Nanotechnologie in der Lebensmittelbranche scheidet die Geister. Befürworter verweisen auf die längere Haltbarkeit, die Lebensmittel bekommen könnten, darauf, dass ungesunde Lebensmittel weniger ungesund sein könnten, wenn ihnen beispielsweise Nährstoffe zugesetzt oder die Bioverfügbarkeit wichtiger Inhaltsstoffe erhöht werden könnte. Und mit Nanopartikeln ausgerüstete Verpackungen können Ressourcen sparen. Kritiker prangern an, dass die verwendeten Stoffe im Verdacht stehen, Nervenschäden oder Zellschäden zu verursachen. Fundierte Informationen sind spärlich, die Diskussion um ein Für und Wider trotzdem nahezu unüberschaubar – aus mehreren Gründen. Einer ist, dass keine Einigkeit darüber herrscht, was eigentlich Nano ist. Ein Beispiel hierfür: Die Lebensmittelindustrie hat den Marktwert der kleinen Teile schon vor Jahren erkannt. So wird amorphes Siliziumdioxid, auch bekannt unter der Bezeichnung E551, seit ungefähr 30 Jahren als Trennmittel eingesetzt. Siliziumdioxid ist das Mineral, aus dem Quarzsand besteht. Es wird beispielsweise gemahlenen Gewürzen und rieselfähigem Salz zugegeben und verhindert, dass die Körnchen durch Feuchtigkeit Klumpen bilden. Auch die Fließfähigkeit von Ketchup wird durch Siliziumdioxid beeinflusst; er wird dickflüssiger.
Risiken noch ungeklärt
Siliziumdioxid wurde toxikologisch untersucht und gilt als unbedenklich. Doch fällt dieser Stoff in den „Nano"-Bereich? „Ja", sagen die einen, denn die Ausgangsteilchen haben Nanogröße. „Nein", sagen die anderen, denn während des Herstellungsverfahrens entstehen zwar Partikel in Nanogröße, die jedoch im weiteren Verlauf agglomerieren, also zu größeren Partikeln „verklumpen". Siliziumdioxid könne daher nicht den Nanopartikeln zugerechnet werden. Ein anderer Grund dafür, dass es die Debatte über die kleinen Teilchen gibt, ist, dass die Chancen zwar hervorgehoben werden, aber mögliche Risiken für Mensch und Umwelt noch längst nicht geklärt sind.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat vor zwei Jahren ein Gutachten zu Nanotechnologie in Lebensmitteln veröffentlicht. Das Ergebnis: Ob Nanomaterialien eine Gesundheitsgefahr für den Menschen darstellen können, lässt sich nicht eindeutig sagen, Prüfmethoden müssen erst noch entwickelt werden. Daran hat sich bis heute nichts geändert, und die Datenarmut zu den Nanoteilchen verunsichert Konsumenten, Handel und Behörden gleichermaßen. Mediale Szenarien, die in das Reich der Fantasie gehören, tragen zu noch mehr Konfusion bei: Vor einiger Zeit machten Medienmeldungen die Runde, nach denen der Süßwarenhersteller Mars Schokoriegel mit nanoskaligem Titandioxid überzöge, um sie so vor dem sichtbaren Verfall zu bewahren. Der setzt bei Schokolade ein, wenn sie Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist. Das Fett aus der Kakaobutter wandert dann an die Oberfläche und kristallisiert. Licht wird durch diese Kristallschicht aber anders reflektiert, die Schokolade erscheint weiß bis grau. Eine wenige Nanometer dicke Schicht Titandioxid über der Schokolade, die geschmacksneutral ist, soll die Süßigkeit lange ansehnlich erhalten, auch wenn sie einige Zeit offen und unverpackt herumliegt. Das habe sich Mars sogar patentieren lassen. Das kann in der Tat sein, heißt aber nicht, dass es entsprechende Produkte auch im Handel gibt. „Jede Aussage, die den irreführenden Eindruck erweckt, dass in Lebensmitteln gegenwärtig Nanotechnologie angewandt wird oder dass es gar konkrete Produkte wie ‚Schokoriegel mit Nanoteilchen' auf dem Markt gibt, ist falsch. Für derartige neue Lebensmittel besteht sogar ein gesetzlicher Erlaubnisvorbehalt", heißt es beim Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Und eine solche Erlaubnis gibt es für Schokoriegel nicht. Nicht mal Zulassungsanträge für nanotechnologisch veränderte Lebensmittel sind derzeit bekannt.
Neben Siliziumdioxid werden auch andere Stoffe in Nanogröße bereits seit Langem Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln beigesetzt. Carotinoide beispielsweise. Sie haben im Körper die Funktion von Antioxidantien, sollen vielen Erkrankungen vorbeugen. Da Carotinoide jedoch in Wasser unlöslich, empfindlich gegenüber Licht und Oxidation und zudem schlecht resorbierbar sind, werden sie auf Nanogröße verkleinert, wodurch sie besser vom Körper aufgenommen werden können. In Mikrokapseln aus Gelatine, Stärke, Zucker oder Zuckerersatzstoffen eingeschlossen, setzt man sie Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln zu. Carotinoide – bekanntestes Beispiel ist das Beta-Carotin – sind auch in vielen Lebensmitteln wie Butter, Margarinen, Süßwaren, Molkereiprodukten und Limonaden teilweise in sehr hohen Mengen als Farbstoff zu finden. Sie gelten ebenfalls als gesundheitlich unbedenklich.
Dann gibt es noch die Mizellen, das sind Kugeln mit einem Durchmesser von 5 bis 100 Nanometer. Mizellen werden als Nanokapseln für den Nährstoff Q10, Antioxidantien, Vitamine, Omega-3-Fettsäuren, ätherische Öle oder bioaktive Substanzen eingesetzt. Die Kapseln können so beschaffen sein, dass sie sich im Körper unter bestimmten Bedingungen öffnen, beispielsweise erst in bestimmten Teilen des Verdauungstraktes, sodass die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe gezielter eingesetzt werden können. Oder aber sie können den schlechten Geschmack eines an sich wertvollen Inhaltsstoffes binden, beispielsweise den von Fischölen.
Ist die Diskussion um die funktionellen Winzlinge also nur viel Lärm um nichts? Martin Möller vom Öko-Institut sieht die Debatte um die kleinen Teilchen eher gelassen: „Was bislang auf dem Markt ist, ist nicht der große Aufreger und schon gar kein Grund für eine Diskussion solchen Ausmaßes. Nanotechnologie in Lebensmitteln hat keine große Perspektive", sagt Möller. Beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht man dies ähnlich, ebenso beim Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). „Der Einsatz von Nanomaterialien in Lebensmitteln spielt eine marginale Rolle, denn alle Produkte sind vollumfänglich zulassungspflichtig", sagt Sieglinde Stähle vom BLL. Denn werden Stoffe auf Nanogröße verkleinert, gelten sie aufgrund ihrer veränderten Eigenschaften als neuartiges Material und werden von der Gesetzgebung entsprechend behandelt: Eine Zulassung von Nanomaterialien als Lebensmittelzusatzstoff ist gesetzlich in der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe geregelt. Derzeit gebe es ja nicht mal Firmen, die Produkte zulassen wollen. Also wirklich viel Lärm um nichts beziehungsweise kleinste Teilchen. „Wir haben hier keine Unterwanderung der Verbraucher, sondern eine Phantomdiskussion, die schon seit mehreren Jahren die Ängste der Konsumenten schürt", so Stähle. Anders ist das übrigens mit Silber in Nanogröße. Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel, die nanoskaliges Silber enthalten, sind in Europa nicht zugelassen. Sie werden zwar nur auf dem außereuropäischen Markt – insbesondere in den USA – angeboten, können über das Internet jedoch auch in Europa bezogen werden. „Diese Produkte haben keinen Nutzen. Wir befürchten im Gegenteil, dass sie aus toxikologischer Sicht eher gefährlich sind", sagt Möller.
Ein anderes weites Feld
Man weiß, der Mensch ist ein rätselhaftes Wesen. Besonders rätselhaft, wenn es um die Frage geht, warum er sich vor Nanoteilchen in Lebensmitteln fürchtet, die Akzeptanz der Nanotechnologie aber ungleich höher ist, wenn es um die Lebensmittelverpackungen geht. Denn Nanotechnologie leistet auch hier seit vielen Jahren gute Dienste: Verpackungen von Wurst und Käse oder auch PET-Flaschen werden durch sie widerstandsfähig gegenüber Gasen wie Sauerstoff und Kohlendioxid, sie können UV-Licht abblocken oder als Indikatoren der Lebensmittelqualität fungieren. Nano-Verpackungen können Ressourcen schonen, wenn die mechanische Stabilität bei Reduktion der eingesetzten Materialmenge erhöht wird, und erdölbasierende Kunststoffe ersetzen.
Am häufigsten werden Silber, Titandioxid, Siliziumdioxid, Zinkoxid und Ton in Nanogröße verwendet – und zwar als Beschichtungen, die beispielsweise auf eine Kunststofffolie aufgedampft werden. Sie können gängige Barriereschichten aus Aluminium und Ethylen-Vinylalkohol-Kunststoff (EVOH) als Sperrschicht gegen verschiedene Öle und Fette ersetzen. In PET-Flaschen kommen sie zum Einsatz, um deren thermische Eigenschaften oder auch Widerstandsfähigkeit gegenüber Kohlensäure zu verbessern. Mit Ton-Nanopartikeln versehene Nanokomposite werden insbesondere für die Herstellung von Folien zur Verpackung von Fleisch, Wurst, Käse oder Obst bzw. Trockenfrüchten und Nüssen verwendet. Auch für Mikrowellenprodukte werden diese Folien verwendet. Sowohl die Kunststoff-Flaschen als auch die Kunststoff-Folien bestehen aus bis zu fünf Einzelschichten, deren innerste Schicht in Polymer eingebettete Nano-Tonteilchen enthält. Ein Übergang auf die Lebensmittel gilt hier als unwahrscheinlich.
Weitere Einsatzmöglichkeiten im Umfeld von Lebensmitteln sind bereits längst Realität: „Immobilisierte Nanomaterialien zur Funktionalisierung von Oberflächen können als Prozessmaterialien bei der Herstellung von Lebensmitteln eingesetzt werden und zu verschiedensten Verbesserungen bei Reinigbarkeit (Lotus-Effekt), Energieeffizienz, antibakterielle Ausrüstungen, Hafteigenschaften oder mechanischer Belastbarkeit führen", erläutert Stähle vom BLL. „Im Bereich der Lebensmittelbedarfsgegenstände liegen Bewertungen der EFSA für diese Verwendung teilweise vor", ergänzt Mario Götz vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Trotzdem sei es auch hier grundsätzlich erforderlich, synthetisch hergestellte Nanomaterialien gesundheitlich zu bewerten und entsprechende Begrenzungen festzulegen, denn bislang lägen nur unzureichende Informationen zu einem möglichen Übergang auf Lebensmittel vor. Verpackungsmaterialien müssten über ihren gesamten Lebenszyklus betrachtet werden, Mechanismen der Entsorgung oder Vernichtung von nicht recyclefähigen Materialien vorgehalten werden, um einer Umweltverschmutzung und möglicher Ökotoxizität vorzubeugen. Götz verweist darauf, dass sich international mehrere Forschungsverbände zusammen getan hätten, die durch die OECD-Mitgliedsstaaten finanziert werden und die Fragen wie diese in den nächsten fünf Jahren beantworten wollen. Er empfiehlt bis dahin: „Handel und Industrie sollten sich einem behördlichen Produktregister nicht widersetzen und mitwirken, dass verlässliche Analysemethoden vorgehalten werden, um eine Rückverfolgbarkeit der Materialien im Lebenszyklus zu gewährleisten."
{tab=„Viele Verbraucher lehnen Nanolebensmittel ab"}
Zu einer Versachlichung der Diskussion um die Nanotechnologie ruft Dr. Mario Götz auf, Leiter der Fachgruppe „Molekulare Toxikologie" am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin.
Verpackungen von Lebensmitteln gehören zu den Lebensmittelbedarfsgegenständen. Warum gehen Experten davon aus, dass dieser Markt für die Nanotechnologie ein großes Potenzial hat?
Dr. Mario Götz: Die Zahl der Bedarfsgegenstände, für die Nanotechnologie eingesetzt wird, hat sich laut den Untersuchungen des Woodrow Wilson Institutes von 2006 bis 2009 nahezu verfünffacht. Ein ähnlicher Trend ist auch im Bereich der Lebensmittelbedarfsgegenstände zu beobachten – mit fortschreitender Tendenz. Die Unternehmen haben sich darauf eingestellt. Die amerikanische Firma Nanocor, die insbesondere Nanocomposite für Lebensmittelverpackungen herstellt, verfügte schon im Jahr 2005 über die Infrastruktur, um 45.000 t Ton-Nanopartikel pro Jahr zu produzieren.
Warum sieht dies ganz anders aus, wenn es um Lebensmittel geht?
Die Verbraucher sehen die Entwicklung der Nanotechnologie überwiegend positiv, allerdings lehnen viele den Einsatz von Nanopartikeln in Lebensmitteln ab: Laut einer aktuellen Umfrage wollen 84 Prozent keine
Lebensmittel, die beispielsweise durch den Einsatz von Nanopartikeln länger ansehnlich gehalten werden. Solange es keine qualitativen und quantitativen Daten zu Nanomaterialien in Lebensmitteln gibt, wird dies so bleiben. Zudem muss für Lebensmittel, bei deren Herstellung ein nicht übliches Verfahren wie die Nanotechnologie angewendet wurde, eine Zulassung beantragt werden. Das Prozedere ist zeitaufwendig und kostenintensiv. Es liegen zurzeit meines Wissens auch keine Anträge vor.
Das BfR fordert ein Produktregister, das alle Stoffbestandteile innerhalb einer Rezeptur auflistet, damit auch Nanopartikel deklariert. Warum?
Aus den Stoffangaben in den Produktrezepturen, die uns von Herstellen und Vertreibern entweder auf gesetzlicher Grundlage oder auch freiwillig gegeben werden, ist es bisher nicht erkennbar, ob es sich um Formulierungen mit synthetisch hergestellten Nanomaterialien handelt. Die Zuständigkeit der Produktüberwachung liegt bei den Bundesländern und beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL).
Ein behördliches Produktregister würde das Ganze zentralisieren, einen Überblick über die in Deutschland hergestellten und auf dem deutschen Markt erhältlichen Nanoprodukte ermöglichen und die Diskussion versachlichen.
Ein Produktregister allein kann nicht lösen, dass die Hälfte der Konsumenten nicht weiß, was Nanotechnologie ist, noch weniger, was sie in Lebensmitteln und Lebensmittelverpackungen bewirken kann. Was will beispielsweise das BfR unternehmen?
Das BfR hat bereits viel unternommen, um die Verbraucher für die Nanotechnologie zu sensibilisieren: Ein Forum zum Thema wurde durchgeführt, das sich an die Stakeholder des BfR ebenso wie an die breite Öffentlichkeit wandte, zusammen mit dem aid wurde ein Flyer erarbeitet. Und das BfR arbeitet mit verschiedenen Multiplikatoren zusammen, darunter Verbraucherverbände, um den Verbrauchern die Entwicklungen in der Nanotechnologie zu vermitteln, so dass sie informierte, autonome Entscheidungen treffen können. Dadurch sind es immerhin 50 Prozent, die mit dem Begriff etwas anfangen können. 2004 waren es noch 15 Prozent.