kundenerwartungen gerecht werden.

Die Relevanz der genannten Trends kann sich von Standort zu Standort signifikant unterscheiden, da die Kunden- und Wettbewerbsstruktur eine andere ist. Auch diese Komplexität kann der Category Manager nicht mehr bewältigen. KI könnte standortgenau das optimale Sortiment ermitteln. Regelmäßigere Optimierungszyklen ermöglichen die zeitnahe Anpassung von sich ändernden Kundenbedürfnissen. Eine „maschinelle“ Sortimentsfindung ist standortgenau und nicht mehr nur auf Basis von regionalen Größenclustern.

Das Ende der Handzettel-Werbung?
Handzettel-Werbung ist ein Instrument des Massenmarketings. Es werden einheitliche Handzettel für alle Kunden erstellt. Die Relevanz für den einzelnen Kunden kann ein Category Manager nicht ermitteln. Diese Aufgabe können nur Algorithmen der KI erfüllen, etwa mittels personalisierter Angebote über Apps. Ziel muss es letztendlich sein, in der Zukunft komplett auf die Massenhandzettel-Werbung zu verzichten und den Kunden nur noch über personalisierte, relevante Promotions in den stationären Laden zu „locken“. Wenn der Händler auf die Handzettelwerbung verzichten würde, stände ein Budget von ca. sechs Prozent des Umsatzes zur Verfügung. Denn zum einen spart der Händler die direkten Kosten für die Handzettelproduktion und -verteilung in Höhe von circa ein Prozent und zum anderen werden durch Handzettel-Promotions circa fünf Prozent in die Marge investiert. Dieses Budget kann durch personalisierte Promotions gezielter eingesetzt werden, um die bisherige Lockvogelfunktion des Handzettels zu übernehmen.

Ist die KI eine Gefahr? Nein, denn KI ermöglicht es dem stationären Händler, im Wettbewerb mit dem E-Commerce bestehen zu können. Das Ergebnis sind zufriedenere Kunden und ein profitablerer Einsatz des Marketing-Mix für den Händler.

Zur Person

Stephan Rüschen ist Professor für Lebensmittelhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn.