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Donald Tusk ist sichtlich erschüttert, als er am 30. Mai 2017 bei der Pressekonferenz an das Rednerpult tritt. Gerade hat ihm der britische EU-Botschafter Tim Barrow das sechsseitige Austrittsgesuch der Briten aus der EU überreicht. „Es gibt keinen Grund sich vorzumachen, dass dies ein glücklicher Tag ist“, sagt EU-Ratspräsident Donald Tusk, nachdem er den Brief an die Seite gelegt hat. Und warum auch? Artikel 50 des Lissaboner Vertrages tritt nun erstmals in Kraft – Großbritannien wird ab April 2019 nicht mehr Teil des europäischen Binnenmarktes sein. Die Außenhandelsbeziehungen müssen neu verhandelt werden. Wie sich der europäische Binnenmarkt verändern wird, ist ungewiss.
Die Fakten
Klar ist, dass sich die Außenhandelsbeziehungen in den vergangenen Jahren, innerhalb der EU, immer weiter verflochten haben. Deutschland exportierte 2016 Agrargüter im Wert von 4,5 Mrd. Euro in das Vereinigte Königreich. Im Gegenzug betrugen die Importe aus Großbritannien lediglich 1,4 Mrd. Euro. 14 Prozent der britischen Nahrungsmittelimporte kommen aus Deutschland. Wie Martin Banse vom Thünen-Institut für Marktanalyse mit seinem Kollegen Florian Freund berechnete, stieg der Export in den Jahren 2002 bis 2016 in beide Richtungen um 77,8 Prozent an. Aus Deutschland wuchsen die Lebensmittel-Exporte in das Vereinigte Königreich vor allem bei Süßwaren (230 Prozent), Fleisch (150 Prozent) sowie Milch und Getreide (jeweils 50 Prozent).
Aus der EU wurden 2017 Lebensmittel im Wertvon 31 Mrd. Euro in das Vereinte Königreich
exportiert.
Die Kalkulation
Banse und Freund versuchten mithilfe eines Rechenmodells eine Einschätzung des Brexit auf die europäische und deutsche Wirtschaft. Sie unterstellten hierbei, dass Großbritannien komplett aus dem Europäischen Wirtschaftsraum aussteigen wird. Der Handel zwischen der EU-27 (es werden dann nur noch 27 Staaten sein) und Großbritannien würde nach WTO-Richtlinien laufen, es würde also weder ein Freihandelsabkommen noch ein Verbleib im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geben. Um einen Vergleich der Daten gewährleisten zu können, wurde ein Modell zugrunde gelegt, das einen Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU unterstellte.
Generell erwarteten die beiden Experten unter diesen Extrembedingungen einen Exportrückgang aus Deutschland in das Vereinigte Königreich von 16,3 Mrd. Euro. Dabei entfielen 1,8 Mrd. Euro auf den Agrar- und Nahrungsmittelbereich. Schweine- und Geflügelfleisch, Milchprodukte und Milch sind nach diesem Modell besonders vom Exportrückgang betroffen. Gegenüber 2015 würden die deutschen Exporte bei Schweine- und Geflügelfleisch um 8,5 Prozent, bei Milchprodukten um 5,5 Prozent und bei Milch um mehr als 1 Prozent nachlassen. „Diese gesunkene Exportnachfrage wird sich nach unseren Berechnungen auch in der deutschen landwirtschaftlichen Produktion widerspiegeln: Eine Verringerung der Produktion um 1,5 Prozent sowie eine Reduktion der Rohmilchproduktion um etwa 1 Prozent sind nach diesem Extremmodell zu erwarten“, sagt Banse.
Aus der EU wurden 2017 Lebensmittel im Wert von 31 Mrd. Euro in das Vereinte Königreich exportiert.